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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Politische Anmerkungen zur italienischen Litteraturgeschichte

man in ihren Sonetten und Terzinen zu oft an ihre Berufsgeschüfte, an ihre
gelehrten Neigungen oder auch an gar nichts erinnert. Und wenn sie die
Lyrik verlassen und Dramen schreiben oder in reimlosen Jamben epische Lehr¬
gedichte über Landbau, Tierzucht und allgemeine Lebensfragen verfassen, so
denken wir wieder nur an ihre antiken Muster und, in vorteilhafterer Weise,
an ihre eigne Prosa. Denn die ist gewöhnlich das beste, was diese nicht
immer im guten Sinne vielseitigen Menschen geschrieben haben. Sie sind Mit¬
glieder einer der vielen Akademien, manchmal öffentliche Lehrer an ihnen,
haben als Philologen oder als ästhetische Theoretiker interessante Abhand¬
lungen geschrieben, als Geistliche veröffentlichen sie schöne moralische oder ge¬
sellschaftliche Traktate, in der Historie sind sie tüchtige Nachfolger Machicivells.
Keiner unter ihnen ist bei uns so bekannt geworden, keiner auch wohl so be¬
gabt gewesen, wie etwa Bembo oder Castiglione. Wir übergehen darum min¬
destens zwanzig bis dreißig Namen und widmen nur zur Schützung der Poesie,
die hier in Frage kommt, einige Bemerkungen einem bei den Italienern sehr
beliebten und für sie außerordentlich charakteristischen Dichter der ersten Hülste
des sechzehnten Jahrhunderts.

Francesco Maria Molza stammte aus einer guten Familie in Moden",
lebte aber meist in Rom, und zwar vollständig liederlich, und starb 1544 wenig
über fünfzig Jahre, greisenhafter Ansehens und gebrochen, an den Folge" einer
häßlichen Krankheit. Er ist bei Päpsten, bei regierenden Fürsten und Kardi¬
nälen gleich gern gesehen, steht mit ihnen in Briefwechsel und singt sie an,
auch lateinisch; er hat recht hübsche Epigramme nud Elegien gemacht. Er
gilt für eine Autorität in Sachen des feinern wissenschaftlichen und littera¬
rischen Geschmacks, giebt Fürsten Ratschläge beim Ankauf von Büchern, findet
sich dann wieder unter den Verfassern von Spottgedichten und wird als Freund
oder wenigstens beachtenswerter Genosse genannt und gefeiert bis in den Kreis
Ariosts hinauf. Endlich hat er eine große Menge von Sonetten geschrieben,
zierlich, glatt und künstlich, die meistens gar keiner Individualität anzugehören
scheinen. Noch zweihundert Jahre nach seinem Tode hat der angesehene
Literarhistoriker Serassi eine Ausgabe seiner Werke veranstaltet, vermehrt
durch Nachrufe, Beschreibung von Ehrung und Anerkennung aller Art, die ihm
wiederfahren waren, Nachrichten über poetisch beanlcigte Nachkommen, sowie
deren Erzeugnisse. Wer das Werk hente zur Hand nimmt, findet vielleicht
ein und das andre lateinische Gedicht ganz hübsch. Übrigens wird ihm hier
das sechzehnte und das achtzehnte Jahrhundert in ihrer Schätzung geistiger
Größe gleich unverständlich sein.

Zufällig gerade in Molzas Todesjahr wurde Torquatv Tasso geboren,
der für solche, denen mit Ariosts Epos noch nicht alles erfüllt schien, das
nationale Werk zu vollbringen sich bemühte. Er kam 1565 nach Ferrara an
denselben Hof und erörterte schon um diese Zeit gemeinschaftlich mit seinem Vater,


Politische Anmerkungen zur italienischen Litteraturgeschichte

man in ihren Sonetten und Terzinen zu oft an ihre Berufsgeschüfte, an ihre
gelehrten Neigungen oder auch an gar nichts erinnert. Und wenn sie die
Lyrik verlassen und Dramen schreiben oder in reimlosen Jamben epische Lehr¬
gedichte über Landbau, Tierzucht und allgemeine Lebensfragen verfassen, so
denken wir wieder nur an ihre antiken Muster und, in vorteilhafterer Weise,
an ihre eigne Prosa. Denn die ist gewöhnlich das beste, was diese nicht
immer im guten Sinne vielseitigen Menschen geschrieben haben. Sie sind Mit¬
glieder einer der vielen Akademien, manchmal öffentliche Lehrer an ihnen,
haben als Philologen oder als ästhetische Theoretiker interessante Abhand¬
lungen geschrieben, als Geistliche veröffentlichen sie schöne moralische oder ge¬
sellschaftliche Traktate, in der Historie sind sie tüchtige Nachfolger Machicivells.
Keiner unter ihnen ist bei uns so bekannt geworden, keiner auch wohl so be¬
gabt gewesen, wie etwa Bembo oder Castiglione. Wir übergehen darum min¬
destens zwanzig bis dreißig Namen und widmen nur zur Schützung der Poesie,
die hier in Frage kommt, einige Bemerkungen einem bei den Italienern sehr
beliebten und für sie außerordentlich charakteristischen Dichter der ersten Hülste
des sechzehnten Jahrhunderts.

Francesco Maria Molza stammte aus einer guten Familie in Moden«,
lebte aber meist in Rom, und zwar vollständig liederlich, und starb 1544 wenig
über fünfzig Jahre, greisenhafter Ansehens und gebrochen, an den Folge» einer
häßlichen Krankheit. Er ist bei Päpsten, bei regierenden Fürsten und Kardi¬
nälen gleich gern gesehen, steht mit ihnen in Briefwechsel und singt sie an,
auch lateinisch; er hat recht hübsche Epigramme nud Elegien gemacht. Er
gilt für eine Autorität in Sachen des feinern wissenschaftlichen und littera¬
rischen Geschmacks, giebt Fürsten Ratschläge beim Ankauf von Büchern, findet
sich dann wieder unter den Verfassern von Spottgedichten und wird als Freund
oder wenigstens beachtenswerter Genosse genannt und gefeiert bis in den Kreis
Ariosts hinauf. Endlich hat er eine große Menge von Sonetten geschrieben,
zierlich, glatt und künstlich, die meistens gar keiner Individualität anzugehören
scheinen. Noch zweihundert Jahre nach seinem Tode hat der angesehene
Literarhistoriker Serassi eine Ausgabe seiner Werke veranstaltet, vermehrt
durch Nachrufe, Beschreibung von Ehrung und Anerkennung aller Art, die ihm
wiederfahren waren, Nachrichten über poetisch beanlcigte Nachkommen, sowie
deren Erzeugnisse. Wer das Werk hente zur Hand nimmt, findet vielleicht
ein und das andre lateinische Gedicht ganz hübsch. Übrigens wird ihm hier
das sechzehnte und das achtzehnte Jahrhundert in ihrer Schätzung geistiger
Größe gleich unverständlich sein.

Zufällig gerade in Molzas Todesjahr wurde Torquatv Tasso geboren,
der für solche, denen mit Ariosts Epos noch nicht alles erfüllt schien, das
nationale Werk zu vollbringen sich bemühte. Er kam 1565 nach Ferrara an
denselben Hof und erörterte schon um diese Zeit gemeinschaftlich mit seinem Vater,


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[0619] Politische Anmerkungen zur italienischen Litteraturgeschichte man in ihren Sonetten und Terzinen zu oft an ihre Berufsgeschüfte, an ihre gelehrten Neigungen oder auch an gar nichts erinnert. Und wenn sie die Lyrik verlassen und Dramen schreiben oder in reimlosen Jamben epische Lehr¬ gedichte über Landbau, Tierzucht und allgemeine Lebensfragen verfassen, so denken wir wieder nur an ihre antiken Muster und, in vorteilhafterer Weise, an ihre eigne Prosa. Denn die ist gewöhnlich das beste, was diese nicht immer im guten Sinne vielseitigen Menschen geschrieben haben. Sie sind Mit¬ glieder einer der vielen Akademien, manchmal öffentliche Lehrer an ihnen, haben als Philologen oder als ästhetische Theoretiker interessante Abhand¬ lungen geschrieben, als Geistliche veröffentlichen sie schöne moralische oder ge¬ sellschaftliche Traktate, in der Historie sind sie tüchtige Nachfolger Machicivells. Keiner unter ihnen ist bei uns so bekannt geworden, keiner auch wohl so be¬ gabt gewesen, wie etwa Bembo oder Castiglione. Wir übergehen darum min¬ destens zwanzig bis dreißig Namen und widmen nur zur Schützung der Poesie, die hier in Frage kommt, einige Bemerkungen einem bei den Italienern sehr beliebten und für sie außerordentlich charakteristischen Dichter der ersten Hülste des sechzehnten Jahrhunderts. Francesco Maria Molza stammte aus einer guten Familie in Moden«, lebte aber meist in Rom, und zwar vollständig liederlich, und starb 1544 wenig über fünfzig Jahre, greisenhafter Ansehens und gebrochen, an den Folge» einer häßlichen Krankheit. Er ist bei Päpsten, bei regierenden Fürsten und Kardi¬ nälen gleich gern gesehen, steht mit ihnen in Briefwechsel und singt sie an, auch lateinisch; er hat recht hübsche Epigramme nud Elegien gemacht. Er gilt für eine Autorität in Sachen des feinern wissenschaftlichen und littera¬ rischen Geschmacks, giebt Fürsten Ratschläge beim Ankauf von Büchern, findet sich dann wieder unter den Verfassern von Spottgedichten und wird als Freund oder wenigstens beachtenswerter Genosse genannt und gefeiert bis in den Kreis Ariosts hinauf. Endlich hat er eine große Menge von Sonetten geschrieben, zierlich, glatt und künstlich, die meistens gar keiner Individualität anzugehören scheinen. Noch zweihundert Jahre nach seinem Tode hat der angesehene Literarhistoriker Serassi eine Ausgabe seiner Werke veranstaltet, vermehrt durch Nachrufe, Beschreibung von Ehrung und Anerkennung aller Art, die ihm wiederfahren waren, Nachrichten über poetisch beanlcigte Nachkommen, sowie deren Erzeugnisse. Wer das Werk hente zur Hand nimmt, findet vielleicht ein und das andre lateinische Gedicht ganz hübsch. Übrigens wird ihm hier das sechzehnte und das achtzehnte Jahrhundert in ihrer Schätzung geistiger Größe gleich unverständlich sein. Zufällig gerade in Molzas Todesjahr wurde Torquatv Tasso geboren, der für solche, denen mit Ariosts Epos noch nicht alles erfüllt schien, das nationale Werk zu vollbringen sich bemühte. Er kam 1565 nach Ferrara an denselben Hof und erörterte schon um diese Zeit gemeinschaftlich mit seinem Vater,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/619>, abgerufen am 28.07.2024.