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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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politische Anmerkungen zur italienischen Litteraturgeschichte

reiche Anführer aller Spötter in dem damaligen Italien, ein wirkliches Talent
und auch als Dichter natürlicher als die meisten andern. Auch Bernis Reime
wußte Galilei auswendig. Denn das ist dem Ariost verwandter Geist. Es
giebt eine große Menge nach geistreichem Ausdruck strebender Männer, die
in Bernis Stil, teils als Hauptbeschäftigung, teils nebenbei, Spottgedichte
schrieben. Algarotti und sein königlicher 'Freund in Sanssouci hatten noch
zweihundert Jahre später ihre Freude an diesen Witzen. Das traf zusammen
mit dem Hange des Jtalieners zur Beobachtung, mit seiner Vorliebe für Posse
und Karikatur. In der Litteratur führte es zu der dem italienischen Geiste
so verhängnisvoll gewordnen Parodie. "Tanz und Spott auf Trümmern,"
nannte es Colletta. Es entstand die sogenannte Tragikomödie und das komische
Heldengedicht, und da war es natürlich mit jedem ernsten Drama oder Epos
vorbei. So steht denn auch bereits Ariost völlig ironisch über seinen Menschen
und Sachen. Das ist oft gesagt worden, und jeder kann es leicht aufs neue
empfinden. Um aber daran zu erinnern, was das im allgemeinen und für
ein Volk bedeutet, ziehen wir einen Vergleich, nicht mit Milton, sondern mit
einer weit volkstümlichern Erscheinung anderswo. Über ein halbes Jahr¬
hundert nach Ariosts Tode, etwa 1590, beginnt erst, gleichzeitig mit Shake¬
speare, in Spanien die Blüte des Dramas und dauert annähernd hundert
Jahre. Bekanntlich hat sich dort eine so ernste und große Auffassung des
nationalen Lebens in der Kunst erhalten, obwohl Granada längst gefallen
war, und man nicht mehr gegen die Mohren kämpfte, die Ritterorden auch deu
König nicht mehr zu schützen hatten, und so vieles im Leben der Menschen neu
geworden war, und damit auch Scherz, Spott und Leichtsinn ihre Stelle ge¬
funden hatten. Aber auch nur ihre Stelle! Cervantes hat das Rittertum
früherer Tage lächerlich gemacht, aber das wahre, zeitgemäße Rittertum des
siebzehnten Jahrhunderts lebt trotzdem in dem historischen Schauspiel weiter,
und kein Mensch dachte daran, es komisch zu nehmen. Die große geschicht¬
liche Vergangenheit wirkte noch nach. Das ist aber das Verhängnis der Ita¬
liener, daß sie alles komisch zu nehmen liebten, und ihre Historiker dann zur
Erklärung nach so etwas, wie dem Geist des Cervantes, suchten. Die Persi¬
flage, der unzeitige Scherz, der für den Ernst keinen Sinn mehr hat, ist in
Italien sehr früh und lange vor Cervantes eingezogen.

Neben dem Spott in der Litteratur des sechzehnten Jahrhunderts, zu
dem also auch Ariost ein ganz bestimmtes Verhältnis hat, geht eine gelehrte,
akademische Richtung her, die schließlich zu Tasso führte. Das fünfzehnte
Jahrhundert zeigte uns die Blüte des lateinisch schreibenden Klassizismus, das
sechzehnte kann man die des italienisch schreibenden nennen. Von Anregungen
des Altertums geht man meistens aus, aber in der Einkleidung und gewöhn¬
lich auch in der Anwendung und dem Zweck ist an die Zeitgenossen gedacht.
Mit der wahren Poesie haben alle diese Männer nichts zu thun, dafür wird


politische Anmerkungen zur italienischen Litteraturgeschichte

reiche Anführer aller Spötter in dem damaligen Italien, ein wirkliches Talent
und auch als Dichter natürlicher als die meisten andern. Auch Bernis Reime
wußte Galilei auswendig. Denn das ist dem Ariost verwandter Geist. Es
giebt eine große Menge nach geistreichem Ausdruck strebender Männer, die
in Bernis Stil, teils als Hauptbeschäftigung, teils nebenbei, Spottgedichte
schrieben. Algarotti und sein königlicher 'Freund in Sanssouci hatten noch
zweihundert Jahre später ihre Freude an diesen Witzen. Das traf zusammen
mit dem Hange des Jtalieners zur Beobachtung, mit seiner Vorliebe für Posse
und Karikatur. In der Litteratur führte es zu der dem italienischen Geiste
so verhängnisvoll gewordnen Parodie. „Tanz und Spott auf Trümmern,"
nannte es Colletta. Es entstand die sogenannte Tragikomödie und das komische
Heldengedicht, und da war es natürlich mit jedem ernsten Drama oder Epos
vorbei. So steht denn auch bereits Ariost völlig ironisch über seinen Menschen
und Sachen. Das ist oft gesagt worden, und jeder kann es leicht aufs neue
empfinden. Um aber daran zu erinnern, was das im allgemeinen und für
ein Volk bedeutet, ziehen wir einen Vergleich, nicht mit Milton, sondern mit
einer weit volkstümlichern Erscheinung anderswo. Über ein halbes Jahr¬
hundert nach Ariosts Tode, etwa 1590, beginnt erst, gleichzeitig mit Shake¬
speare, in Spanien die Blüte des Dramas und dauert annähernd hundert
Jahre. Bekanntlich hat sich dort eine so ernste und große Auffassung des
nationalen Lebens in der Kunst erhalten, obwohl Granada längst gefallen
war, und man nicht mehr gegen die Mohren kämpfte, die Ritterorden auch deu
König nicht mehr zu schützen hatten, und so vieles im Leben der Menschen neu
geworden war, und damit auch Scherz, Spott und Leichtsinn ihre Stelle ge¬
funden hatten. Aber auch nur ihre Stelle! Cervantes hat das Rittertum
früherer Tage lächerlich gemacht, aber das wahre, zeitgemäße Rittertum des
siebzehnten Jahrhunderts lebt trotzdem in dem historischen Schauspiel weiter,
und kein Mensch dachte daran, es komisch zu nehmen. Die große geschicht¬
liche Vergangenheit wirkte noch nach. Das ist aber das Verhängnis der Ita¬
liener, daß sie alles komisch zu nehmen liebten, und ihre Historiker dann zur
Erklärung nach so etwas, wie dem Geist des Cervantes, suchten. Die Persi¬
flage, der unzeitige Scherz, der für den Ernst keinen Sinn mehr hat, ist in
Italien sehr früh und lange vor Cervantes eingezogen.

Neben dem Spott in der Litteratur des sechzehnten Jahrhunderts, zu
dem also auch Ariost ein ganz bestimmtes Verhältnis hat, geht eine gelehrte,
akademische Richtung her, die schließlich zu Tasso führte. Das fünfzehnte
Jahrhundert zeigte uns die Blüte des lateinisch schreibenden Klassizismus, das
sechzehnte kann man die des italienisch schreibenden nennen. Von Anregungen
des Altertums geht man meistens aus, aber in der Einkleidung und gewöhn¬
lich auch in der Anwendung und dem Zweck ist an die Zeitgenossen gedacht.
Mit der wahren Poesie haben alle diese Männer nichts zu thun, dafür wird


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[0618] politische Anmerkungen zur italienischen Litteraturgeschichte reiche Anführer aller Spötter in dem damaligen Italien, ein wirkliches Talent und auch als Dichter natürlicher als die meisten andern. Auch Bernis Reime wußte Galilei auswendig. Denn das ist dem Ariost verwandter Geist. Es giebt eine große Menge nach geistreichem Ausdruck strebender Männer, die in Bernis Stil, teils als Hauptbeschäftigung, teils nebenbei, Spottgedichte schrieben. Algarotti und sein königlicher 'Freund in Sanssouci hatten noch zweihundert Jahre später ihre Freude an diesen Witzen. Das traf zusammen mit dem Hange des Jtalieners zur Beobachtung, mit seiner Vorliebe für Posse und Karikatur. In der Litteratur führte es zu der dem italienischen Geiste so verhängnisvoll gewordnen Parodie. „Tanz und Spott auf Trümmern," nannte es Colletta. Es entstand die sogenannte Tragikomödie und das komische Heldengedicht, und da war es natürlich mit jedem ernsten Drama oder Epos vorbei. So steht denn auch bereits Ariost völlig ironisch über seinen Menschen und Sachen. Das ist oft gesagt worden, und jeder kann es leicht aufs neue empfinden. Um aber daran zu erinnern, was das im allgemeinen und für ein Volk bedeutet, ziehen wir einen Vergleich, nicht mit Milton, sondern mit einer weit volkstümlichern Erscheinung anderswo. Über ein halbes Jahr¬ hundert nach Ariosts Tode, etwa 1590, beginnt erst, gleichzeitig mit Shake¬ speare, in Spanien die Blüte des Dramas und dauert annähernd hundert Jahre. Bekanntlich hat sich dort eine so ernste und große Auffassung des nationalen Lebens in der Kunst erhalten, obwohl Granada längst gefallen war, und man nicht mehr gegen die Mohren kämpfte, die Ritterorden auch deu König nicht mehr zu schützen hatten, und so vieles im Leben der Menschen neu geworden war, und damit auch Scherz, Spott und Leichtsinn ihre Stelle ge¬ funden hatten. Aber auch nur ihre Stelle! Cervantes hat das Rittertum früherer Tage lächerlich gemacht, aber das wahre, zeitgemäße Rittertum des siebzehnten Jahrhunderts lebt trotzdem in dem historischen Schauspiel weiter, und kein Mensch dachte daran, es komisch zu nehmen. Die große geschicht¬ liche Vergangenheit wirkte noch nach. Das ist aber das Verhängnis der Ita¬ liener, daß sie alles komisch zu nehmen liebten, und ihre Historiker dann zur Erklärung nach so etwas, wie dem Geist des Cervantes, suchten. Die Persi¬ flage, der unzeitige Scherz, der für den Ernst keinen Sinn mehr hat, ist in Italien sehr früh und lange vor Cervantes eingezogen. Neben dem Spott in der Litteratur des sechzehnten Jahrhunderts, zu dem also auch Ariost ein ganz bestimmtes Verhältnis hat, geht eine gelehrte, akademische Richtung her, die schließlich zu Tasso führte. Das fünfzehnte Jahrhundert zeigte uns die Blüte des lateinisch schreibenden Klassizismus, das sechzehnte kann man die des italienisch schreibenden nennen. Von Anregungen des Altertums geht man meistens aus, aber in der Einkleidung und gewöhn¬ lich auch in der Anwendung und dem Zweck ist an die Zeitgenossen gedacht. Mit der wahren Poesie haben alle diese Männer nichts zu thun, dafür wird

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/618>, abgerufen am 28.07.2024.