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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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pädagogische Universitätsseminare

bei diesen ersten Unterrichtsübungen eines zukünftigen Erziehers doch nur solcher
Unterricht berechtigt ist, bei dem die erziehende Seite zur Geltung kommt; es
ist doch klar, daß gegenüber Schülern, die der Lehrer gar nicht kennt, in seinem
Leben vielleicht noch nie gesehen hat und vielleicht auch nie wieder sehen wird,
noch dazu in dem engbegrenzten Zeitraume einer akademischen Stunde, das er¬
ziehende Element sowohl des Unterrichts als auch der Lehrerthätigkeit kaum
zur Geltung kommen kann. Die dauernde, gewöhnende Einwirkung auf den
Zögling, die gerade für die Erziehung so wichtig ist, fällt hier ganz weg:
nicht nur eine Einwirkung auf den Charakter des Zöglings ist dabei völlig
ausgeschlossen, sondern auch das eigentliche Lehren und Lernen kommt dabei
nicht zu seinem Rechte. Aber auch der, der auf diese Weise das Unterrichten
lernen soll, kommt dabei zu kurz, weil er Fehler, auf die er aufmerksam ge¬
macht worden ist, entweder gar nicht verbessern oder die Verbesserung doch
nicht genügend oft an Stelle des Falschen anwenden kann.

Weiter hat man die Einrichtung getroffen, die Studenten nicht vor eine
Anzahl aä Iroo zusammengerufner Kinder, sondern vor eine gewöhnliche Klasse
einer Schule zu stellen, die sonst mit der Universität keinerlei Zusammenhang
hatte, sondern bloß für diese Stunde den akademischen Unterrichtsübungen
diente. Auch das war natürlich ungenügend; denn auch hier fehlte der
dauernde Zusammenhang zwischen den Kindern und dem Lehrer. Die ganze
Einrichtung wird überhaupt so lange mangelhaft bleiben, bis man sich ent¬
schließt, diesen dauernden Zusammenhang zwischen einer Schule und der Stu¬
dentengesellschaft, die solche Unterrichtsübungen treibt, herzustellen, und zwar
derart, daß die Gesellschaft der zukünftigen Erzieher unter sachverständiger An¬
leitung und Beaufsichtigung den ganzen Unterricht an der Schule übernimmt.
Das ist vor allem auch deshalb nötig, weil der Student nur auf diese Weise
gleich von vornherein einen richtigen Begriff von einer zusammenhängenden,
wohlgegliederten Erziehungsaufgabe bekommt. Diese Aufgabe muß ihm sofort
mit aller Wucht und mit allem Ernst entgegentreten, er muß gleich von dem
ersten Tage seines Eintritts in diesen Kreis an die volle Verantwortlichkeit
des Erziehers gewöhnt werden. Kurz: es muß für die Unterrichtsübungen
eine eigne akademische Übungsschule, die andern Zwecken überhaupt uicht zu
dienen hat, zur Verfügung stehen, und um diese Übungsschule, als den idealen
Mittelpunkt, müssen sich alle Einrichtungen der Schule, die neben dem Unter¬
richt hergehen (Feste, Schulreisen, Spiele, Arbeitsunterricht u. s. w.), sowie
alle andern Einrichtungen zur Einführung in die Theorie der Erziehung grup-
piren. Diese zusammengehörige Gruppe von Einrichtungen wird man dann
auch berechtigt sein als pädagogisches Seminar zu bezeichnen, nach Art andrer
akademischer Einrichtungen.

Aber welcher Art von Schulen soll diese Ubungsschule angehören? Soll
es eine Volksschule oder eine höhere Schule sein? -- Um diese Frage zu be-


pädagogische Universitätsseminare

bei diesen ersten Unterrichtsübungen eines zukünftigen Erziehers doch nur solcher
Unterricht berechtigt ist, bei dem die erziehende Seite zur Geltung kommt; es
ist doch klar, daß gegenüber Schülern, die der Lehrer gar nicht kennt, in seinem
Leben vielleicht noch nie gesehen hat und vielleicht auch nie wieder sehen wird,
noch dazu in dem engbegrenzten Zeitraume einer akademischen Stunde, das er¬
ziehende Element sowohl des Unterrichts als auch der Lehrerthätigkeit kaum
zur Geltung kommen kann. Die dauernde, gewöhnende Einwirkung auf den
Zögling, die gerade für die Erziehung so wichtig ist, fällt hier ganz weg:
nicht nur eine Einwirkung auf den Charakter des Zöglings ist dabei völlig
ausgeschlossen, sondern auch das eigentliche Lehren und Lernen kommt dabei
nicht zu seinem Rechte. Aber auch der, der auf diese Weise das Unterrichten
lernen soll, kommt dabei zu kurz, weil er Fehler, auf die er aufmerksam ge¬
macht worden ist, entweder gar nicht verbessern oder die Verbesserung doch
nicht genügend oft an Stelle des Falschen anwenden kann.

Weiter hat man die Einrichtung getroffen, die Studenten nicht vor eine
Anzahl aä Iroo zusammengerufner Kinder, sondern vor eine gewöhnliche Klasse
einer Schule zu stellen, die sonst mit der Universität keinerlei Zusammenhang
hatte, sondern bloß für diese Stunde den akademischen Unterrichtsübungen
diente. Auch das war natürlich ungenügend; denn auch hier fehlte der
dauernde Zusammenhang zwischen den Kindern und dem Lehrer. Die ganze
Einrichtung wird überhaupt so lange mangelhaft bleiben, bis man sich ent¬
schließt, diesen dauernden Zusammenhang zwischen einer Schule und der Stu¬
dentengesellschaft, die solche Unterrichtsübungen treibt, herzustellen, und zwar
derart, daß die Gesellschaft der zukünftigen Erzieher unter sachverständiger An¬
leitung und Beaufsichtigung den ganzen Unterricht an der Schule übernimmt.
Das ist vor allem auch deshalb nötig, weil der Student nur auf diese Weise
gleich von vornherein einen richtigen Begriff von einer zusammenhängenden,
wohlgegliederten Erziehungsaufgabe bekommt. Diese Aufgabe muß ihm sofort
mit aller Wucht und mit allem Ernst entgegentreten, er muß gleich von dem
ersten Tage seines Eintritts in diesen Kreis an die volle Verantwortlichkeit
des Erziehers gewöhnt werden. Kurz: es muß für die Unterrichtsübungen
eine eigne akademische Übungsschule, die andern Zwecken überhaupt uicht zu
dienen hat, zur Verfügung stehen, und um diese Übungsschule, als den idealen
Mittelpunkt, müssen sich alle Einrichtungen der Schule, die neben dem Unter¬
richt hergehen (Feste, Schulreisen, Spiele, Arbeitsunterricht u. s. w.), sowie
alle andern Einrichtungen zur Einführung in die Theorie der Erziehung grup-
piren. Diese zusammengehörige Gruppe von Einrichtungen wird man dann
auch berechtigt sein als pädagogisches Seminar zu bezeichnen, nach Art andrer
akademischer Einrichtungen.

Aber welcher Art von Schulen soll diese Ubungsschule angehören? Soll
es eine Volksschule oder eine höhere Schule sein? — Um diese Frage zu be-


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[0608] pädagogische Universitätsseminare bei diesen ersten Unterrichtsübungen eines zukünftigen Erziehers doch nur solcher Unterricht berechtigt ist, bei dem die erziehende Seite zur Geltung kommt; es ist doch klar, daß gegenüber Schülern, die der Lehrer gar nicht kennt, in seinem Leben vielleicht noch nie gesehen hat und vielleicht auch nie wieder sehen wird, noch dazu in dem engbegrenzten Zeitraume einer akademischen Stunde, das er¬ ziehende Element sowohl des Unterrichts als auch der Lehrerthätigkeit kaum zur Geltung kommen kann. Die dauernde, gewöhnende Einwirkung auf den Zögling, die gerade für die Erziehung so wichtig ist, fällt hier ganz weg: nicht nur eine Einwirkung auf den Charakter des Zöglings ist dabei völlig ausgeschlossen, sondern auch das eigentliche Lehren und Lernen kommt dabei nicht zu seinem Rechte. Aber auch der, der auf diese Weise das Unterrichten lernen soll, kommt dabei zu kurz, weil er Fehler, auf die er aufmerksam ge¬ macht worden ist, entweder gar nicht verbessern oder die Verbesserung doch nicht genügend oft an Stelle des Falschen anwenden kann. Weiter hat man die Einrichtung getroffen, die Studenten nicht vor eine Anzahl aä Iroo zusammengerufner Kinder, sondern vor eine gewöhnliche Klasse einer Schule zu stellen, die sonst mit der Universität keinerlei Zusammenhang hatte, sondern bloß für diese Stunde den akademischen Unterrichtsübungen diente. Auch das war natürlich ungenügend; denn auch hier fehlte der dauernde Zusammenhang zwischen den Kindern und dem Lehrer. Die ganze Einrichtung wird überhaupt so lange mangelhaft bleiben, bis man sich ent¬ schließt, diesen dauernden Zusammenhang zwischen einer Schule und der Stu¬ dentengesellschaft, die solche Unterrichtsübungen treibt, herzustellen, und zwar derart, daß die Gesellschaft der zukünftigen Erzieher unter sachverständiger An¬ leitung und Beaufsichtigung den ganzen Unterricht an der Schule übernimmt. Das ist vor allem auch deshalb nötig, weil der Student nur auf diese Weise gleich von vornherein einen richtigen Begriff von einer zusammenhängenden, wohlgegliederten Erziehungsaufgabe bekommt. Diese Aufgabe muß ihm sofort mit aller Wucht und mit allem Ernst entgegentreten, er muß gleich von dem ersten Tage seines Eintritts in diesen Kreis an die volle Verantwortlichkeit des Erziehers gewöhnt werden. Kurz: es muß für die Unterrichtsübungen eine eigne akademische Übungsschule, die andern Zwecken überhaupt uicht zu dienen hat, zur Verfügung stehen, und um diese Übungsschule, als den idealen Mittelpunkt, müssen sich alle Einrichtungen der Schule, die neben dem Unter¬ richt hergehen (Feste, Schulreisen, Spiele, Arbeitsunterricht u. s. w.), sowie alle andern Einrichtungen zur Einführung in die Theorie der Erziehung grup- piren. Diese zusammengehörige Gruppe von Einrichtungen wird man dann auch berechtigt sein als pädagogisches Seminar zu bezeichnen, nach Art andrer akademischer Einrichtungen. Aber welcher Art von Schulen soll diese Ubungsschule angehören? Soll es eine Volksschule oder eine höhere Schule sein? — Um diese Frage zu be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/608>, abgerufen am 28.07.2024.