Auf dem katholischen Friedhof zu Hünshoven-Geilenkirchen liegt Becker begraben. Seine Ruhestätte bezeichnet kein Stein, keine Inschrift. Zwar wurde gleich nach seinem Tode ein Denkmal angeregt; aber die Welt lebt rasch, und erst in unsern Tagen hat man in seinem Heimatsorte den Plan zu einer "Gedenktafel" gefaßt. Es wäre zu wünschen, daß bei ihrer Ausführung der Beschränktheit der örtlichen Mittel das deutsche Volk zu Hilfe käme. Denn Ehre und Dank schuldet das große Vaterland dem Manne, in dessen Worten, es in hochherzig bewegter Zeit den besten Ausdruck seiner Gefühle fand, und dem nach einem kurzeu, vollen Sonnentage des Ruhms für sein treues deut¬ sches Empfinden Gram und Bitterkeit in Fülle wurde.
Im Zwischendeck
es kann den Blick nicht von euch wenden -- so beginnt ein Gedicht, das zu meiner Schulzeit mit Vorliebe deklamirt wurde. Es scheint jetzt zum alten Eisen gelegt zu sein, obwohl seine Absicht auch heute noch mindestens so berechtigt ist wie damals. Es wäre vermessen, den Lesern dieser Blätter die statistischen Berichte über den durchschnittlichen Umfang der Auswanderung aus Deutschland zu wiederholen. Jedenfalls würde sich die Anzahl der gegenwärtigen Auswandrer als weit höher herausstellen wie zu der Zeit, wo Freiligrath in seinen kauf- münuischen Feierabendstunden seinen Pegasus tummelte. Es dürfte auch unnütz sein, Vermutungen über die Zukunft auszusprechen. Solange sich die Mücken die Flügel am Licht verbrennen, solange sich die Vögel am Leuchtturm die Köpfe einstoßen, so lange wird es Deutsche nach Amerika treiben.
Auf den letzten Vergleich bin ich durch Zufall gekommen. Die Neigung des Deutschen, besonders wenn er jung ist, seine Gefühle in Versform aus¬ zudrücken, ist bekannt. Es ist zu rühmen, daß ein großer Teil das nur in verschämter Weise thut, er richtet dadurch weniger Unheil an: Poesie¬ albums, Fremdenbücher und Kreisblätter sind die Stätten, wo gereimte Herzens¬ ergüsse besonders gern abgelagert werden. Es giebt aber noch einen ver¬ schämten Ort, wo Verse oft der gewagtesten Art verzeichnet stehen, bis sie
I»i Zwischendeck
Auf dem katholischen Friedhof zu Hünshoven-Geilenkirchen liegt Becker begraben. Seine Ruhestätte bezeichnet kein Stein, keine Inschrift. Zwar wurde gleich nach seinem Tode ein Denkmal angeregt; aber die Welt lebt rasch, und erst in unsern Tagen hat man in seinem Heimatsorte den Plan zu einer „Gedenktafel" gefaßt. Es wäre zu wünschen, daß bei ihrer Ausführung der Beschränktheit der örtlichen Mittel das deutsche Volk zu Hilfe käme. Denn Ehre und Dank schuldet das große Vaterland dem Manne, in dessen Worten, es in hochherzig bewegter Zeit den besten Ausdruck seiner Gefühle fand, und dem nach einem kurzeu, vollen Sonnentage des Ruhms für sein treues deut¬ sches Empfinden Gram und Bitterkeit in Fülle wurde.
Im Zwischendeck
es kann den Blick nicht von euch wenden — so beginnt ein Gedicht, das zu meiner Schulzeit mit Vorliebe deklamirt wurde. Es scheint jetzt zum alten Eisen gelegt zu sein, obwohl seine Absicht auch heute noch mindestens so berechtigt ist wie damals. Es wäre vermessen, den Lesern dieser Blätter die statistischen Berichte über den durchschnittlichen Umfang der Auswanderung aus Deutschland zu wiederholen. Jedenfalls würde sich die Anzahl der gegenwärtigen Auswandrer als weit höher herausstellen wie zu der Zeit, wo Freiligrath in seinen kauf- münuischen Feierabendstunden seinen Pegasus tummelte. Es dürfte auch unnütz sein, Vermutungen über die Zukunft auszusprechen. Solange sich die Mücken die Flügel am Licht verbrennen, solange sich die Vögel am Leuchtturm die Köpfe einstoßen, so lange wird es Deutsche nach Amerika treiben.
Auf den letzten Vergleich bin ich durch Zufall gekommen. Die Neigung des Deutschen, besonders wenn er jung ist, seine Gefühle in Versform aus¬ zudrücken, ist bekannt. Es ist zu rühmen, daß ein großer Teil das nur in verschämter Weise thut, er richtet dadurch weniger Unheil an: Poesie¬ albums, Fremdenbücher und Kreisblätter sind die Stätten, wo gereimte Herzens¬ ergüsse besonders gern abgelagert werden. Es giebt aber noch einen ver¬ schämten Ort, wo Verse oft der gewagtesten Art verzeichnet stehen, bis sie
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I»i Zwischendeck
Auf dem katholischen Friedhof zu Hünshoven-Geilenkirchen liegt Becker
begraben. Seine Ruhestätte bezeichnet kein Stein, keine Inschrift. Zwar wurde
gleich nach seinem Tode ein Denkmal angeregt; aber die Welt lebt rasch, und
erst in unsern Tagen hat man in seinem Heimatsorte den Plan zu einer
„Gedenktafel" gefaßt. Es wäre zu wünschen, daß bei ihrer Ausführung der
Beschränktheit der örtlichen Mittel das deutsche Volk zu Hilfe käme. Denn
Ehre und Dank schuldet das große Vaterland dem Manne, in dessen Worten,
es in hochherzig bewegter Zeit den besten Ausdruck seiner Gefühle fand, und
dem nach einem kurzeu, vollen Sonnentage des Ruhms für sein treues deut¬
sches Empfinden Gram und Bitterkeit in Fülle wurde.
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das zu meiner Schulzeit mit Vorliebe deklamirt wurde. Es
scheint jetzt zum alten Eisen gelegt zu sein, obwohl seine Absicht
auch heute noch mindestens so berechtigt ist wie damals. Es
wäre vermessen, den Lesern dieser Blätter die statistischen Berichte
über den durchschnittlichen Umfang der Auswanderung aus Deutschland zu
wiederholen. Jedenfalls würde sich die Anzahl der gegenwärtigen Auswandrer
als weit höher herausstellen wie zu der Zeit, wo Freiligrath in seinen kauf-
münuischen Feierabendstunden seinen Pegasus tummelte. Es dürfte auch unnütz
sein, Vermutungen über die Zukunft auszusprechen. Solange sich die Mücken
die Flügel am Licht verbrennen, solange sich die Vögel am Leuchtturm die
Köpfe einstoßen, so lange wird es Deutsche nach Amerika treiben.
Auf den letzten Vergleich bin ich durch Zufall gekommen. Die Neigung
des Deutschen, besonders wenn er jung ist, seine Gefühle in Versform aus¬
zudrücken, ist bekannt. Es ist zu rühmen, daß ein großer Teil das nur
in verschämter Weise thut, er richtet dadurch weniger Unheil an: Poesie¬
albums, Fremdenbücher und Kreisblätter sind die Stätten, wo gereimte Herzens¬
ergüsse besonders gern abgelagert werden. Es giebt aber noch einen ver¬
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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/580>, abgerufen am 25.01.2025.
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