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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Zur Kenntnis der englischen Weltpclitik

zeichnet. Von diesen erreicht keiner die Größe Deutschlands, der größte, Hcii-
derabad, ist nicht halb so groß wie Deutschland, einige sind Mittelstaaten, die
Mehrzahl klein und sehr klein. Sie bilden insgesamt fast genau zwei Fünftel
des indischen Kaiserreichs, ihre Bevölkerung ist aber nur ein Fünftel des
Ganzen. Ihr Boden ist viel weniger reich, ihre Wirtschaft weniger entwickelt
als im eigentlichen Britisch-Judien. Bezeichnend ist, wie sie durch alle Pro¬
vinzen zerstreut sind, und wie von den größern Eingebornenstaaten keiner das
Meer berührt. Ihre politische Beziehung zum Reich hat eine einheitliche Form
eigentlich erst 1877 erhalten, als die Königin von England den Titel Kaiserin
von Indien annahm. Damit waren nun alle jene kleinen oder außenliegenden
Gebiete mit zusammengefaßt, die noch nicht, wie die größern, ihre Selbständig¬
keit formell aufgegeben hatten. Es gehört zu den staunenswerten Leistungen
der englischen Verwaltung in Indien, wie sie diese paar hundert Gebiete mit
ihren so weit verschiednen Bewohnern und Herrschern in allen Stufen der
Abhängigkeit festhält, darüber wacht, daß sie ihre Staaten soweit ordentlich ver¬
walten, als es das Interesse des Kaiserreichs verlangt, und bis zur Sorge
für die Erziehung der jungen Prinzen durch englische I'uwrs für geordnete
Thronfolge u. s. w. herabsteigt. Aus der mit seltenen und vorübergehenden
Ausnahmen schlechten Verwaltung der noch bestehenden Eingebornenreiche In¬
diens heraus hat England den unendlich viel befriedigender" Zustand von heute
geschaffen. Zuerst beteiligte es sich selbst an dieser asiatischen Ausbeutung ohne
Rücksicht und Voraussicht, aber es sah früh seinen Vorteil in einer verständigen
Anwendung der Grundsätze eines aufgeklärten und womöglich humanen Des¬
potismus. Es hat unzweifelhaft sehr viel Gutes gethan in der Ordnung der
Landrechte der unterdrückten Bauern, ob sie nun Muselmänner, wie in Kaschmir,
oder Hindu, wie in Hindustan, waren. Es hat der Verwüstung der Menschen¬
leben in Menschenopfern und stumpf ertragncn Hungersnöten ein Ziel gesetzt.
Mancher launenhafte, tyrannische Kleinfürst ist unter englische Vormundschaft
gestellt worden.

Unbedeutend sind die Reste der portugiesischen und französischen Kolonien
in Indien. Die fünf offiziell anerkannten Reste des französischen Reichs in
Indien, wohlbekannt und wohlbegrenzt, umschließen nicht alles, worauf Frank¬
reich in Indien Anspruch hat. Der Vertrag von 1787 nennt eine ganze Reihe
von französischen I^vges (Faktoreien) auf jetzt englischem Boden, besonders in
Bengalen, unter anderen in Jugdia, Cosatinbasar, Patna und Dakka, die auch
in Zukunft unter französischer Flagge ihre Geschäfte treiben sollten. Die
Franzosen scheinen ihre Rechte auf keine dieser Besitzungen geltend gemacht zu
haben, bis die Einführung der Steuer auf indische Baumwvllwaren den Ge¬
danken erweckte, auf einer davon eine große Baumwollenspinnerei zu errichten.
Frankreich hat 1885 das englische Anerbieten, ihm für die Abtretung dieser
Rechte eine entsprechende Vergrößerung seiner eigentlichen Kvlonialgebiete zu


Zur Kenntnis der englischen Weltpclitik

zeichnet. Von diesen erreicht keiner die Größe Deutschlands, der größte, Hcii-
derabad, ist nicht halb so groß wie Deutschland, einige sind Mittelstaaten, die
Mehrzahl klein und sehr klein. Sie bilden insgesamt fast genau zwei Fünftel
des indischen Kaiserreichs, ihre Bevölkerung ist aber nur ein Fünftel des
Ganzen. Ihr Boden ist viel weniger reich, ihre Wirtschaft weniger entwickelt
als im eigentlichen Britisch-Judien. Bezeichnend ist, wie sie durch alle Pro¬
vinzen zerstreut sind, und wie von den größern Eingebornenstaaten keiner das
Meer berührt. Ihre politische Beziehung zum Reich hat eine einheitliche Form
eigentlich erst 1877 erhalten, als die Königin von England den Titel Kaiserin
von Indien annahm. Damit waren nun alle jene kleinen oder außenliegenden
Gebiete mit zusammengefaßt, die noch nicht, wie die größern, ihre Selbständig¬
keit formell aufgegeben hatten. Es gehört zu den staunenswerten Leistungen
der englischen Verwaltung in Indien, wie sie diese paar hundert Gebiete mit
ihren so weit verschiednen Bewohnern und Herrschern in allen Stufen der
Abhängigkeit festhält, darüber wacht, daß sie ihre Staaten soweit ordentlich ver¬
walten, als es das Interesse des Kaiserreichs verlangt, und bis zur Sorge
für die Erziehung der jungen Prinzen durch englische I'uwrs für geordnete
Thronfolge u. s. w. herabsteigt. Aus der mit seltenen und vorübergehenden
Ausnahmen schlechten Verwaltung der noch bestehenden Eingebornenreiche In¬
diens heraus hat England den unendlich viel befriedigender» Zustand von heute
geschaffen. Zuerst beteiligte es sich selbst an dieser asiatischen Ausbeutung ohne
Rücksicht und Voraussicht, aber es sah früh seinen Vorteil in einer verständigen
Anwendung der Grundsätze eines aufgeklärten und womöglich humanen Des¬
potismus. Es hat unzweifelhaft sehr viel Gutes gethan in der Ordnung der
Landrechte der unterdrückten Bauern, ob sie nun Muselmänner, wie in Kaschmir,
oder Hindu, wie in Hindustan, waren. Es hat der Verwüstung der Menschen¬
leben in Menschenopfern und stumpf ertragncn Hungersnöten ein Ziel gesetzt.
Mancher launenhafte, tyrannische Kleinfürst ist unter englische Vormundschaft
gestellt worden.

Unbedeutend sind die Reste der portugiesischen und französischen Kolonien
in Indien. Die fünf offiziell anerkannten Reste des französischen Reichs in
Indien, wohlbekannt und wohlbegrenzt, umschließen nicht alles, worauf Frank¬
reich in Indien Anspruch hat. Der Vertrag von 1787 nennt eine ganze Reihe
von französischen I^vges (Faktoreien) auf jetzt englischem Boden, besonders in
Bengalen, unter anderen in Jugdia, Cosatinbasar, Patna und Dakka, die auch
in Zukunft unter französischer Flagge ihre Geschäfte treiben sollten. Die
Franzosen scheinen ihre Rechte auf keine dieser Besitzungen geltend gemacht zu
haben, bis die Einführung der Steuer auf indische Baumwvllwaren den Ge¬
danken erweckte, auf einer davon eine große Baumwollenspinnerei zu errichten.
Frankreich hat 1885 das englische Anerbieten, ihm für die Abtretung dieser
Rechte eine entsprechende Vergrößerung seiner eigentlichen Kvlonialgebiete zu


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[0503] Zur Kenntnis der englischen Weltpclitik zeichnet. Von diesen erreicht keiner die Größe Deutschlands, der größte, Hcii- derabad, ist nicht halb so groß wie Deutschland, einige sind Mittelstaaten, die Mehrzahl klein und sehr klein. Sie bilden insgesamt fast genau zwei Fünftel des indischen Kaiserreichs, ihre Bevölkerung ist aber nur ein Fünftel des Ganzen. Ihr Boden ist viel weniger reich, ihre Wirtschaft weniger entwickelt als im eigentlichen Britisch-Judien. Bezeichnend ist, wie sie durch alle Pro¬ vinzen zerstreut sind, und wie von den größern Eingebornenstaaten keiner das Meer berührt. Ihre politische Beziehung zum Reich hat eine einheitliche Form eigentlich erst 1877 erhalten, als die Königin von England den Titel Kaiserin von Indien annahm. Damit waren nun alle jene kleinen oder außenliegenden Gebiete mit zusammengefaßt, die noch nicht, wie die größern, ihre Selbständig¬ keit formell aufgegeben hatten. Es gehört zu den staunenswerten Leistungen der englischen Verwaltung in Indien, wie sie diese paar hundert Gebiete mit ihren so weit verschiednen Bewohnern und Herrschern in allen Stufen der Abhängigkeit festhält, darüber wacht, daß sie ihre Staaten soweit ordentlich ver¬ walten, als es das Interesse des Kaiserreichs verlangt, und bis zur Sorge für die Erziehung der jungen Prinzen durch englische I'uwrs für geordnete Thronfolge u. s. w. herabsteigt. Aus der mit seltenen und vorübergehenden Ausnahmen schlechten Verwaltung der noch bestehenden Eingebornenreiche In¬ diens heraus hat England den unendlich viel befriedigender» Zustand von heute geschaffen. Zuerst beteiligte es sich selbst an dieser asiatischen Ausbeutung ohne Rücksicht und Voraussicht, aber es sah früh seinen Vorteil in einer verständigen Anwendung der Grundsätze eines aufgeklärten und womöglich humanen Des¬ potismus. Es hat unzweifelhaft sehr viel Gutes gethan in der Ordnung der Landrechte der unterdrückten Bauern, ob sie nun Muselmänner, wie in Kaschmir, oder Hindu, wie in Hindustan, waren. Es hat der Verwüstung der Menschen¬ leben in Menschenopfern und stumpf ertragncn Hungersnöten ein Ziel gesetzt. Mancher launenhafte, tyrannische Kleinfürst ist unter englische Vormundschaft gestellt worden. Unbedeutend sind die Reste der portugiesischen und französischen Kolonien in Indien. Die fünf offiziell anerkannten Reste des französischen Reichs in Indien, wohlbekannt und wohlbegrenzt, umschließen nicht alles, worauf Frank¬ reich in Indien Anspruch hat. Der Vertrag von 1787 nennt eine ganze Reihe von französischen I^vges (Faktoreien) auf jetzt englischem Boden, besonders in Bengalen, unter anderen in Jugdia, Cosatinbasar, Patna und Dakka, die auch in Zukunft unter französischer Flagge ihre Geschäfte treiben sollten. Die Franzosen scheinen ihre Rechte auf keine dieser Besitzungen geltend gemacht zu haben, bis die Einführung der Steuer auf indische Baumwvllwaren den Ge¬ danken erweckte, auf einer davon eine große Baumwollenspinnerei zu errichten. Frankreich hat 1885 das englische Anerbieten, ihm für die Abtretung dieser Rechte eine entsprechende Vergrößerung seiner eigentlichen Kvlonialgebiete zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/503>, abgerufen am 01.09.2024.