Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.Wie man sich verspricht Sehr oft kommt es beim Versprechen nicht bis zur vollen Vertauschung, leicht in Gefahr gerät, zu sagen: O wie Stiel, indem er die Lange des ü voraus¬ Ein Seitenstück zu den Aorklüngen, aber keine Abart der Vertauschungen, Wie man sich verspricht Sehr oft kommt es beim Versprechen nicht bis zur vollen Vertauschung, leicht in Gefahr gerät, zu sagen: O wie Stiel, indem er die Lange des ü voraus¬ Ein Seitenstück zu den Aorklüngen, aber keine Abart der Vertauschungen, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0483" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/220809"/> <fw type="header" place="top"> Wie man sich verspricht</fw><lb/> <p xml:id="ID_1922"> Sehr oft kommt es beim Versprechen nicht bis zur vollen Vertauschung,<lb/> Wohl tritt ein erst später zu erwartender satzten zu früh auf, aber er er¬<lb/> scheint dann auch da wieder, wo er eigentlich am Platze ist. Ein solcher Vor¬<lb/> klang, wie man es wohl deutsch nennen kann — Antizipation ist das geläufigere<lb/> Fremdwort dafür —, hat zur Folge, daß der vorn verdrängte Laut oder die<lb/> verdrängte Lautgruppe ganz verloren geht. Wie leicht beklagt sich jemand,<lb/> daß seine Warnungen ungeballt verhallen, und gewiß ist es nicht erst einem<lb/> Vorsitzenden begegnet, daß er verkündigte: ich werde nun zur Abschreitung der<lb/> Anträge schreiten. (Man sieht, daß der sich vordrängende satzten die Form<lb/> des verdrängten annimmt.) Einen bloßen Laut hat der Arzt vorausgenommen,<lb/> der von der Trockenhaut der Schleimhäute sprach. An diese Gruppe von Ver¬<lb/> sprechen lassen sich mich alle die anreihen, die vielleicht zu einer vollen Ver-<lb/> tauschung geführt Hütten, wenn der Sprecher seinen Satz zu Ende gesagt hätte;<lb/> aber er bemerkte sein Versehen und verbesserte sich. Meringer bringt hierfür<lb/> u. a. folgende Beispiele: Daß er vor zehn Reden — zehn Jahren die Rede<lb/> hätte halten sollen; er verkriecht sich in den Tiger — in den Käfig des Tigers;<lb/> ein achter — alter Achtundvierziger; in der Not fußt — frißt der Teufel<lb/> Fliegen; wenn das Messer — Wetter wieder besser ist; die neue preie — freie<lb/> Presse; der Sprecher meiß — weiß meistens nicht; Provat — Privatdozent;<lb/> Falls — Satisfaktion. Recht bezeichnend dafür, welche Ummodlung sich ein<lb/> vorspringender satzten bisweilen gefallen lassen muß, ist folgendes hübsche<lb/> Beispiel: Sie haben ja keine Ansicht — Ahnung, ich habe ja selbst gesehen.<lb/> Merkwürdig ist auch, daß man manchmal bloß eine Eigenschaft eines Lautes<lb/> vorausnimmt, z. B. die Quantität eines Vokals oder die Qualität eines<lb/> Konsonanten. Jeder berufsmäßige Rezitator wird bestätigen, daß er bei<lb/> Versen wie</p><lb/> <lg xml:id="POEMID_23" type="poem"> <l/> </lg><lb/> <p xml:id="ID_1923"> leicht in Gefahr gerät, zu sagen: O wie Stiel, indem er die Lange des ü voraus¬<lb/> nimmt. Und wem die Worte entfahren: Diese Muse ist in Pier getauft, dem<lb/> hat der kräftige Stammanlant von taufen einen Streich gespielt. Ja auch<lb/> dafür, daß ein folgender Modus oder eine folgende Person vorausgenommen<lb/> wird, bringt Meringer Beispiele: mit dein Publikum, das ich gehabt Hütte —<lb/> habe, Hütte sich das machen lassen; wie ich um die Ecke gekommen bist,<lb/> weißt du?</p><lb/> <p xml:id="ID_1924" next="#ID_1925"> Ein Seitenstück zu den Aorklüngen, aber keine Abart der Vertauschungen,<lb/> sind Nachklänge wie der Prager Streit mit den Streißtafeln, er schlüge mit<lb/> den Schwanzfloschen, nur die Claudier haben Appius gehau — geheißen.<lb/> Sehr oft, ja es ist wohl die Regel, treten solche Nachklünge im Anschluß an<lb/> eben gehörtes auf. Im Streite behauptet einer: der zweite wars; der andre<lb/> fährt dazwischen - noch klingt ihm das el von zweite im Sprachbewußt-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0483]
Wie man sich verspricht
Sehr oft kommt es beim Versprechen nicht bis zur vollen Vertauschung,
Wohl tritt ein erst später zu erwartender satzten zu früh auf, aber er er¬
scheint dann auch da wieder, wo er eigentlich am Platze ist. Ein solcher Vor¬
klang, wie man es wohl deutsch nennen kann — Antizipation ist das geläufigere
Fremdwort dafür —, hat zur Folge, daß der vorn verdrängte Laut oder die
verdrängte Lautgruppe ganz verloren geht. Wie leicht beklagt sich jemand,
daß seine Warnungen ungeballt verhallen, und gewiß ist es nicht erst einem
Vorsitzenden begegnet, daß er verkündigte: ich werde nun zur Abschreitung der
Anträge schreiten. (Man sieht, daß der sich vordrängende satzten die Form
des verdrängten annimmt.) Einen bloßen Laut hat der Arzt vorausgenommen,
der von der Trockenhaut der Schleimhäute sprach. An diese Gruppe von Ver¬
sprechen lassen sich mich alle die anreihen, die vielleicht zu einer vollen Ver-
tauschung geführt Hütten, wenn der Sprecher seinen Satz zu Ende gesagt hätte;
aber er bemerkte sein Versehen und verbesserte sich. Meringer bringt hierfür
u. a. folgende Beispiele: Daß er vor zehn Reden — zehn Jahren die Rede
hätte halten sollen; er verkriecht sich in den Tiger — in den Käfig des Tigers;
ein achter — alter Achtundvierziger; in der Not fußt — frißt der Teufel
Fliegen; wenn das Messer — Wetter wieder besser ist; die neue preie — freie
Presse; der Sprecher meiß — weiß meistens nicht; Provat — Privatdozent;
Falls — Satisfaktion. Recht bezeichnend dafür, welche Ummodlung sich ein
vorspringender satzten bisweilen gefallen lassen muß, ist folgendes hübsche
Beispiel: Sie haben ja keine Ansicht — Ahnung, ich habe ja selbst gesehen.
Merkwürdig ist auch, daß man manchmal bloß eine Eigenschaft eines Lautes
vorausnimmt, z. B. die Quantität eines Vokals oder die Qualität eines
Konsonanten. Jeder berufsmäßige Rezitator wird bestätigen, daß er bei
Versen wie
leicht in Gefahr gerät, zu sagen: O wie Stiel, indem er die Lange des ü voraus¬
nimmt. Und wem die Worte entfahren: Diese Muse ist in Pier getauft, dem
hat der kräftige Stammanlant von taufen einen Streich gespielt. Ja auch
dafür, daß ein folgender Modus oder eine folgende Person vorausgenommen
wird, bringt Meringer Beispiele: mit dein Publikum, das ich gehabt Hütte —
habe, Hütte sich das machen lassen; wie ich um die Ecke gekommen bist,
weißt du?
Ein Seitenstück zu den Aorklüngen, aber keine Abart der Vertauschungen,
sind Nachklänge wie der Prager Streit mit den Streißtafeln, er schlüge mit
den Schwanzfloschen, nur die Claudier haben Appius gehau — geheißen.
Sehr oft, ja es ist wohl die Regel, treten solche Nachklünge im Anschluß an
eben gehörtes auf. Im Streite behauptet einer: der zweite wars; der andre
fährt dazwischen - noch klingt ihm das el von zweite im Sprachbewußt-
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |