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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Brasilien

Silveira Martins; war er es doch gewesen, ans dessen Betreiben die Gleich¬
berechtigung der Konfessionen ausgesprochen worden war. Nach dem Tode
ihres Führers aber begannen die Deutschen, sich mehr und mehr von der
blinden Unterwürfigkeit unter die liberale Partei freizumachen, umsomehr, als
Silveira Martins die Föderalisten unklugerweise in zwei Gruppen trennte und
für die den Kolonisten mit Recht unsympathische Listenwahl (ovo invoruple-to)
eintrat, statt die von der Kvlouiepartei vorgeschlague Einzelwahl der Vertreter
in Bezirken zu befürworten. Die Bestrebungen, eine deutsche Partei zu bilden,
fanden ihren Ausdruck in der Gründung der "Kolouievereinc," wobei von den
deutschen Blättern immer hervorgehoben wurde, daß es sich nicht in erster
Linie um eine Vertretung der Fragen hoher Politik handle, sondern um ein
thatkräftiges Eintreten sür die Umgestaltung oder mindestens Verbesserung der
wirtschaftlichen Verhältnisse. Die Bildung der Partei geschah nach dem Muster
eiues der bedeutendsten Vereine, des von Sav Louren<)0, aus dessen Satzungen
wir folgende Punkte hervorheben: "Der Verein ist politisch farblos. Seine
Thätigkeit während des Krieges ist darauf gerichtet, ungesetzlichen Rekruti-
rungen Gegenmaßregeln gegenüberzustellen, sowie Raub und Mord der umher¬
ziehenden Banden zu verhindern. Ferner erstrebt der Verein eine Vertretung
im Munizipalrat und in der Bezirksverwaltung und tritt für eine weit¬
gehende Selbstverwaltung der Mnnizipicn, für gerechte Besteuerung, Hebung
der Verkehrswege u. s. w. ein."

Daß ein solcher Zusammenschluß der deutschen Bevölkerung zur Selbst¬
hilfe notwendig war, zeigte sich schnell bei einigen Ereignissen, bei denen der
ganze Haß der Romanen gegen die Germanen wieder hervortrat. Ich meine
die Mißhandlungen Deutscher auf einem Feste in Curityba (Provinz Parana)
durch -- die brasilianische Polizei und ähnliche Dinge, die in Sav Paulo und
Rio Grande do Suk vorgekommen sind. Die Deutschbrasilianer selbst erklären
diese Vergewaltigungen damit, daß ein großer Teil der jetzigen Brasilianer
aus frühern Sklaven, freigelassenen und Sklavenhaltern bestehe, die trotz ihrer
Roheit und Unbildung die maßgebender! Behörden besetzt hielten. Infolge der
bei jenen Anlässen zu Tage getretner UnWilligkeit der Behörden, den Deutschen
den gesetzlich gewährleisteten Schutz anch thatsächlich angedeihen zu lassen, erließ
die "Germania" in Sav Paulo 1893 einen Aufruf zur Gründung eiues "Deut¬
schen Rechtsschutzvereins."

Leider blieben die Einigungsbestrebungen der Deutschen nicht ungestört,
da die katholische Geistlichkeit eingriff und an der Spitze einer kleinen, aber
rücksichtslosen Gruppe gegen die Kolonievereine arbeitete. Dieses "brasilianische
Zentrum" erklärte die Bestrebungen der Kolonievereine, Requisitionen und Re-
krutirungen zu verhindern, für ungesetzlich, da man für die "legale" Negie¬
rung, d. h. für die Castilhisten, eintreten und Opfer bringen müsse. Die poli¬
tische Farblosigkeit, die man aufrecht erhalten wollte und anch eine Zeit lang


Brasilien

Silveira Martins; war er es doch gewesen, ans dessen Betreiben die Gleich¬
berechtigung der Konfessionen ausgesprochen worden war. Nach dem Tode
ihres Führers aber begannen die Deutschen, sich mehr und mehr von der
blinden Unterwürfigkeit unter die liberale Partei freizumachen, umsomehr, als
Silveira Martins die Föderalisten unklugerweise in zwei Gruppen trennte und
für die den Kolonisten mit Recht unsympathische Listenwahl (ovo invoruple-to)
eintrat, statt die von der Kvlouiepartei vorgeschlague Einzelwahl der Vertreter
in Bezirken zu befürworten. Die Bestrebungen, eine deutsche Partei zu bilden,
fanden ihren Ausdruck in der Gründung der „Kolouievereinc," wobei von den
deutschen Blättern immer hervorgehoben wurde, daß es sich nicht in erster
Linie um eine Vertretung der Fragen hoher Politik handle, sondern um ein
thatkräftiges Eintreten sür die Umgestaltung oder mindestens Verbesserung der
wirtschaftlichen Verhältnisse. Die Bildung der Partei geschah nach dem Muster
eiues der bedeutendsten Vereine, des von Sav Louren<)0, aus dessen Satzungen
wir folgende Punkte hervorheben: „Der Verein ist politisch farblos. Seine
Thätigkeit während des Krieges ist darauf gerichtet, ungesetzlichen Rekruti-
rungen Gegenmaßregeln gegenüberzustellen, sowie Raub und Mord der umher¬
ziehenden Banden zu verhindern. Ferner erstrebt der Verein eine Vertretung
im Munizipalrat und in der Bezirksverwaltung und tritt für eine weit¬
gehende Selbstverwaltung der Mnnizipicn, für gerechte Besteuerung, Hebung
der Verkehrswege u. s. w. ein."

Daß ein solcher Zusammenschluß der deutschen Bevölkerung zur Selbst¬
hilfe notwendig war, zeigte sich schnell bei einigen Ereignissen, bei denen der
ganze Haß der Romanen gegen die Germanen wieder hervortrat. Ich meine
die Mißhandlungen Deutscher auf einem Feste in Curityba (Provinz Parana)
durch — die brasilianische Polizei und ähnliche Dinge, die in Sav Paulo und
Rio Grande do Suk vorgekommen sind. Die Deutschbrasilianer selbst erklären
diese Vergewaltigungen damit, daß ein großer Teil der jetzigen Brasilianer
aus frühern Sklaven, freigelassenen und Sklavenhaltern bestehe, die trotz ihrer
Roheit und Unbildung die maßgebender! Behörden besetzt hielten. Infolge der
bei jenen Anlässen zu Tage getretner UnWilligkeit der Behörden, den Deutschen
den gesetzlich gewährleisteten Schutz anch thatsächlich angedeihen zu lassen, erließ
die „Germania" in Sav Paulo 1893 einen Aufruf zur Gründung eiues „Deut¬
schen Rechtsschutzvereins."

Leider blieben die Einigungsbestrebungen der Deutschen nicht ungestört,
da die katholische Geistlichkeit eingriff und an der Spitze einer kleinen, aber
rücksichtslosen Gruppe gegen die Kolonievereine arbeitete. Dieses „brasilianische
Zentrum" erklärte die Bestrebungen der Kolonievereine, Requisitionen und Re-
krutirungen zu verhindern, für ungesetzlich, da man für die „legale" Negie¬
rung, d. h. für die Castilhisten, eintreten und Opfer bringen müsse. Die poli¬
tische Farblosigkeit, die man aufrecht erhalten wollte und anch eine Zeit lang


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[0420] Brasilien Silveira Martins; war er es doch gewesen, ans dessen Betreiben die Gleich¬ berechtigung der Konfessionen ausgesprochen worden war. Nach dem Tode ihres Führers aber begannen die Deutschen, sich mehr und mehr von der blinden Unterwürfigkeit unter die liberale Partei freizumachen, umsomehr, als Silveira Martins die Föderalisten unklugerweise in zwei Gruppen trennte und für die den Kolonisten mit Recht unsympathische Listenwahl (ovo invoruple-to) eintrat, statt die von der Kvlouiepartei vorgeschlague Einzelwahl der Vertreter in Bezirken zu befürworten. Die Bestrebungen, eine deutsche Partei zu bilden, fanden ihren Ausdruck in der Gründung der „Kolouievereinc," wobei von den deutschen Blättern immer hervorgehoben wurde, daß es sich nicht in erster Linie um eine Vertretung der Fragen hoher Politik handle, sondern um ein thatkräftiges Eintreten sür die Umgestaltung oder mindestens Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse. Die Bildung der Partei geschah nach dem Muster eiues der bedeutendsten Vereine, des von Sav Louren<)0, aus dessen Satzungen wir folgende Punkte hervorheben: „Der Verein ist politisch farblos. Seine Thätigkeit während des Krieges ist darauf gerichtet, ungesetzlichen Rekruti- rungen Gegenmaßregeln gegenüberzustellen, sowie Raub und Mord der umher¬ ziehenden Banden zu verhindern. Ferner erstrebt der Verein eine Vertretung im Munizipalrat und in der Bezirksverwaltung und tritt für eine weit¬ gehende Selbstverwaltung der Mnnizipicn, für gerechte Besteuerung, Hebung der Verkehrswege u. s. w. ein." Daß ein solcher Zusammenschluß der deutschen Bevölkerung zur Selbst¬ hilfe notwendig war, zeigte sich schnell bei einigen Ereignissen, bei denen der ganze Haß der Romanen gegen die Germanen wieder hervortrat. Ich meine die Mißhandlungen Deutscher auf einem Feste in Curityba (Provinz Parana) durch — die brasilianische Polizei und ähnliche Dinge, die in Sav Paulo und Rio Grande do Suk vorgekommen sind. Die Deutschbrasilianer selbst erklären diese Vergewaltigungen damit, daß ein großer Teil der jetzigen Brasilianer aus frühern Sklaven, freigelassenen und Sklavenhaltern bestehe, die trotz ihrer Roheit und Unbildung die maßgebender! Behörden besetzt hielten. Infolge der bei jenen Anlässen zu Tage getretner UnWilligkeit der Behörden, den Deutschen den gesetzlich gewährleisteten Schutz anch thatsächlich angedeihen zu lassen, erließ die „Germania" in Sav Paulo 1893 einen Aufruf zur Gründung eiues „Deut¬ schen Rechtsschutzvereins." Leider blieben die Einigungsbestrebungen der Deutschen nicht ungestört, da die katholische Geistlichkeit eingriff und an der Spitze einer kleinen, aber rücksichtslosen Gruppe gegen die Kolonievereine arbeitete. Dieses „brasilianische Zentrum" erklärte die Bestrebungen der Kolonievereine, Requisitionen und Re- krutirungen zu verhindern, für ungesetzlich, da man für die „legale" Negie¬ rung, d. h. für die Castilhisten, eintreten und Opfer bringen müsse. Die poli¬ tische Farblosigkeit, die man aufrecht erhalten wollte und anch eine Zeit lang

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/420>, abgerufen am 28.07.2024.