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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Friedrich Hebbel und Btto Ludwig

an, sehe, ob sie Hebbel Zahlen gewesen sein können, Meister Anton, der so
manches aus des Dichters Natur, seine Härte wie seine Weichheit, wieder¬
spiegelt, die rührende Gestalt der Mutter, Klara vor allem, die durch und
durch von warmem Lebensblut getränkt ist, der Sekretär, selbst der leichtsinnige
Karl! Solche Gestalten schafft man nicht ohne künstlerische Wärme, und hat
man sie geschaffen, so geht man mit ihnen nicht wie mit Zahlen um. Ich
habe in der "Maria Magdalene" niemals das heimlich anwesende Mitgefühl
des Dichters mit seiner Klara vermißt, die so namenlos hart aus der Welt
hinausgedrängt wird, und wie nur, wird es jedem ergehen, der nur die beiden
ganz einzigen kurzen Monologe der Klara ohne Voreingenommenheit auf sich
wirken läßt. Von den unzweifelhaft dem Gemüte des Dichters entstammenden
heimatlichen Zügen in der "Maria Magdalene" habe ich schon gesprochen. Es
ist aber überhaupt eine falsche Annahme, daß der Dichter den tiefsten Schmerz
darstellen könne, ohne selbst ergriffen zu sein, das Schaffen ist auf alle Fälle
eine Art Wiederdurchleben, mag die vorwärtstreibende Vildkraft auch nicht ein
langes Verweilen und ein Vertiefen in die einzelnen Empfindungen erlauben,
die dafür in ihrer ganzen Stärke gewissermaßen latent basirt. Hebbels Schürfe
und Unerbittlichkeit, das gelegentliche Auftauchen nicht ganz überwundner
Reflexion in seinen Dramen, vor allem die Härte seiner nordischen Natur,
die überhaupt den Schmerz lieber erstarren als den natürlichen Ausweg in der
Klage nehme" läßt, haben das Gerede von seiner Kälte aufgebracht, während doch
ein schärferer Beobachter die geheimen Spuren tiefen Leids auch in der Seele
des Dichters nirgends verkennen kann. Weiter sagt Ludwig in seiner Kritik:
"Der Dichter schließe menschlich mit dem Todesurteile, damit ist das Reich des
Tragischen ans; die vergeblichen Windungen und Krümmungen des gewissen
Opfers sind nicht mehr tragisch, sind grüßlich und passen nicht für die edelste
Gattung der Poesie, sondern sind sür die Leierorgel der Bänkelsänger. Der
Dichter ist der Richter, nicht der Henker." Einem Hebbel mit der Leiervrgel
der Bänkelsänger zu kommen, und zwar bei Gelegenheit der "Maria Magda¬
lene," ist doch ein wenig stark. Aber auch von diesem übertriebnen Ausdruck
abgesehen, die Ausführungen Ludwigs treffen Hebbels Drama nicht. Es ist
nicht nur das Recht, sondern die Pflicht des Dichters, seinen Charakter in eben
den Situntioneu zu zeigen, wo sich sein Wesen am reinsten offenbart, und um
die Größe der Klara darzustellen, war es allerdings nötig, sie jene vergeb¬
lichen Windungen und Krümmungen, von denen Ludwig redet, die sich jedoch
in der Hauptsache auf eine, die Demütigung vor dem verhaßten Verführer be¬
schränken, durchmachen zu lassen. Das zertretne Weib wirkt zunächst freilich
nicht erhebend, aber es ist doch am Ende etwas Gewaltiges, wie es sein
Schicksal auf sich nimmt, und der Geist tragischer Notwendigkeit waltet ganz
gewiß von Anfang bis zu Eude in der "Maria Magdalene." Auch ist Hebbel
nichts weniger als ein Henker, freilich auch kein Richter, sondern eben nur ein


Friedrich Hebbel und Btto Ludwig

an, sehe, ob sie Hebbel Zahlen gewesen sein können, Meister Anton, der so
manches aus des Dichters Natur, seine Härte wie seine Weichheit, wieder¬
spiegelt, die rührende Gestalt der Mutter, Klara vor allem, die durch und
durch von warmem Lebensblut getränkt ist, der Sekretär, selbst der leichtsinnige
Karl! Solche Gestalten schafft man nicht ohne künstlerische Wärme, und hat
man sie geschaffen, so geht man mit ihnen nicht wie mit Zahlen um. Ich
habe in der „Maria Magdalene" niemals das heimlich anwesende Mitgefühl
des Dichters mit seiner Klara vermißt, die so namenlos hart aus der Welt
hinausgedrängt wird, und wie nur, wird es jedem ergehen, der nur die beiden
ganz einzigen kurzen Monologe der Klara ohne Voreingenommenheit auf sich
wirken läßt. Von den unzweifelhaft dem Gemüte des Dichters entstammenden
heimatlichen Zügen in der „Maria Magdalene" habe ich schon gesprochen. Es
ist aber überhaupt eine falsche Annahme, daß der Dichter den tiefsten Schmerz
darstellen könne, ohne selbst ergriffen zu sein, das Schaffen ist auf alle Fälle
eine Art Wiederdurchleben, mag die vorwärtstreibende Vildkraft auch nicht ein
langes Verweilen und ein Vertiefen in die einzelnen Empfindungen erlauben,
die dafür in ihrer ganzen Stärke gewissermaßen latent basirt. Hebbels Schürfe
und Unerbittlichkeit, das gelegentliche Auftauchen nicht ganz überwundner
Reflexion in seinen Dramen, vor allem die Härte seiner nordischen Natur,
die überhaupt den Schmerz lieber erstarren als den natürlichen Ausweg in der
Klage nehme» läßt, haben das Gerede von seiner Kälte aufgebracht, während doch
ein schärferer Beobachter die geheimen Spuren tiefen Leids auch in der Seele
des Dichters nirgends verkennen kann. Weiter sagt Ludwig in seiner Kritik:
„Der Dichter schließe menschlich mit dem Todesurteile, damit ist das Reich des
Tragischen ans; die vergeblichen Windungen und Krümmungen des gewissen
Opfers sind nicht mehr tragisch, sind grüßlich und passen nicht für die edelste
Gattung der Poesie, sondern sind sür die Leierorgel der Bänkelsänger. Der
Dichter ist der Richter, nicht der Henker." Einem Hebbel mit der Leiervrgel
der Bänkelsänger zu kommen, und zwar bei Gelegenheit der „Maria Magda¬
lene," ist doch ein wenig stark. Aber auch von diesem übertriebnen Ausdruck
abgesehen, die Ausführungen Ludwigs treffen Hebbels Drama nicht. Es ist
nicht nur das Recht, sondern die Pflicht des Dichters, seinen Charakter in eben
den Situntioneu zu zeigen, wo sich sein Wesen am reinsten offenbart, und um
die Größe der Klara darzustellen, war es allerdings nötig, sie jene vergeb¬
lichen Windungen und Krümmungen, von denen Ludwig redet, die sich jedoch
in der Hauptsache auf eine, die Demütigung vor dem verhaßten Verführer be¬
schränken, durchmachen zu lassen. Das zertretne Weib wirkt zunächst freilich
nicht erhebend, aber es ist doch am Ende etwas Gewaltiges, wie es sein
Schicksal auf sich nimmt, und der Geist tragischer Notwendigkeit waltet ganz
gewiß von Anfang bis zu Eude in der „Maria Magdalene." Auch ist Hebbel
nichts weniger als ein Henker, freilich auch kein Richter, sondern eben nur ein


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[0384] Friedrich Hebbel und Btto Ludwig an, sehe, ob sie Hebbel Zahlen gewesen sein können, Meister Anton, der so manches aus des Dichters Natur, seine Härte wie seine Weichheit, wieder¬ spiegelt, die rührende Gestalt der Mutter, Klara vor allem, die durch und durch von warmem Lebensblut getränkt ist, der Sekretär, selbst der leichtsinnige Karl! Solche Gestalten schafft man nicht ohne künstlerische Wärme, und hat man sie geschaffen, so geht man mit ihnen nicht wie mit Zahlen um. Ich habe in der „Maria Magdalene" niemals das heimlich anwesende Mitgefühl des Dichters mit seiner Klara vermißt, die so namenlos hart aus der Welt hinausgedrängt wird, und wie nur, wird es jedem ergehen, der nur die beiden ganz einzigen kurzen Monologe der Klara ohne Voreingenommenheit auf sich wirken läßt. Von den unzweifelhaft dem Gemüte des Dichters entstammenden heimatlichen Zügen in der „Maria Magdalene" habe ich schon gesprochen. Es ist aber überhaupt eine falsche Annahme, daß der Dichter den tiefsten Schmerz darstellen könne, ohne selbst ergriffen zu sein, das Schaffen ist auf alle Fälle eine Art Wiederdurchleben, mag die vorwärtstreibende Vildkraft auch nicht ein langes Verweilen und ein Vertiefen in die einzelnen Empfindungen erlauben, die dafür in ihrer ganzen Stärke gewissermaßen latent basirt. Hebbels Schürfe und Unerbittlichkeit, das gelegentliche Auftauchen nicht ganz überwundner Reflexion in seinen Dramen, vor allem die Härte seiner nordischen Natur, die überhaupt den Schmerz lieber erstarren als den natürlichen Ausweg in der Klage nehme» läßt, haben das Gerede von seiner Kälte aufgebracht, während doch ein schärferer Beobachter die geheimen Spuren tiefen Leids auch in der Seele des Dichters nirgends verkennen kann. Weiter sagt Ludwig in seiner Kritik: „Der Dichter schließe menschlich mit dem Todesurteile, damit ist das Reich des Tragischen ans; die vergeblichen Windungen und Krümmungen des gewissen Opfers sind nicht mehr tragisch, sind grüßlich und passen nicht für die edelste Gattung der Poesie, sondern sind sür die Leierorgel der Bänkelsänger. Der Dichter ist der Richter, nicht der Henker." Einem Hebbel mit der Leiervrgel der Bänkelsänger zu kommen, und zwar bei Gelegenheit der „Maria Magda¬ lene," ist doch ein wenig stark. Aber auch von diesem übertriebnen Ausdruck abgesehen, die Ausführungen Ludwigs treffen Hebbels Drama nicht. Es ist nicht nur das Recht, sondern die Pflicht des Dichters, seinen Charakter in eben den Situntioneu zu zeigen, wo sich sein Wesen am reinsten offenbart, und um die Größe der Klara darzustellen, war es allerdings nötig, sie jene vergeb¬ lichen Windungen und Krümmungen, von denen Ludwig redet, die sich jedoch in der Hauptsache auf eine, die Demütigung vor dem verhaßten Verführer be¬ schränken, durchmachen zu lassen. Das zertretne Weib wirkt zunächst freilich nicht erhebend, aber es ist doch am Ende etwas Gewaltiges, wie es sein Schicksal auf sich nimmt, und der Geist tragischer Notwendigkeit waltet ganz gewiß von Anfang bis zu Eude in der „Maria Magdalene." Auch ist Hebbel nichts weniger als ein Henker, freilich auch kein Richter, sondern eben nur ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/384>, abgerufen am 28.07.2024.