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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Anselm von Feuerbach als politischer Schriftsteller

Lange genug hat es freilich gedauert, bis dieses Wort allmählich zur Wahr¬
heit wurde. In München aber hatte sich der Mann, der so kühn den herr¬
schenden Souveränitütsbegriffen entgegengetreten war, unmöglich gemacht. Schon
vorher war er polizeilich überwacht, war jeder, der mit ihm umging, als ver¬
dächtig betrachtet worden. Jetzt wurde er an das Appellationsgericht zu Bam-
berg versetzt, in eine für seine Natur äußerst unbehagliche Zwitterstellung als
zweiter Präsident. Nur dem König hatte er es zu danken, daß ihm sein
Gehalt und sein Rang als Geheimer Rat gelassen wurde.

Erst zwei Jahre später erhielt er, nachdem er den Versuch, ihn als Ge¬
neralkommissar des Salzach-Kreises mit diesem an Österreich abzutreten, mit
Aufbietung seiner ganzen Zähigkeit glücklich abgewendet hatte, als erster Prä¬
sident des Appellationsgerichts zu Ansbach wieder einen befriedigenden Wir¬
kungskreis. Hier lebte er seinem Amt, seinen wissenschaftlichen Arbeiten und
seiner Familie, von "seinem Krähwinkel" aus den öffentlichen Begebenheiten
aufmerksam folgend, in anregendem Briefwechsel mit Gleichgesinnten, besonders
mit seiner mütterlichen Freundin Elise von der Recke.

Goldne Worte über die hohe Würde des Richteramts enthält die Rede,
mit der er am 21. April 1817 sein Amt antrcir. In der Unabhängigkeit der
Rechtspflege sieht er das sicherste Bollwerk der Freiheit, das Kennzeichen der
Gesundheit des Staats. Und mit dieser Unabhängigkeit ist es ihm voller
Ernst: "Der Richter empfängt, gleich dem Manne der Verwaltung, aus des
Königs Hand sein Amt -- aber ein Amt, das die Pflicht auf sich hat, keinem
andern Herrn zu dienen als der Gerechtigkeit, keinem andern Willen zu ge¬
horchen als dem Willen des Gesetzes ... So sind also die Richter innerhalb
der Grenzen ihres Richteramts so wenig Diener der obersten Gewalt, daß sie
dieser, wenn sie jene Grenze überschreiten sollte, sogar den Gehorsam zu ver¬
sagen nicht etwa nur berechtigt, sondern kraft ihres Eides verbunden sind."

Ein Jahr zuvor hatte Feuerbach auch in dem Streit zwischen Thibaut
und Savigny über die Schaffung eines bürgerlichen Gesetzbuchs das Wort
ergriffen. Der Mann der That konnte natürlich nicht auf der Seite der
schwächlichen Verneinung stehen; wenn er auch zunächst, "weil man bei deutschen
Angelegenheiten in der Mehrzahl sprechen muß," nur Gesetzbücher für die
Einzelstaaten für erreichbar hielt. seinem gesunden Sinne war es völlig
unbegreiflich, wie der historischen Rechtswissenschaft die Aufgabe zufallen sollte,
durch ihre gelehrten Forschungen ein volkstümliches, dem Bedürfnis der Gegen¬
wart angemessenes Recht zu finden. Mit feiner Ironie stellt er dem deutschen
Professor das Bild des mitten im Leben stehenden römischen Rechtslehrers
entgegen: "Wo er stand und ging, war er bei sich zu Hause, was er umfaßte,
was ihn durchdrang, war seine Zeit und die Gegenwart mit ihrem Haben
und Bedürfen; was er erkannte, bearbeitete, gestaltete, war sein und seines
Volkes Recht."


Anselm von Feuerbach als politischer Schriftsteller

Lange genug hat es freilich gedauert, bis dieses Wort allmählich zur Wahr¬
heit wurde. In München aber hatte sich der Mann, der so kühn den herr¬
schenden Souveränitütsbegriffen entgegengetreten war, unmöglich gemacht. Schon
vorher war er polizeilich überwacht, war jeder, der mit ihm umging, als ver¬
dächtig betrachtet worden. Jetzt wurde er an das Appellationsgericht zu Bam-
berg versetzt, in eine für seine Natur äußerst unbehagliche Zwitterstellung als
zweiter Präsident. Nur dem König hatte er es zu danken, daß ihm sein
Gehalt und sein Rang als Geheimer Rat gelassen wurde.

Erst zwei Jahre später erhielt er, nachdem er den Versuch, ihn als Ge¬
neralkommissar des Salzach-Kreises mit diesem an Österreich abzutreten, mit
Aufbietung seiner ganzen Zähigkeit glücklich abgewendet hatte, als erster Prä¬
sident des Appellationsgerichts zu Ansbach wieder einen befriedigenden Wir¬
kungskreis. Hier lebte er seinem Amt, seinen wissenschaftlichen Arbeiten und
seiner Familie, von „seinem Krähwinkel" aus den öffentlichen Begebenheiten
aufmerksam folgend, in anregendem Briefwechsel mit Gleichgesinnten, besonders
mit seiner mütterlichen Freundin Elise von der Recke.

Goldne Worte über die hohe Würde des Richteramts enthält die Rede,
mit der er am 21. April 1817 sein Amt antrcir. In der Unabhängigkeit der
Rechtspflege sieht er das sicherste Bollwerk der Freiheit, das Kennzeichen der
Gesundheit des Staats. Und mit dieser Unabhängigkeit ist es ihm voller
Ernst: „Der Richter empfängt, gleich dem Manne der Verwaltung, aus des
Königs Hand sein Amt — aber ein Amt, das die Pflicht auf sich hat, keinem
andern Herrn zu dienen als der Gerechtigkeit, keinem andern Willen zu ge¬
horchen als dem Willen des Gesetzes ... So sind also die Richter innerhalb
der Grenzen ihres Richteramts so wenig Diener der obersten Gewalt, daß sie
dieser, wenn sie jene Grenze überschreiten sollte, sogar den Gehorsam zu ver¬
sagen nicht etwa nur berechtigt, sondern kraft ihres Eides verbunden sind."

Ein Jahr zuvor hatte Feuerbach auch in dem Streit zwischen Thibaut
und Savigny über die Schaffung eines bürgerlichen Gesetzbuchs das Wort
ergriffen. Der Mann der That konnte natürlich nicht auf der Seite der
schwächlichen Verneinung stehen; wenn er auch zunächst, „weil man bei deutschen
Angelegenheiten in der Mehrzahl sprechen muß," nur Gesetzbücher für die
Einzelstaaten für erreichbar hielt. seinem gesunden Sinne war es völlig
unbegreiflich, wie der historischen Rechtswissenschaft die Aufgabe zufallen sollte,
durch ihre gelehrten Forschungen ein volkstümliches, dem Bedürfnis der Gegen¬
wart angemessenes Recht zu finden. Mit feiner Ironie stellt er dem deutschen
Professor das Bild des mitten im Leben stehenden römischen Rechtslehrers
entgegen: „Wo er stand und ging, war er bei sich zu Hause, was er umfaßte,
was ihn durchdrang, war seine Zeit und die Gegenwart mit ihrem Haben
und Bedürfen; was er erkannte, bearbeitete, gestaltete, war sein und seines
Volkes Recht."


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[0374] Anselm von Feuerbach als politischer Schriftsteller Lange genug hat es freilich gedauert, bis dieses Wort allmählich zur Wahr¬ heit wurde. In München aber hatte sich der Mann, der so kühn den herr¬ schenden Souveränitütsbegriffen entgegengetreten war, unmöglich gemacht. Schon vorher war er polizeilich überwacht, war jeder, der mit ihm umging, als ver¬ dächtig betrachtet worden. Jetzt wurde er an das Appellationsgericht zu Bam- berg versetzt, in eine für seine Natur äußerst unbehagliche Zwitterstellung als zweiter Präsident. Nur dem König hatte er es zu danken, daß ihm sein Gehalt und sein Rang als Geheimer Rat gelassen wurde. Erst zwei Jahre später erhielt er, nachdem er den Versuch, ihn als Ge¬ neralkommissar des Salzach-Kreises mit diesem an Österreich abzutreten, mit Aufbietung seiner ganzen Zähigkeit glücklich abgewendet hatte, als erster Prä¬ sident des Appellationsgerichts zu Ansbach wieder einen befriedigenden Wir¬ kungskreis. Hier lebte er seinem Amt, seinen wissenschaftlichen Arbeiten und seiner Familie, von „seinem Krähwinkel" aus den öffentlichen Begebenheiten aufmerksam folgend, in anregendem Briefwechsel mit Gleichgesinnten, besonders mit seiner mütterlichen Freundin Elise von der Recke. Goldne Worte über die hohe Würde des Richteramts enthält die Rede, mit der er am 21. April 1817 sein Amt antrcir. In der Unabhängigkeit der Rechtspflege sieht er das sicherste Bollwerk der Freiheit, das Kennzeichen der Gesundheit des Staats. Und mit dieser Unabhängigkeit ist es ihm voller Ernst: „Der Richter empfängt, gleich dem Manne der Verwaltung, aus des Königs Hand sein Amt — aber ein Amt, das die Pflicht auf sich hat, keinem andern Herrn zu dienen als der Gerechtigkeit, keinem andern Willen zu ge¬ horchen als dem Willen des Gesetzes ... So sind also die Richter innerhalb der Grenzen ihres Richteramts so wenig Diener der obersten Gewalt, daß sie dieser, wenn sie jene Grenze überschreiten sollte, sogar den Gehorsam zu ver¬ sagen nicht etwa nur berechtigt, sondern kraft ihres Eides verbunden sind." Ein Jahr zuvor hatte Feuerbach auch in dem Streit zwischen Thibaut und Savigny über die Schaffung eines bürgerlichen Gesetzbuchs das Wort ergriffen. Der Mann der That konnte natürlich nicht auf der Seite der schwächlichen Verneinung stehen; wenn er auch zunächst, „weil man bei deutschen Angelegenheiten in der Mehrzahl sprechen muß," nur Gesetzbücher für die Einzelstaaten für erreichbar hielt. seinem gesunden Sinne war es völlig unbegreiflich, wie der historischen Rechtswissenschaft die Aufgabe zufallen sollte, durch ihre gelehrten Forschungen ein volkstümliches, dem Bedürfnis der Gegen¬ wart angemessenes Recht zu finden. Mit feiner Ironie stellt er dem deutschen Professor das Bild des mitten im Leben stehenden römischen Rechtslehrers entgegen: „Wo er stand und ging, war er bei sich zu Hause, was er umfaßte, was ihn durchdrang, war seine Zeit und die Gegenwart mit ihrem Haben und Bedürfen; was er erkannte, bearbeitete, gestaltete, war sein und seines Volkes Recht."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/374>, abgerufen am 28.07.2024.