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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Anselm von Feuerbach als politischer Schriftsteller

unterworfen hatte: "Alle Thorheiten dieses Volkes galten uns für Weisheit;
feine Laster für nachahmenswerte Tugenden, Unsern deutschen Ernst gaben
wir hin für französische Leichtfertigkeit, unsrer Väter Sitten für französische
Geckerei. Franzosen lehrten uns die Gesetze des Anstandes; Franzosen be¬
stimmten uns die wechselnden Formen unsrer Kleider; Französinnen erzogen
und bildeten unsre deutschen Töchter, und deutsche Männer und Frauen durften
sich um so vornehmer dünken, je mehr sie sich ihrer herrlichen, kräftigen Landes¬
sprache schämten, um die fremden Töne einer geistig armen, dem Ohr ge¬
fälligen Sprache zu stammeln." Feuerbach selbst bemerkte dazu, das möge
früher entschuldbar gewesen sein; aber nicht mehr jetzt, wo die deutsche Sprache
"ihre Kraft, ihren Reichtum, ihre Schönheit durch unsterbliche Geisteswcrke auf
das herrlichste entwickelt hat." "Um deutsch zu denken, sügt er hinzu, muß
man deutsch sprechen, und wer die Sprache seines Volkes gering schützt, der
bezeugt Verachtung diesem Volke und seinem Geiste."

Als im Herbst 1814 der Wiener Kongreß eröffnet wurde, war Feuerbach
alsbald wieder als Mahner auf dem Plan; im Oktober erschien seine Schrift:
"Über deutsche Freiheit und Vertretung deutscher Völker durch Landstände."
Der Befreiung von der Fremdherrschaft -- so führt er darin aus -- muß
nun auch die innere staatsbürgerliche Freiheit folgen. "Fast alles ist bei uns er¬
schüttert oder zerstört, was Völker stark und glücklich, mit sich und mit dem Staate,
dem sie angehören, zufrieden macht. Die zerfallenen Staatsgebäude müssen
wieder aufgerichtet, die Gerechtigkeit und Ordnung durch Verfassungen gesichert
werden. Die Deutschen sind ihrer Gesinnung nach ein monarchisches Volk,
aber von Alters her ist ihnen auch gesetzliche Freiheit eigen, das Recht der
Teilnahme an der Gesetzgebung, wie das Recht, nicht willkürlich besteuert zu
werden. Die blutigen Opfer, welche das deutsche Volk gebracht hat, haben
nicht bloß dem Fürstenrecht, sondern dem Volksrecht gegolten; wäre der Krieg
nicht sür Freiheit und Gerechtigkeit geführt, so würde er deu Namen eines
heiligen Kriegs nicht verdienen. Nur auf der thätigen Mitwirkung des Volkes
beruht die Sicherheit des Staats. Eine Regierung verliert in demselben
Maße an wahrer, dauernder Kraft, in welchem sie zur gesetzlichen Alleinmacht
fortschreitet. In einer Verfassung, welche des Volkes Rechte versichert, ist des
Pöbels Macht gefesselt. Wo aber das Volk nicht gesetzmäßig frei ist, da ist
desto größer die Gefahr, daß der Pöbel zu gesetzwidriger Freiheit gelange.
Dauernde Macht wohnt nur bei der Gerechtigkeit, und Gerechtigkeit nur bei
gesetzmäßiger Freiheit." Doch nicht um Wiederherstellung der alten Formen
kann es sich handeln; was not thut, ist eine Vertretung des gesamten Volkes.
"Was durch die Rettung Deutschlands gewonnen wurde, das ist ein Gemeingut,
worauf allen gleicher Anteil gebührt."

In der That ward in die Bundesakte von 1815 der Satz aufgenommen:
"In allen Bundesstaaten wird eine landesständische Verfassung stattfinden,"


Anselm von Feuerbach als politischer Schriftsteller

unterworfen hatte: „Alle Thorheiten dieses Volkes galten uns für Weisheit;
feine Laster für nachahmenswerte Tugenden, Unsern deutschen Ernst gaben
wir hin für französische Leichtfertigkeit, unsrer Väter Sitten für französische
Geckerei. Franzosen lehrten uns die Gesetze des Anstandes; Franzosen be¬
stimmten uns die wechselnden Formen unsrer Kleider; Französinnen erzogen
und bildeten unsre deutschen Töchter, und deutsche Männer und Frauen durften
sich um so vornehmer dünken, je mehr sie sich ihrer herrlichen, kräftigen Landes¬
sprache schämten, um die fremden Töne einer geistig armen, dem Ohr ge¬
fälligen Sprache zu stammeln." Feuerbach selbst bemerkte dazu, das möge
früher entschuldbar gewesen sein; aber nicht mehr jetzt, wo die deutsche Sprache
„ihre Kraft, ihren Reichtum, ihre Schönheit durch unsterbliche Geisteswcrke auf
das herrlichste entwickelt hat." „Um deutsch zu denken, sügt er hinzu, muß
man deutsch sprechen, und wer die Sprache seines Volkes gering schützt, der
bezeugt Verachtung diesem Volke und seinem Geiste."

Als im Herbst 1814 der Wiener Kongreß eröffnet wurde, war Feuerbach
alsbald wieder als Mahner auf dem Plan; im Oktober erschien seine Schrift:
„Über deutsche Freiheit und Vertretung deutscher Völker durch Landstände."
Der Befreiung von der Fremdherrschaft — so führt er darin aus — muß
nun auch die innere staatsbürgerliche Freiheit folgen. „Fast alles ist bei uns er¬
schüttert oder zerstört, was Völker stark und glücklich, mit sich und mit dem Staate,
dem sie angehören, zufrieden macht. Die zerfallenen Staatsgebäude müssen
wieder aufgerichtet, die Gerechtigkeit und Ordnung durch Verfassungen gesichert
werden. Die Deutschen sind ihrer Gesinnung nach ein monarchisches Volk,
aber von Alters her ist ihnen auch gesetzliche Freiheit eigen, das Recht der
Teilnahme an der Gesetzgebung, wie das Recht, nicht willkürlich besteuert zu
werden. Die blutigen Opfer, welche das deutsche Volk gebracht hat, haben
nicht bloß dem Fürstenrecht, sondern dem Volksrecht gegolten; wäre der Krieg
nicht sür Freiheit und Gerechtigkeit geführt, so würde er deu Namen eines
heiligen Kriegs nicht verdienen. Nur auf der thätigen Mitwirkung des Volkes
beruht die Sicherheit des Staats. Eine Regierung verliert in demselben
Maße an wahrer, dauernder Kraft, in welchem sie zur gesetzlichen Alleinmacht
fortschreitet. In einer Verfassung, welche des Volkes Rechte versichert, ist des
Pöbels Macht gefesselt. Wo aber das Volk nicht gesetzmäßig frei ist, da ist
desto größer die Gefahr, daß der Pöbel zu gesetzwidriger Freiheit gelange.
Dauernde Macht wohnt nur bei der Gerechtigkeit, und Gerechtigkeit nur bei
gesetzmäßiger Freiheit." Doch nicht um Wiederherstellung der alten Formen
kann es sich handeln; was not thut, ist eine Vertretung des gesamten Volkes.
»Was durch die Rettung Deutschlands gewonnen wurde, das ist ein Gemeingut,
worauf allen gleicher Anteil gebührt."

In der That ward in die Bundesakte von 1815 der Satz aufgenommen:
„In allen Bundesstaaten wird eine landesständische Verfassung stattfinden,"


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[0373] Anselm von Feuerbach als politischer Schriftsteller unterworfen hatte: „Alle Thorheiten dieses Volkes galten uns für Weisheit; feine Laster für nachahmenswerte Tugenden, Unsern deutschen Ernst gaben wir hin für französische Leichtfertigkeit, unsrer Väter Sitten für französische Geckerei. Franzosen lehrten uns die Gesetze des Anstandes; Franzosen be¬ stimmten uns die wechselnden Formen unsrer Kleider; Französinnen erzogen und bildeten unsre deutschen Töchter, und deutsche Männer und Frauen durften sich um so vornehmer dünken, je mehr sie sich ihrer herrlichen, kräftigen Landes¬ sprache schämten, um die fremden Töne einer geistig armen, dem Ohr ge¬ fälligen Sprache zu stammeln." Feuerbach selbst bemerkte dazu, das möge früher entschuldbar gewesen sein; aber nicht mehr jetzt, wo die deutsche Sprache „ihre Kraft, ihren Reichtum, ihre Schönheit durch unsterbliche Geisteswcrke auf das herrlichste entwickelt hat." „Um deutsch zu denken, sügt er hinzu, muß man deutsch sprechen, und wer die Sprache seines Volkes gering schützt, der bezeugt Verachtung diesem Volke und seinem Geiste." Als im Herbst 1814 der Wiener Kongreß eröffnet wurde, war Feuerbach alsbald wieder als Mahner auf dem Plan; im Oktober erschien seine Schrift: „Über deutsche Freiheit und Vertretung deutscher Völker durch Landstände." Der Befreiung von der Fremdherrschaft — so führt er darin aus — muß nun auch die innere staatsbürgerliche Freiheit folgen. „Fast alles ist bei uns er¬ schüttert oder zerstört, was Völker stark und glücklich, mit sich und mit dem Staate, dem sie angehören, zufrieden macht. Die zerfallenen Staatsgebäude müssen wieder aufgerichtet, die Gerechtigkeit und Ordnung durch Verfassungen gesichert werden. Die Deutschen sind ihrer Gesinnung nach ein monarchisches Volk, aber von Alters her ist ihnen auch gesetzliche Freiheit eigen, das Recht der Teilnahme an der Gesetzgebung, wie das Recht, nicht willkürlich besteuert zu werden. Die blutigen Opfer, welche das deutsche Volk gebracht hat, haben nicht bloß dem Fürstenrecht, sondern dem Volksrecht gegolten; wäre der Krieg nicht sür Freiheit und Gerechtigkeit geführt, so würde er deu Namen eines heiligen Kriegs nicht verdienen. Nur auf der thätigen Mitwirkung des Volkes beruht die Sicherheit des Staats. Eine Regierung verliert in demselben Maße an wahrer, dauernder Kraft, in welchem sie zur gesetzlichen Alleinmacht fortschreitet. In einer Verfassung, welche des Volkes Rechte versichert, ist des Pöbels Macht gefesselt. Wo aber das Volk nicht gesetzmäßig frei ist, da ist desto größer die Gefahr, daß der Pöbel zu gesetzwidriger Freiheit gelange. Dauernde Macht wohnt nur bei der Gerechtigkeit, und Gerechtigkeit nur bei gesetzmäßiger Freiheit." Doch nicht um Wiederherstellung der alten Formen kann es sich handeln; was not thut, ist eine Vertretung des gesamten Volkes. »Was durch die Rettung Deutschlands gewonnen wurde, das ist ein Gemeingut, worauf allen gleicher Anteil gebührt." In der That ward in die Bundesakte von 1815 der Satz aufgenommen: „In allen Bundesstaaten wird eine landesständische Verfassung stattfinden,"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/373>, abgerufen am 28.07.2024.