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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Anselm von Feuerbach als politischer Schriftsteller

dargeboten. Welche Ernten einst aus dieser Saat hervorgehen, wie sich die
künftigen Schicksale der europäischen Welt aus den Elementen der Gegenwart
entwickeln und gestalten werden? Wer wäre vermessen genug, schon jetzt den
Vorhang zu heben, welcher die Zukunft den sterblichen Augen weise verbirgt?"

Aus den Lehren und Warnungen, in die Feuerbach seinen Aufsatz aus-
klingen läßt, sei hier nur der letzte Satz hervorgehoben -- ein Satz, den jene
Zeit zu ihrem Unheil nur zu bald vergaß: "Die Gegenwart mit ihren Er¬
scheinungen verkündigt nicht eine Rückkehr zur alten Zeit, sondern nur die
Fortsetzung und Entwicklung einer schon lange begonnenen neuen Zeit."

In weiten Kreisen erweckte Feuerbachs Schrift Begeisterung und jubelnde
Zustimmung, überall wurde sie begehrt. Daß sie bei dem Ministerium
Montgelas starken Anstoß erregte, läßt schon das bekannte Wort von dem
Wiederaufkommen der fatalen Deutschheit ahnen, das in diesen Kreisen umlief.
Ein freundliches Geschick hat uns aber auch den Wortlaut der Verwarnung
aufbewahrt, die dem vermessenen Schriftsteller zu teil wurde; "man" vermißte
in dem Aufsatz gänzlich "die ruhige, leidenschaftlose, würdige Sprache ebenso
wie die dem fremden Souverän und den in allen Staaten bestehenden In¬
stitutionen gebührende Achtung."

Aber ein Feuerbach ließ sich nicht den Mund verbieten. Auf eine Schrift
des berüchtigten Grafen von Arelim, die unter der Überschrift "Was wollen
wir?" den engsten bairischen Standpunkt vertrat, antwortete er alsbald in
einer weitern Schrift: "Was sollen wir?" mit einer volkstümlichern Aus¬
führung seiner Gedanken. Nach der Einnahme von Paris erschien von ihm
weiter der Aufsatz: "Die Weltherrschaft das Grab der Menschheit." Aus
dieser Schrift, die an Umfang die vorhin besprochne weit übertrifft, deren
Inhalt aber schon durch die Überschrift deutlich bezeichnet ist, möchte ich
wenigstens zwei Stellen mitteilen.

Die erste bezieht sich auf den Reichtum der Bildungen, wie in der Natur
so im Leben: "Wie jedes Pflanzengeschlecht unter diesen tausendgestaltigen
Kindern der Erde, so steht auch jedes einzelne Volk mit allen Besonderheiten
seines Seins und Wesens als ein Glied in dem ewigen Plane der Natur ver¬
zeichnet. Ein jedes soll durch Entwicklung und Ausbildung der vernünftigen
Natur der Menschheit Ziel erreichen; aber jedes nur auf seine Art und Weise,
auf seinem eignen Wege, mit den ihm eigentümlich zugemessenen Mitteln und
Kräften. Darum ward einem jeden sein ihm eigner Wohnplatz angewiesen;
darum erhielt jedes seine besondre Gestalt, Bildung und Sprache, seine ihm
eigentümlichen Vorstellungen, Empfindungen und Leidenschaften und mit diesem
allem seinen besondern Charakter, seine besondern Sitten, Gebräuche und
Gesetze."

Die andre Stelle klagt das deutsche Volk an, daß es sich selber schon
lange vor den Eroberungskriegen Napoleons der französischen Herrschaft geistig


Anselm von Feuerbach als politischer Schriftsteller

dargeboten. Welche Ernten einst aus dieser Saat hervorgehen, wie sich die
künftigen Schicksale der europäischen Welt aus den Elementen der Gegenwart
entwickeln und gestalten werden? Wer wäre vermessen genug, schon jetzt den
Vorhang zu heben, welcher die Zukunft den sterblichen Augen weise verbirgt?"

Aus den Lehren und Warnungen, in die Feuerbach seinen Aufsatz aus-
klingen läßt, sei hier nur der letzte Satz hervorgehoben — ein Satz, den jene
Zeit zu ihrem Unheil nur zu bald vergaß: „Die Gegenwart mit ihren Er¬
scheinungen verkündigt nicht eine Rückkehr zur alten Zeit, sondern nur die
Fortsetzung und Entwicklung einer schon lange begonnenen neuen Zeit."

In weiten Kreisen erweckte Feuerbachs Schrift Begeisterung und jubelnde
Zustimmung, überall wurde sie begehrt. Daß sie bei dem Ministerium
Montgelas starken Anstoß erregte, läßt schon das bekannte Wort von dem
Wiederaufkommen der fatalen Deutschheit ahnen, das in diesen Kreisen umlief.
Ein freundliches Geschick hat uns aber auch den Wortlaut der Verwarnung
aufbewahrt, die dem vermessenen Schriftsteller zu teil wurde; „man" vermißte
in dem Aufsatz gänzlich „die ruhige, leidenschaftlose, würdige Sprache ebenso
wie die dem fremden Souverän und den in allen Staaten bestehenden In¬
stitutionen gebührende Achtung."

Aber ein Feuerbach ließ sich nicht den Mund verbieten. Auf eine Schrift
des berüchtigten Grafen von Arelim, die unter der Überschrift „Was wollen
wir?" den engsten bairischen Standpunkt vertrat, antwortete er alsbald in
einer weitern Schrift: „Was sollen wir?" mit einer volkstümlichern Aus¬
führung seiner Gedanken. Nach der Einnahme von Paris erschien von ihm
weiter der Aufsatz: „Die Weltherrschaft das Grab der Menschheit." Aus
dieser Schrift, die an Umfang die vorhin besprochne weit übertrifft, deren
Inhalt aber schon durch die Überschrift deutlich bezeichnet ist, möchte ich
wenigstens zwei Stellen mitteilen.

Die erste bezieht sich auf den Reichtum der Bildungen, wie in der Natur
so im Leben: „Wie jedes Pflanzengeschlecht unter diesen tausendgestaltigen
Kindern der Erde, so steht auch jedes einzelne Volk mit allen Besonderheiten
seines Seins und Wesens als ein Glied in dem ewigen Plane der Natur ver¬
zeichnet. Ein jedes soll durch Entwicklung und Ausbildung der vernünftigen
Natur der Menschheit Ziel erreichen; aber jedes nur auf seine Art und Weise,
auf seinem eignen Wege, mit den ihm eigentümlich zugemessenen Mitteln und
Kräften. Darum ward einem jeden sein ihm eigner Wohnplatz angewiesen;
darum erhielt jedes seine besondre Gestalt, Bildung und Sprache, seine ihm
eigentümlichen Vorstellungen, Empfindungen und Leidenschaften und mit diesem
allem seinen besondern Charakter, seine besondern Sitten, Gebräuche und
Gesetze."

Die andre Stelle klagt das deutsche Volk an, daß es sich selber schon
lange vor den Eroberungskriegen Napoleons der französischen Herrschaft geistig


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[0372] Anselm von Feuerbach als politischer Schriftsteller dargeboten. Welche Ernten einst aus dieser Saat hervorgehen, wie sich die künftigen Schicksale der europäischen Welt aus den Elementen der Gegenwart entwickeln und gestalten werden? Wer wäre vermessen genug, schon jetzt den Vorhang zu heben, welcher die Zukunft den sterblichen Augen weise verbirgt?" Aus den Lehren und Warnungen, in die Feuerbach seinen Aufsatz aus- klingen läßt, sei hier nur der letzte Satz hervorgehoben — ein Satz, den jene Zeit zu ihrem Unheil nur zu bald vergaß: „Die Gegenwart mit ihren Er¬ scheinungen verkündigt nicht eine Rückkehr zur alten Zeit, sondern nur die Fortsetzung und Entwicklung einer schon lange begonnenen neuen Zeit." In weiten Kreisen erweckte Feuerbachs Schrift Begeisterung und jubelnde Zustimmung, überall wurde sie begehrt. Daß sie bei dem Ministerium Montgelas starken Anstoß erregte, läßt schon das bekannte Wort von dem Wiederaufkommen der fatalen Deutschheit ahnen, das in diesen Kreisen umlief. Ein freundliches Geschick hat uns aber auch den Wortlaut der Verwarnung aufbewahrt, die dem vermessenen Schriftsteller zu teil wurde; „man" vermißte in dem Aufsatz gänzlich „die ruhige, leidenschaftlose, würdige Sprache ebenso wie die dem fremden Souverän und den in allen Staaten bestehenden In¬ stitutionen gebührende Achtung." Aber ein Feuerbach ließ sich nicht den Mund verbieten. Auf eine Schrift des berüchtigten Grafen von Arelim, die unter der Überschrift „Was wollen wir?" den engsten bairischen Standpunkt vertrat, antwortete er alsbald in einer weitern Schrift: „Was sollen wir?" mit einer volkstümlichern Aus¬ führung seiner Gedanken. Nach der Einnahme von Paris erschien von ihm weiter der Aufsatz: „Die Weltherrschaft das Grab der Menschheit." Aus dieser Schrift, die an Umfang die vorhin besprochne weit übertrifft, deren Inhalt aber schon durch die Überschrift deutlich bezeichnet ist, möchte ich wenigstens zwei Stellen mitteilen. Die erste bezieht sich auf den Reichtum der Bildungen, wie in der Natur so im Leben: „Wie jedes Pflanzengeschlecht unter diesen tausendgestaltigen Kindern der Erde, so steht auch jedes einzelne Volk mit allen Besonderheiten seines Seins und Wesens als ein Glied in dem ewigen Plane der Natur ver¬ zeichnet. Ein jedes soll durch Entwicklung und Ausbildung der vernünftigen Natur der Menschheit Ziel erreichen; aber jedes nur auf seine Art und Weise, auf seinem eignen Wege, mit den ihm eigentümlich zugemessenen Mitteln und Kräften. Darum ward einem jeden sein ihm eigner Wohnplatz angewiesen; darum erhielt jedes seine besondre Gestalt, Bildung und Sprache, seine ihm eigentümlichen Vorstellungen, Empfindungen und Leidenschaften und mit diesem allem seinen besondern Charakter, seine besondern Sitten, Gebräuche und Gesetze." Die andre Stelle klagt das deutsche Volk an, daß es sich selber schon lange vor den Eroberungskriegen Napoleons der französischen Herrschaft geistig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/372>, abgerufen am 28.07.2024.