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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Anselm von Feuerbach als politischer Schriftsteller

Züge aus dem Bilde. "Selbstdünkel hatte den Vaterlandsstolz, Eitelkeit das
Streben nach edlem Ruhme, Genußsucht und Verweichlichung den hohen Sinn
und den tapfern Mut verdrängt... . Kalte Verständigkeit galt für die Seele
alles Handelns, die Handgreiflichkeit als höchstes Prinzip des Wahren, der
gemeine Nutzen als Maßstab des Schönen und Guten. ... Im engen Kreis
ihres eignen Hausvorteils befangen, saßen Fürsten selig auf ihrem Throne,
der für sie aus einem Stuhle der Sorgen zu einem Polster der Ruhe ge¬
worden war; ihr Adel ergötzte sich an seinen Stammbäumen und Diplomeil,
schwelgte in seinen Vorrechten und ruhte, statt auf eignen Lorbeer", auf dem
Verdienste seiner Ahnen gemächlich aus."

Unterdessen war der Same einer großen Umwälzung aufgegangen, eine
neue Gedankenwelt war im stillen aufgeleimt und hatte Gesinnungen, Wünsche,
Hoffnungen erweckt, die früher oder später in Thaten hervortreten mußten.
In Frankreich kam er zuerst zum Ausbruch. Die Nachbarn ahnten wohl die
Wahrheit des Schreckenswortes: 1a rsvolution tsrg. 1s tour cku nicmäö, aber
sie handelten nicht darnach; sie träumten sich noch immer in einer Zeit, die
längst vorübergegangen war.

Nun wandelte sich der Bürgerkrieg in einen Völkerkrieg. Ein Kind der
Revolution, wußte sich Napoleon in den Wellen, die ihn emporgeworfen hatten,
geschickt zu bewegen und die Revolution selber sich dienstbar zu machen. "Die
durch Einheit des Kopfes und des Willens geregelten, auf ein Ziel hingelei¬
teten Kräfte einer aufgeregten Nation, in der das persönliche Verdienst jedem
Talent den rechten Platz angewiesen hatte, brachen nun mit einer desto un¬
widerstehlichem Gewalt über das geteilte Europa, über die in gemächlicher
Gewohnheit versunkner Staaten herein, die dein Sturme nichts als Leiber,
dem neuen Geist nichts als alte Vorurteile entgegenzusetzen hatten. Der Plan
einer Weltherrschaft, hinter den handgreiflichsten Vorwänden zu immer neuen
Unterjochungskriegen nur ärmlich versteckt, ward allmählich immer lauter ver¬
kündet und von Jahr zu Jahr seinem Ziele näher gerückt. Schon lag das
deutsche Reich zertrümmert, die Niederlande, Italien, Spanien, Portugal,
Deutschland waren ohne Scheu entweder dem neu beginnenden Weltreiche ein¬
verleibt oder unter untrüglichen Namen in Provinzen verwandelt." Die be¬
drohten Staaten erkannten auch jetzt uoch nicht die Notwendigkeit, sich zu ver¬
einigen, die Sache der Kronen zur Sache der Völker zu machen. "Und so
stellte man Heeren, die für Ruhm und Herrschaft kämpften, Söldlinge gegen¬
über, die weder für Vaterland noch für Freiheit fochten; geübten Feldherren,
die alles sich selbst und nichts ihrer Geburt verdankten, ausgediente Heerführer
oder unerfahrne Offiziere, die nichts hatten als eine Geburt, die ihnen das
Verdienst entbehrlich machte. So sah man aber auch durch eine einzige Schlacht
in wenigen Tagen ein mächtiges Reich zusammenstürzen, das, von der Weis¬
heit großer Fürsten mühsam erbaut, schon oft in die Wagschale des europäischen


Anselm von Feuerbach als politischer Schriftsteller

Züge aus dem Bilde. „Selbstdünkel hatte den Vaterlandsstolz, Eitelkeit das
Streben nach edlem Ruhme, Genußsucht und Verweichlichung den hohen Sinn
und den tapfern Mut verdrängt... . Kalte Verständigkeit galt für die Seele
alles Handelns, die Handgreiflichkeit als höchstes Prinzip des Wahren, der
gemeine Nutzen als Maßstab des Schönen und Guten. ... Im engen Kreis
ihres eignen Hausvorteils befangen, saßen Fürsten selig auf ihrem Throne,
der für sie aus einem Stuhle der Sorgen zu einem Polster der Ruhe ge¬
worden war; ihr Adel ergötzte sich an seinen Stammbäumen und Diplomeil,
schwelgte in seinen Vorrechten und ruhte, statt auf eignen Lorbeer», auf dem
Verdienste seiner Ahnen gemächlich aus."

Unterdessen war der Same einer großen Umwälzung aufgegangen, eine
neue Gedankenwelt war im stillen aufgeleimt und hatte Gesinnungen, Wünsche,
Hoffnungen erweckt, die früher oder später in Thaten hervortreten mußten.
In Frankreich kam er zuerst zum Ausbruch. Die Nachbarn ahnten wohl die
Wahrheit des Schreckenswortes: 1a rsvolution tsrg. 1s tour cku nicmäö, aber
sie handelten nicht darnach; sie träumten sich noch immer in einer Zeit, die
längst vorübergegangen war.

Nun wandelte sich der Bürgerkrieg in einen Völkerkrieg. Ein Kind der
Revolution, wußte sich Napoleon in den Wellen, die ihn emporgeworfen hatten,
geschickt zu bewegen und die Revolution selber sich dienstbar zu machen. „Die
durch Einheit des Kopfes und des Willens geregelten, auf ein Ziel hingelei¬
teten Kräfte einer aufgeregten Nation, in der das persönliche Verdienst jedem
Talent den rechten Platz angewiesen hatte, brachen nun mit einer desto un¬
widerstehlichem Gewalt über das geteilte Europa, über die in gemächlicher
Gewohnheit versunkner Staaten herein, die dein Sturme nichts als Leiber,
dem neuen Geist nichts als alte Vorurteile entgegenzusetzen hatten. Der Plan
einer Weltherrschaft, hinter den handgreiflichsten Vorwänden zu immer neuen
Unterjochungskriegen nur ärmlich versteckt, ward allmählich immer lauter ver¬
kündet und von Jahr zu Jahr seinem Ziele näher gerückt. Schon lag das
deutsche Reich zertrümmert, die Niederlande, Italien, Spanien, Portugal,
Deutschland waren ohne Scheu entweder dem neu beginnenden Weltreiche ein¬
verleibt oder unter untrüglichen Namen in Provinzen verwandelt." Die be¬
drohten Staaten erkannten auch jetzt uoch nicht die Notwendigkeit, sich zu ver¬
einigen, die Sache der Kronen zur Sache der Völker zu machen. „Und so
stellte man Heeren, die für Ruhm und Herrschaft kämpften, Söldlinge gegen¬
über, die weder für Vaterland noch für Freiheit fochten; geübten Feldherren,
die alles sich selbst und nichts ihrer Geburt verdankten, ausgediente Heerführer
oder unerfahrne Offiziere, die nichts hatten als eine Geburt, die ihnen das
Verdienst entbehrlich machte. So sah man aber auch durch eine einzige Schlacht
in wenigen Tagen ein mächtiges Reich zusammenstürzen, das, von der Weis¬
heit großer Fürsten mühsam erbaut, schon oft in die Wagschale des europäischen


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[0370] Anselm von Feuerbach als politischer Schriftsteller Züge aus dem Bilde. „Selbstdünkel hatte den Vaterlandsstolz, Eitelkeit das Streben nach edlem Ruhme, Genußsucht und Verweichlichung den hohen Sinn und den tapfern Mut verdrängt... . Kalte Verständigkeit galt für die Seele alles Handelns, die Handgreiflichkeit als höchstes Prinzip des Wahren, der gemeine Nutzen als Maßstab des Schönen und Guten. ... Im engen Kreis ihres eignen Hausvorteils befangen, saßen Fürsten selig auf ihrem Throne, der für sie aus einem Stuhle der Sorgen zu einem Polster der Ruhe ge¬ worden war; ihr Adel ergötzte sich an seinen Stammbäumen und Diplomeil, schwelgte in seinen Vorrechten und ruhte, statt auf eignen Lorbeer», auf dem Verdienste seiner Ahnen gemächlich aus." Unterdessen war der Same einer großen Umwälzung aufgegangen, eine neue Gedankenwelt war im stillen aufgeleimt und hatte Gesinnungen, Wünsche, Hoffnungen erweckt, die früher oder später in Thaten hervortreten mußten. In Frankreich kam er zuerst zum Ausbruch. Die Nachbarn ahnten wohl die Wahrheit des Schreckenswortes: 1a rsvolution tsrg. 1s tour cku nicmäö, aber sie handelten nicht darnach; sie träumten sich noch immer in einer Zeit, die längst vorübergegangen war. Nun wandelte sich der Bürgerkrieg in einen Völkerkrieg. Ein Kind der Revolution, wußte sich Napoleon in den Wellen, die ihn emporgeworfen hatten, geschickt zu bewegen und die Revolution selber sich dienstbar zu machen. „Die durch Einheit des Kopfes und des Willens geregelten, auf ein Ziel hingelei¬ teten Kräfte einer aufgeregten Nation, in der das persönliche Verdienst jedem Talent den rechten Platz angewiesen hatte, brachen nun mit einer desto un¬ widerstehlichem Gewalt über das geteilte Europa, über die in gemächlicher Gewohnheit versunkner Staaten herein, die dein Sturme nichts als Leiber, dem neuen Geist nichts als alte Vorurteile entgegenzusetzen hatten. Der Plan einer Weltherrschaft, hinter den handgreiflichsten Vorwänden zu immer neuen Unterjochungskriegen nur ärmlich versteckt, ward allmählich immer lauter ver¬ kündet und von Jahr zu Jahr seinem Ziele näher gerückt. Schon lag das deutsche Reich zertrümmert, die Niederlande, Italien, Spanien, Portugal, Deutschland waren ohne Scheu entweder dem neu beginnenden Weltreiche ein¬ verleibt oder unter untrüglichen Namen in Provinzen verwandelt." Die be¬ drohten Staaten erkannten auch jetzt uoch nicht die Notwendigkeit, sich zu ver¬ einigen, die Sache der Kronen zur Sache der Völker zu machen. „Und so stellte man Heeren, die für Ruhm und Herrschaft kämpften, Söldlinge gegen¬ über, die weder für Vaterland noch für Freiheit fochten; geübten Feldherren, die alles sich selbst und nichts ihrer Geburt verdankten, ausgediente Heerführer oder unerfahrne Offiziere, die nichts hatten als eine Geburt, die ihnen das Verdienst entbehrlich machte. So sah man aber auch durch eine einzige Schlacht in wenigen Tagen ein mächtiges Reich zusammenstürzen, das, von der Weis¬ heit großer Fürsten mühsam erbaut, schon oft in die Wagschale des europäischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/370>, abgerufen am 28.07.2024.