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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Anselm von Feuerbach als politischer Schriftsteller

anweise, die den menschlichen Geist auf höhere Stufen geführt haben." Und
unermüdlich strebte er vorwärts, selbst auf Kosten seiner Gesundheit.

Im Herbste 1795, noch nicht zwanzigjährig, war er Doktor der Philo¬
sophie geworden. Aber inzwischen war auch die Liebe in sein Herz eingezogen,
er hatte sich verlobt. Dies und der dringende Wunsch seines Vaters bewogen
ihn, sich dem aussichtsvollern Nechtsstudium zuzuwenden. Am Neujahrstage
1796 schrieb er dem Vater: "Es wird mir ein leichtes sein, bald in der Juris¬
prudenz das zu werden, was ich jetzt in der Philosophie geworden bin." Und
er hielt Wort. Die äußern Mittel boten ihm, neben kärglichen Zuschüssen
von Hause, seine Lehrthätigkeit und schriftstellerische Arbeiten. Übrigens war
der Sprung nicht so groß, wie es scheinen könnte. Der Gedankenkreis des
neuen Studiums war ihm nicht fremd. Noch als Student der Philosophie
hatte er für Niethammers Philosophisches Journal einen "Versuch über den
Begriff des Rechts" geschrieben; 1796 folgte die dem Vater gewidmete Kritik
des natürlichen Rechts, die Binding") seine erste große Entdeckung nennt.
"Mit sicherer Hand, sagt Binding, löst der junge Autor das Recht von dem
Sittengesetz, als dessen Ausfluß es bisher betrachtet worden war, giebt beiden
Gebieten, dem des Rechts und dem der Moral, ihre Selbständigkeit zurück und
bringt Licht in eine chronisch gewordne Verwirrung." Im folgenden Jahre
verfaßte er eine Schrift, die wir ebenso wie jene Erstlinge zu den politischen
rechnen dürfen, eine Widerlegung des Engländers Hobbes, des Vorkämpfers
der unumschränkten Herrschergewalt: "Antihobbes, oder über die Grenzen der
höchsten Gewalt und das Zwangsrecht der Bürger gegen den Oberherrn."
Wie sie, trügt die Jahreszahl 1798 seine philosophisch-juristische Untersuchung
über das Verbrechen des Hochverrats. Sie enthält einen Gedanken, den er
später als zu weitgehend fallen ließ, wie er denn überhaupt gegen eigne Irr¬
tümer keine Nachsicht kannte -- den Satz, daß sich ein Bürger nicht bloß
gegen seinen Regenten, sondern auch mit ihm, durch Teilnahme an einem
Staatsstreich, des Hochverrats schuldig machen könne.

Am 15. Januar 1799 erhielt er die juristische Doktorwürde. Der junge
Mann hatte damals bereits für Weib und Kind zu sorgen. In dieser Zeit
entstanden seine beiden grundlegenden Werke über das Strafrecht: die
"Revision der Grundsätze" und das "Lehrbuch." Von dem ersten sagt
Hölder^): sie erhob ihn mit einem Ruck zum ersten deutschen Kriminalisten.
Für unsern Zweck kommt nur in Betracht, was das politische Gebiet streift.
Ich greife aus dem Lehrbuche die Hauptsätze über den Hochverrat, über die
Neligionsschmähung und über die Folter heraus, zugleich als Beispiele seines
gedrungnen Stils:




*) Beilage zur Allgemeinen Zeitung 1875, Ur. 318.
Sammlung wissenschaftlicher Vorträge von Birchow und Holtzendorff, XVI, Heft 378.
Anselm von Feuerbach als politischer Schriftsteller

anweise, die den menschlichen Geist auf höhere Stufen geführt haben." Und
unermüdlich strebte er vorwärts, selbst auf Kosten seiner Gesundheit.

Im Herbste 1795, noch nicht zwanzigjährig, war er Doktor der Philo¬
sophie geworden. Aber inzwischen war auch die Liebe in sein Herz eingezogen,
er hatte sich verlobt. Dies und der dringende Wunsch seines Vaters bewogen
ihn, sich dem aussichtsvollern Nechtsstudium zuzuwenden. Am Neujahrstage
1796 schrieb er dem Vater: „Es wird mir ein leichtes sein, bald in der Juris¬
prudenz das zu werden, was ich jetzt in der Philosophie geworden bin." Und
er hielt Wort. Die äußern Mittel boten ihm, neben kärglichen Zuschüssen
von Hause, seine Lehrthätigkeit und schriftstellerische Arbeiten. Übrigens war
der Sprung nicht so groß, wie es scheinen könnte. Der Gedankenkreis des
neuen Studiums war ihm nicht fremd. Noch als Student der Philosophie
hatte er für Niethammers Philosophisches Journal einen „Versuch über den
Begriff des Rechts" geschrieben; 1796 folgte die dem Vater gewidmete Kritik
des natürlichen Rechts, die Binding") seine erste große Entdeckung nennt.
„Mit sicherer Hand, sagt Binding, löst der junge Autor das Recht von dem
Sittengesetz, als dessen Ausfluß es bisher betrachtet worden war, giebt beiden
Gebieten, dem des Rechts und dem der Moral, ihre Selbständigkeit zurück und
bringt Licht in eine chronisch gewordne Verwirrung." Im folgenden Jahre
verfaßte er eine Schrift, die wir ebenso wie jene Erstlinge zu den politischen
rechnen dürfen, eine Widerlegung des Engländers Hobbes, des Vorkämpfers
der unumschränkten Herrschergewalt: „Antihobbes, oder über die Grenzen der
höchsten Gewalt und das Zwangsrecht der Bürger gegen den Oberherrn."
Wie sie, trügt die Jahreszahl 1798 seine philosophisch-juristische Untersuchung
über das Verbrechen des Hochverrats. Sie enthält einen Gedanken, den er
später als zu weitgehend fallen ließ, wie er denn überhaupt gegen eigne Irr¬
tümer keine Nachsicht kannte — den Satz, daß sich ein Bürger nicht bloß
gegen seinen Regenten, sondern auch mit ihm, durch Teilnahme an einem
Staatsstreich, des Hochverrats schuldig machen könne.

Am 15. Januar 1799 erhielt er die juristische Doktorwürde. Der junge
Mann hatte damals bereits für Weib und Kind zu sorgen. In dieser Zeit
entstanden seine beiden grundlegenden Werke über das Strafrecht: die
„Revision der Grundsätze" und das „Lehrbuch." Von dem ersten sagt
Hölder^): sie erhob ihn mit einem Ruck zum ersten deutschen Kriminalisten.
Für unsern Zweck kommt nur in Betracht, was das politische Gebiet streift.
Ich greife aus dem Lehrbuche die Hauptsätze über den Hochverrat, über die
Neligionsschmähung und über die Folter heraus, zugleich als Beispiele seines
gedrungnen Stils:




*) Beilage zur Allgemeinen Zeitung 1875, Ur. 318.
Sammlung wissenschaftlicher Vorträge von Birchow und Holtzendorff, XVI, Heft 378.
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[0365] Anselm von Feuerbach als politischer Schriftsteller anweise, die den menschlichen Geist auf höhere Stufen geführt haben." Und unermüdlich strebte er vorwärts, selbst auf Kosten seiner Gesundheit. Im Herbste 1795, noch nicht zwanzigjährig, war er Doktor der Philo¬ sophie geworden. Aber inzwischen war auch die Liebe in sein Herz eingezogen, er hatte sich verlobt. Dies und der dringende Wunsch seines Vaters bewogen ihn, sich dem aussichtsvollern Nechtsstudium zuzuwenden. Am Neujahrstage 1796 schrieb er dem Vater: „Es wird mir ein leichtes sein, bald in der Juris¬ prudenz das zu werden, was ich jetzt in der Philosophie geworden bin." Und er hielt Wort. Die äußern Mittel boten ihm, neben kärglichen Zuschüssen von Hause, seine Lehrthätigkeit und schriftstellerische Arbeiten. Übrigens war der Sprung nicht so groß, wie es scheinen könnte. Der Gedankenkreis des neuen Studiums war ihm nicht fremd. Noch als Student der Philosophie hatte er für Niethammers Philosophisches Journal einen „Versuch über den Begriff des Rechts" geschrieben; 1796 folgte die dem Vater gewidmete Kritik des natürlichen Rechts, die Binding") seine erste große Entdeckung nennt. „Mit sicherer Hand, sagt Binding, löst der junge Autor das Recht von dem Sittengesetz, als dessen Ausfluß es bisher betrachtet worden war, giebt beiden Gebieten, dem des Rechts und dem der Moral, ihre Selbständigkeit zurück und bringt Licht in eine chronisch gewordne Verwirrung." Im folgenden Jahre verfaßte er eine Schrift, die wir ebenso wie jene Erstlinge zu den politischen rechnen dürfen, eine Widerlegung des Engländers Hobbes, des Vorkämpfers der unumschränkten Herrschergewalt: „Antihobbes, oder über die Grenzen der höchsten Gewalt und das Zwangsrecht der Bürger gegen den Oberherrn." Wie sie, trügt die Jahreszahl 1798 seine philosophisch-juristische Untersuchung über das Verbrechen des Hochverrats. Sie enthält einen Gedanken, den er später als zu weitgehend fallen ließ, wie er denn überhaupt gegen eigne Irr¬ tümer keine Nachsicht kannte — den Satz, daß sich ein Bürger nicht bloß gegen seinen Regenten, sondern auch mit ihm, durch Teilnahme an einem Staatsstreich, des Hochverrats schuldig machen könne. Am 15. Januar 1799 erhielt er die juristische Doktorwürde. Der junge Mann hatte damals bereits für Weib und Kind zu sorgen. In dieser Zeit entstanden seine beiden grundlegenden Werke über das Strafrecht: die „Revision der Grundsätze" und das „Lehrbuch." Von dem ersten sagt Hölder^): sie erhob ihn mit einem Ruck zum ersten deutschen Kriminalisten. Für unsern Zweck kommt nur in Betracht, was das politische Gebiet streift. Ich greife aus dem Lehrbuche die Hauptsätze über den Hochverrat, über die Neligionsschmähung und über die Folter heraus, zugleich als Beispiele seines gedrungnen Stils: *) Beilage zur Allgemeinen Zeitung 1875, Ur. 318. Sammlung wissenschaftlicher Vorträge von Birchow und Holtzendorff, XVI, Heft 378.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/365>, abgerufen am 28.07.2024.