Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.Unser Irrenwesen Wärter gehalten und die vorhandnen nicht ausreichend besoldet werden, kann Eine von wirklich Sachverständigen, z. B. frühern Direktoren öffentlicher Wenn man aber vor einem so weit gehenden Verbote zurücksehend, so Unser Irrenwesen Wärter gehalten und die vorhandnen nicht ausreichend besoldet werden, kann Eine von wirklich Sachverständigen, z. B. frühern Direktoren öffentlicher Wenn man aber vor einem so weit gehenden Verbote zurücksehend, so <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0274" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/220600"/> <fw type="header" place="top"> Unser Irrenwesen</fw><lb/> <p xml:id="ID_1135" prev="#ID_1134"> Wärter gehalten und die vorhandnen nicht ausreichend besoldet werden, kann<lb/> die ganze Anstalt den Kranken zur Hölle werden. Ich habe zu wiederholten<lb/> malen von Privatanstalten, die sich eines guten Rufs erfreuen, den traurigsten<lb/> Eindruck gewonnen. Ich denke dabei gar nicht an die mannichfachen gewissen¬<lb/> losen Schröpfungen wohlhabender Kranken, sondern nur an den furchtbar ver¬<lb/> nachlässigten Zustand, in dem ich manche Kranke antraf. Wenn ihre Pflege<lb/> Wärtern und Ärzten zu viel wurde, steckten sie sie einfach in ein finstres Loch<lb/> und überließen sie sich selbst. Wirklich sorgsame Krankenpflege ist teurer als<lb/> die kostbarste» Arzneien, deshalb ist sie in Privatanstalten fast nirgends zu<lb/> finden. Meine eignen Erfcchrnngen werden aber von denen andrer völlig in<lb/> den Schatten gestellt, manche ließen mich in einen wahren Sumpf blicken. Die<lb/> Revisionen haben selbstverständlich nie etwas ergeben, da sich die Revisoren<lb/> stets gründlich hinters Licht führen ließen. Auch darüber haben mir Ein¬<lb/> geweihte manches berichtet.</p><lb/> <p xml:id="ID_1136"> Eine von wirklich Sachverständigen, z. B. frühern Direktoren öffentlicher<lb/> Anstalten, stündig ausgeübte Kontrolle könnte gewiß viele Nbelstände beseitigen<lb/> oder wenigstens einschränken; um aber völlig aus diesem ungeheuern Pfuhle<lb/> herauszukommen, dazu bedarf es, glaube ich, noch ganz anders einschneidender<lb/> Maßnahmen. Es wäre nicht nötig, die Privatanstalten vollständig aufzuheben,<lb/> das Verbot, irgend einen Geisteskranken wider seinen Willen in ihnen zurück¬<lb/> zuhalten, würde genügen, den meisten den Todesstoß zu versetzen. Ich ver¬<lb/> trete in der That die Ansicht, daß da, wo die Freiheitsentziehung zum Heile<lb/> des Kranken und der Gesellschaft notwendig ist, der Staat die Verantwortung<lb/> nur erprobten Beamten auferlegen darf. Giebt er doch seine Strafgefnngnen<lb/> nie einem Privaten in Gewahrsam, sondern wacht selbst darüber, daß sie ihrer<lb/> Freiheit nicht über Gebühr verlustig gehen und während ihrer Haft angemessen<lb/> behandelt werden. Sollten seine Kranken nicht die gleiche Sorgfalt verdienen?</p><lb/> <p xml:id="ID_1137"> Wenn man aber vor einem so weit gehenden Verbote zurücksehend, so<lb/> würden auch folgende Bestimmungen noch hinreichen, die Privatnnstaltcn ganz<lb/> bedeutend einzuschränken. Zunächst wären nur Ärzte, die eine genügende fach¬<lb/> wissenschaftliche Vorbildung »achweiseu, als Anstaltsleiter zuzulassen. Diese<lb/> müßten nicht nur für die Krankenbehandlung, sondern auch für die ganze Ver¬<lb/> waltung verantwortlich sein. Nur wenn der Arzt einen bestimmenden Einfluß<lb/> auf alle Zweige der Anstaltsverwaltung hat, ist eine wirkliche Fürsorge für die<lb/> Kranken möglich. Ebenso entschieden aber wäre darauf zu dringen, daß die<lb/> Provinzen ihre Kranken nur in eignen Anstalten verpflegen. Der Entwurf des<lb/> Gesetzes vom 11. Juli 1891 bestimmte schon die Unterbringung in eignen An¬<lb/> stalten, aber Zentrum und Konservative machten daraus: in geeigneten An¬<lb/> stalten. Sie tragen also mit an der Verantwortung sowohl für die Mi߬<lb/> handlungen in Mariaberg, als auch für den Handel, der mit Geisteskranken<lb/> getrieben wird.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0274]
Unser Irrenwesen
Wärter gehalten und die vorhandnen nicht ausreichend besoldet werden, kann
die ganze Anstalt den Kranken zur Hölle werden. Ich habe zu wiederholten
malen von Privatanstalten, die sich eines guten Rufs erfreuen, den traurigsten
Eindruck gewonnen. Ich denke dabei gar nicht an die mannichfachen gewissen¬
losen Schröpfungen wohlhabender Kranken, sondern nur an den furchtbar ver¬
nachlässigten Zustand, in dem ich manche Kranke antraf. Wenn ihre Pflege
Wärtern und Ärzten zu viel wurde, steckten sie sie einfach in ein finstres Loch
und überließen sie sich selbst. Wirklich sorgsame Krankenpflege ist teurer als
die kostbarste» Arzneien, deshalb ist sie in Privatanstalten fast nirgends zu
finden. Meine eignen Erfcchrnngen werden aber von denen andrer völlig in
den Schatten gestellt, manche ließen mich in einen wahren Sumpf blicken. Die
Revisionen haben selbstverständlich nie etwas ergeben, da sich die Revisoren
stets gründlich hinters Licht führen ließen. Auch darüber haben mir Ein¬
geweihte manches berichtet.
Eine von wirklich Sachverständigen, z. B. frühern Direktoren öffentlicher
Anstalten, stündig ausgeübte Kontrolle könnte gewiß viele Nbelstände beseitigen
oder wenigstens einschränken; um aber völlig aus diesem ungeheuern Pfuhle
herauszukommen, dazu bedarf es, glaube ich, noch ganz anders einschneidender
Maßnahmen. Es wäre nicht nötig, die Privatanstalten vollständig aufzuheben,
das Verbot, irgend einen Geisteskranken wider seinen Willen in ihnen zurück¬
zuhalten, würde genügen, den meisten den Todesstoß zu versetzen. Ich ver¬
trete in der That die Ansicht, daß da, wo die Freiheitsentziehung zum Heile
des Kranken und der Gesellschaft notwendig ist, der Staat die Verantwortung
nur erprobten Beamten auferlegen darf. Giebt er doch seine Strafgefnngnen
nie einem Privaten in Gewahrsam, sondern wacht selbst darüber, daß sie ihrer
Freiheit nicht über Gebühr verlustig gehen und während ihrer Haft angemessen
behandelt werden. Sollten seine Kranken nicht die gleiche Sorgfalt verdienen?
Wenn man aber vor einem so weit gehenden Verbote zurücksehend, so
würden auch folgende Bestimmungen noch hinreichen, die Privatnnstaltcn ganz
bedeutend einzuschränken. Zunächst wären nur Ärzte, die eine genügende fach¬
wissenschaftliche Vorbildung »achweiseu, als Anstaltsleiter zuzulassen. Diese
müßten nicht nur für die Krankenbehandlung, sondern auch für die ganze Ver¬
waltung verantwortlich sein. Nur wenn der Arzt einen bestimmenden Einfluß
auf alle Zweige der Anstaltsverwaltung hat, ist eine wirkliche Fürsorge für die
Kranken möglich. Ebenso entschieden aber wäre darauf zu dringen, daß die
Provinzen ihre Kranken nur in eignen Anstalten verpflegen. Der Entwurf des
Gesetzes vom 11. Juli 1891 bestimmte schon die Unterbringung in eignen An¬
stalten, aber Zentrum und Konservative machten daraus: in geeigneten An¬
stalten. Sie tragen also mit an der Verantwortung sowohl für die Mi߬
handlungen in Mariaberg, als auch für den Handel, der mit Geisteskranken
getrieben wird.
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