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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Am heiligen Damm

ligungen handelte, etwas "steinpöttig" gewesen sein; sie brauchten ihr Geld
selber. In der genannten alten Kirche, die in den letzten Jahren prächtig
ausgebaut worden ist, sind die Grabstätten mehrerer alten Adelsgeschlechter;
in der Kapelle des einen prangt, gewiß zum Entsetzen manches frommen
Christen, der Spruch:

Aber wo sind die Zeiten hin, wo auch der ehrsame Bürgersmann wenigstens
geschmuggelten Rotwein für wenige Schillinge trinken konnte? Selbst das
Spielen in Doberan hat aufgehört, wenigstens öffentlich. Dafür kann man
nun beim Wettrennen sein Glück versuchen und thuts auch nach Kräften. Und
es giebt Sportsleute, die es offen auszusprechen wagen, daß im Vergleich mit
den Wetten bei den Nennen das Treiben in Monaco sittlich zu nennen sei.
Freilich fehlt es auch heute nicht an Verteidigern und Lobrednern der Rennen,
denn welcher Unfug, ja welche Schändlichkeit, die der Wahrheit gemäß als
solche hingestellt wird, fände nicht ihre Fürsprecher und Beschützer! Und so
läßt sich mancher immer noch vorreden, die Wettrennen hätten den lobens¬
werten Zweck, "die Pferdezucht zu heben" (!), und redet sich dann selber ein,
daß er dieses gute Werk fördere, wenn er sich mit einem Spieleinsatze beteilige.
An die armen Opfer der Rennen denkt selten einer der Wettenden. Mir fallen,
wenn ich in den Tagesblättern, auch in den bessern, die ihre Leser zu edlerer
Unterhaltung erziehen wollen, die eingehenden Berichte über die Wettrennen,
noch dazu im greulichsten Kauderwelsch geschrieben lese, immer die Verse ein,
die der wackre Bischer auf die Rennen von Baden-Baden gedichtet hat:

Schade, daß der treffliche Alte nicht auch den andern Auswuchs des
Sports gesehen und gegeißelt hat, das Taubenschießen, das, damals in Baden-
Baden vielleicht schon verboten, jetzt nur noch hier am heiligen Damm eine
Stätte hat. Und hier blüht es trotz aller Ansturme der Tierschutzvereiue und
bildet, wie gesagt, die zweite Hauptanziehung für den mecklenburgischen Adel.
Es hat sich ein besondrer Taubeuschießklub gebildet, dem auch edle Damen
augehören; dieser veranstaltet alljährlich Preisschießen und läßt sich das Ver¬
gnügen ein gut Stück Geld kosten.

Ich hatte schon viel von diesem Auswuchs des Jagdsports gehört; nun


Am heiligen Damm

ligungen handelte, etwas „steinpöttig" gewesen sein; sie brauchten ihr Geld
selber. In der genannten alten Kirche, die in den letzten Jahren prächtig
ausgebaut worden ist, sind die Grabstätten mehrerer alten Adelsgeschlechter;
in der Kapelle des einen prangt, gewiß zum Entsetzen manches frommen
Christen, der Spruch:

Aber wo sind die Zeiten hin, wo auch der ehrsame Bürgersmann wenigstens
geschmuggelten Rotwein für wenige Schillinge trinken konnte? Selbst das
Spielen in Doberan hat aufgehört, wenigstens öffentlich. Dafür kann man
nun beim Wettrennen sein Glück versuchen und thuts auch nach Kräften. Und
es giebt Sportsleute, die es offen auszusprechen wagen, daß im Vergleich mit
den Wetten bei den Nennen das Treiben in Monaco sittlich zu nennen sei.
Freilich fehlt es auch heute nicht an Verteidigern und Lobrednern der Rennen,
denn welcher Unfug, ja welche Schändlichkeit, die der Wahrheit gemäß als
solche hingestellt wird, fände nicht ihre Fürsprecher und Beschützer! Und so
läßt sich mancher immer noch vorreden, die Wettrennen hätten den lobens¬
werten Zweck, „die Pferdezucht zu heben" (!), und redet sich dann selber ein,
daß er dieses gute Werk fördere, wenn er sich mit einem Spieleinsatze beteilige.
An die armen Opfer der Rennen denkt selten einer der Wettenden. Mir fallen,
wenn ich in den Tagesblättern, auch in den bessern, die ihre Leser zu edlerer
Unterhaltung erziehen wollen, die eingehenden Berichte über die Wettrennen,
noch dazu im greulichsten Kauderwelsch geschrieben lese, immer die Verse ein,
die der wackre Bischer auf die Rennen von Baden-Baden gedichtet hat:

Schade, daß der treffliche Alte nicht auch den andern Auswuchs des
Sports gesehen und gegeißelt hat, das Taubenschießen, das, damals in Baden-
Baden vielleicht schon verboten, jetzt nur noch hier am heiligen Damm eine
Stätte hat. Und hier blüht es trotz aller Ansturme der Tierschutzvereiue und
bildet, wie gesagt, die zweite Hauptanziehung für den mecklenburgischen Adel.
Es hat sich ein besondrer Taubeuschießklub gebildet, dem auch edle Damen
augehören; dieser veranstaltet alljährlich Preisschießen und läßt sich das Ver¬
gnügen ein gut Stück Geld kosten.

Ich hatte schon viel von diesem Auswuchs des Jagdsports gehört; nun


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[0240] Am heiligen Damm ligungen handelte, etwas „steinpöttig" gewesen sein; sie brauchten ihr Geld selber. In der genannten alten Kirche, die in den letzten Jahren prächtig ausgebaut worden ist, sind die Grabstätten mehrerer alten Adelsgeschlechter; in der Kapelle des einen prangt, gewiß zum Entsetzen manches frommen Christen, der Spruch: Aber wo sind die Zeiten hin, wo auch der ehrsame Bürgersmann wenigstens geschmuggelten Rotwein für wenige Schillinge trinken konnte? Selbst das Spielen in Doberan hat aufgehört, wenigstens öffentlich. Dafür kann man nun beim Wettrennen sein Glück versuchen und thuts auch nach Kräften. Und es giebt Sportsleute, die es offen auszusprechen wagen, daß im Vergleich mit den Wetten bei den Nennen das Treiben in Monaco sittlich zu nennen sei. Freilich fehlt es auch heute nicht an Verteidigern und Lobrednern der Rennen, denn welcher Unfug, ja welche Schändlichkeit, die der Wahrheit gemäß als solche hingestellt wird, fände nicht ihre Fürsprecher und Beschützer! Und so läßt sich mancher immer noch vorreden, die Wettrennen hätten den lobens¬ werten Zweck, „die Pferdezucht zu heben" (!), und redet sich dann selber ein, daß er dieses gute Werk fördere, wenn er sich mit einem Spieleinsatze beteilige. An die armen Opfer der Rennen denkt selten einer der Wettenden. Mir fallen, wenn ich in den Tagesblättern, auch in den bessern, die ihre Leser zu edlerer Unterhaltung erziehen wollen, die eingehenden Berichte über die Wettrennen, noch dazu im greulichsten Kauderwelsch geschrieben lese, immer die Verse ein, die der wackre Bischer auf die Rennen von Baden-Baden gedichtet hat: Schade, daß der treffliche Alte nicht auch den andern Auswuchs des Sports gesehen und gegeißelt hat, das Taubenschießen, das, damals in Baden- Baden vielleicht schon verboten, jetzt nur noch hier am heiligen Damm eine Stätte hat. Und hier blüht es trotz aller Ansturme der Tierschutzvereiue und bildet, wie gesagt, die zweite Hauptanziehung für den mecklenburgischen Adel. Es hat sich ein besondrer Taubeuschießklub gebildet, dem auch edle Damen augehören; dieser veranstaltet alljährlich Preisschießen und läßt sich das Ver¬ gnügen ein gut Stück Geld kosten. Ich hatte schon viel von diesem Auswuchs des Jagdsports gehört; nun

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/240>, abgerufen am 28.07.2024.