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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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darauf hinzuweisen, daß der größte Teil unsrer Reserve- und Landwehroffiziere
diese "bedenkliche" Unterbrechung ganz ohne Schaden sür ihre geistige Be¬
fähigung durchgemacht hat; ja daß selbst in steter wissenschaftlicher Thätigkeit
begriffne Universitätslehrer von ihrem militärischen Dienst mehr Nutzen als
Schaden erfahren haben dürften. Eine gründliche Unterbrechung des einseitigen
geistigen Drills, dem wir unsre Jugend vom nennten bis zum zwanzigsten Jahre
unterwerfen, scheint uns nicht nur nicht bedenklich, sondern durchaus wünschens-
wert, ja notwendig, so notwendig, daß wir, wie gesagt, im militärischen Dienst
augenblicklich das einzige wirksame Hilfsmittel in dem Kampfe gegen eine im
Wachsen begriffne Physische Entartung erblicken. Wir betrachten es als eine
Notwendigkeit, daß der junge Mann, der von der Schule zur Universität geht,
in freiem studentischen Nichtsthuns den schweren Wust der Schulkenntnisse
wieder abschüttelt, um wieder geistig und körperlich frisch zu neuer Arbeit zu
werden, und darin wird er ganz wesentlich durch Einschiebung seines Dienst-
jahres im Heer gefördert. Ob dies gleich nach der Schule, während oder "ach
der Studienzeit geschieht, ist von untergeordneter Bedeutung; eins aber ist
gewiß: daß es auch der wissenschaftlichst angelegte Mensch nicht zu bereuen
braucht.

Nun erscheint allerdings eine zweijährige Unterbrechung eine lauge Zeit,
und es würde wohl zu erwägen sein, ob sich ein Einschieben in die Mitte der
Studienzeit nicht von selber verbietet; es hindert ja nichts, die "zwei Jahre"
zu Anfang oder zu Ende der Studien zu legen. Im erstern Falle wäre es recht
und billig, die Dienstzeit in das Triennium, im letztern, sie in den Staats¬
dienst mit einzurechnen, wodurch ein Ausgleich mit den Kollegen hergestellt
wäre, die zum militärische" Dienst untauglich sind und daher zwei Jahre in
der Berufslnufbahn gewinnen würden. Von militärischer Seite würde der
Einwand gemacht werden, daß ja dann die bisherige Vorbedingung bei der
Beförderung zum Rcserveoffiier, die "gesicherte Lebensstellung" wegfallen müßte.
Es wäre das freilich eine durchaus notwendige Folge, aber sie kommt nur
theoretisch in Betracht. Denn abgesehen davon, daß auch bei der jetzigen Ein¬
richtung die "gesicherte Lebensstellung" von sehr zweifelhafter Bedeutung, in
vielen Fällen überhaupt nicht anwendbar ist, so ist gar nicht abzusehen, wes¬
halb für junge Leute, die durchschnittlich eine längere Schulbildung erhalten
als der Berufsoffizier, bei der Beförderung nicht dieselben Gesichtspunkte ma߬
gebend sein sollten wie bei diesem. Es wird sich in der Praxis des Soldaten¬
lebens sehr bald Heransstellen, ob der betreffende junge Mann auch im bürger¬
lichen Leben eine geachtete Stellung wird einnehmen und ausfüllen können (bei



") Das allerdings weit besser zu körperlichem Wettstreit als zu Trinkgelagen u, ii. ver¬
wendet wird; aber wie soll hierzu die grundlegende Neigung kommen, wenn die Schule ihre
wichtigste Anfgalie nnr in geistigem Dritten sieht?

darauf hinzuweisen, daß der größte Teil unsrer Reserve- und Landwehroffiziere
diese „bedenkliche" Unterbrechung ganz ohne Schaden sür ihre geistige Be¬
fähigung durchgemacht hat; ja daß selbst in steter wissenschaftlicher Thätigkeit
begriffne Universitätslehrer von ihrem militärischen Dienst mehr Nutzen als
Schaden erfahren haben dürften. Eine gründliche Unterbrechung des einseitigen
geistigen Drills, dem wir unsre Jugend vom nennten bis zum zwanzigsten Jahre
unterwerfen, scheint uns nicht nur nicht bedenklich, sondern durchaus wünschens-
wert, ja notwendig, so notwendig, daß wir, wie gesagt, im militärischen Dienst
augenblicklich das einzige wirksame Hilfsmittel in dem Kampfe gegen eine im
Wachsen begriffne Physische Entartung erblicken. Wir betrachten es als eine
Notwendigkeit, daß der junge Mann, der von der Schule zur Universität geht,
in freiem studentischen Nichtsthuns den schweren Wust der Schulkenntnisse
wieder abschüttelt, um wieder geistig und körperlich frisch zu neuer Arbeit zu
werden, und darin wird er ganz wesentlich durch Einschiebung seines Dienst-
jahres im Heer gefördert. Ob dies gleich nach der Schule, während oder »ach
der Studienzeit geschieht, ist von untergeordneter Bedeutung; eins aber ist
gewiß: daß es auch der wissenschaftlichst angelegte Mensch nicht zu bereuen
braucht.

Nun erscheint allerdings eine zweijährige Unterbrechung eine lauge Zeit,
und es würde wohl zu erwägen sein, ob sich ein Einschieben in die Mitte der
Studienzeit nicht von selber verbietet; es hindert ja nichts, die „zwei Jahre"
zu Anfang oder zu Ende der Studien zu legen. Im erstern Falle wäre es recht
und billig, die Dienstzeit in das Triennium, im letztern, sie in den Staats¬
dienst mit einzurechnen, wodurch ein Ausgleich mit den Kollegen hergestellt
wäre, die zum militärische» Dienst untauglich sind und daher zwei Jahre in
der Berufslnufbahn gewinnen würden. Von militärischer Seite würde der
Einwand gemacht werden, daß ja dann die bisherige Vorbedingung bei der
Beförderung zum Rcserveoffiier, die „gesicherte Lebensstellung" wegfallen müßte.
Es wäre das freilich eine durchaus notwendige Folge, aber sie kommt nur
theoretisch in Betracht. Denn abgesehen davon, daß auch bei der jetzigen Ein¬
richtung die „gesicherte Lebensstellung" von sehr zweifelhafter Bedeutung, in
vielen Fällen überhaupt nicht anwendbar ist, so ist gar nicht abzusehen, wes¬
halb für junge Leute, die durchschnittlich eine längere Schulbildung erhalten
als der Berufsoffizier, bei der Beförderung nicht dieselben Gesichtspunkte ma߬
gebend sein sollten wie bei diesem. Es wird sich in der Praxis des Soldaten¬
lebens sehr bald Heransstellen, ob der betreffende junge Mann auch im bürger¬
lichen Leben eine geachtete Stellung wird einnehmen und ausfüllen können (bei



") Das allerdings weit besser zu körperlichem Wettstreit als zu Trinkgelagen u, ii. ver¬
wendet wird; aber wie soll hierzu die grundlegende Neigung kommen, wenn die Schule ihre
wichtigste Anfgalie nnr in geistigem Dritten sieht?
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[0218] darauf hinzuweisen, daß der größte Teil unsrer Reserve- und Landwehroffiziere diese „bedenkliche" Unterbrechung ganz ohne Schaden sür ihre geistige Be¬ fähigung durchgemacht hat; ja daß selbst in steter wissenschaftlicher Thätigkeit begriffne Universitätslehrer von ihrem militärischen Dienst mehr Nutzen als Schaden erfahren haben dürften. Eine gründliche Unterbrechung des einseitigen geistigen Drills, dem wir unsre Jugend vom nennten bis zum zwanzigsten Jahre unterwerfen, scheint uns nicht nur nicht bedenklich, sondern durchaus wünschens- wert, ja notwendig, so notwendig, daß wir, wie gesagt, im militärischen Dienst augenblicklich das einzige wirksame Hilfsmittel in dem Kampfe gegen eine im Wachsen begriffne Physische Entartung erblicken. Wir betrachten es als eine Notwendigkeit, daß der junge Mann, der von der Schule zur Universität geht, in freiem studentischen Nichtsthuns den schweren Wust der Schulkenntnisse wieder abschüttelt, um wieder geistig und körperlich frisch zu neuer Arbeit zu werden, und darin wird er ganz wesentlich durch Einschiebung seines Dienst- jahres im Heer gefördert. Ob dies gleich nach der Schule, während oder »ach der Studienzeit geschieht, ist von untergeordneter Bedeutung; eins aber ist gewiß: daß es auch der wissenschaftlichst angelegte Mensch nicht zu bereuen braucht. Nun erscheint allerdings eine zweijährige Unterbrechung eine lauge Zeit, und es würde wohl zu erwägen sein, ob sich ein Einschieben in die Mitte der Studienzeit nicht von selber verbietet; es hindert ja nichts, die „zwei Jahre" zu Anfang oder zu Ende der Studien zu legen. Im erstern Falle wäre es recht und billig, die Dienstzeit in das Triennium, im letztern, sie in den Staats¬ dienst mit einzurechnen, wodurch ein Ausgleich mit den Kollegen hergestellt wäre, die zum militärische» Dienst untauglich sind und daher zwei Jahre in der Berufslnufbahn gewinnen würden. Von militärischer Seite würde der Einwand gemacht werden, daß ja dann die bisherige Vorbedingung bei der Beförderung zum Rcserveoffiier, die „gesicherte Lebensstellung" wegfallen müßte. Es wäre das freilich eine durchaus notwendige Folge, aber sie kommt nur theoretisch in Betracht. Denn abgesehen davon, daß auch bei der jetzigen Ein¬ richtung die „gesicherte Lebensstellung" von sehr zweifelhafter Bedeutung, in vielen Fällen überhaupt nicht anwendbar ist, so ist gar nicht abzusehen, wes¬ halb für junge Leute, die durchschnittlich eine längere Schulbildung erhalten als der Berufsoffizier, bei der Beförderung nicht dieselben Gesichtspunkte ma߬ gebend sein sollten wie bei diesem. Es wird sich in der Praxis des Soldaten¬ lebens sehr bald Heransstellen, ob der betreffende junge Mann auch im bürger¬ lichen Leben eine geachtete Stellung wird einnehmen und ausfüllen können (bei ") Das allerdings weit besser zu körperlichem Wettstreit als zu Trinkgelagen u, ii. ver¬ wendet wird; aber wie soll hierzu die grundlegende Neigung kommen, wenn die Schule ihre wichtigste Anfgalie nnr in geistigem Dritten sieht?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/218>, abgerufen am 28.07.2024.