Aus einem wächsernen Gesichtchen, mit braungoldigen Löckchen über der weit vorgewölbten Stirn, sahen zwei große, schimmernde, hellgraue Augen, die melancholischen Augen der Mutter, unverwandt staunend die fremde Be¬ sucherin an.
Nicht wahr? sagte Martha, die Margarete forschend von der Seite ansah, schmerzlich, als hätte diese schon gesprochen.
Was sind das da für breite Bunter? fragte die Angeredete beklommen und deutete auf einen der Gurte, an denen das Kind mit den bleichen, magern Händchen zupfte.
Es liegt auf dem Streckbett, angeschnallt, darf sich nicht aufrichten, er¬ klärte die Mutter tonlos. Die kleine Wirbelsäule ist krumm.
Großer Gott, sagte Margarete erschüttert. Woher?
Ja, woher! Rhachitis, nicht rechtzeitig erkannt, verschleppt. Sehen Sie den Kopf, diese Unform von Stirn -- sie strich dem Kinde die Locken zurück -- diese Wölbung ist gewachsen und immer gewachsen, das Köpfchen auseinander¬ gegangen -- Die Stimme zitterte ihr; sie schwieg.
Margaretens weiches Herz dehnte sich. Sie schlang heftig den Arm um Marthas Hals und drückte sie an sich. Sie Armes, Armes -- murmelte sie mit erstickter Stimme.
Still! wehrte Martha sanft ab und machte sich los. Nicht weich machen! Ruhig sein! Ich will ja hoffen. Ihr Mann hat mir heute bei Tische Mut gemacht. Dafür dank ich ihm sehr. Er hat mir von seiner jüngsten Schwester erzählt, die auch so ein elendes Pflänzchen gewesen wäre, und jetzt könnte sie "Bäume umreißen." Soviel verlange ich ja nun von meiner armen kleinen Maus nicht. Unser jetziger Arzt meint, auf diesem Wege müßten wir viel erreichen können, wenn wir auch spät genug darauf gekommen wären. Drei Monate liegt sie nun schon so; ein zweites Vierteljahr wird wohl auch noch darüber hingehen. Aber die ganze Behandlung leuchtet mir sehr ein; es ist soviel Vernunft darin, soviel Logik. Ich verstehe jetzt, warum es so kommen mußte, und was für Fehler früher gemacht worden sind. Sorgfalt und Aus¬ dauer muß man haben. Es kann doch am Ende noch einmal gut werden. Ihnen aber danke ich auch, fügte sie weich hinzu.
Wofür? fragte Margarete, die noch mit ihrer Ergriffenheit kämpfte.
Nun, Sie werden mich schon verstehen. -- Da kommt mein Mann, sagte sie gleich darauf mit ganz andrer Stimme, halblaut. In ihrem Gesicht schien eine Flamme zu erlöschen; es wurde stumm und kalt.
Peinlich überrascht sah Margarete dem Kommenden entgegen. Gerade ihn hatte sie hier am wenigsten erwartet. Die Angst, die sie beim ersten Wiedersehen überfallen hatte, war verflogen. Sie war sich im Augenblick nicht einmal mehr klar bewußt, vor was sie sich denn eigentlich gefürchtet hatte. Gleich sein erster Ausfall gegen Fritz hatte sie aus der Verwirrung aufge¬ rüttelt. Jetzt stand sie gleichsam argwöhnisch Wache.
Ein ziemlich umfangreiches Päckchen unter Kreuzband in der nieder¬ hängenden Hand schwenkend, trat Waldemar Scholz in die Laube zu den beiden Frauen.
Majestät schickt jetzt mich hinter ihrem ersten Abgesandten her, sagte er lächelnd. Aller Augen warten auf Sie, gnädigste Frau. Ich muß Sie holen, tot oder lebendig.
Wir werden schon kommen, alle beide, antwortete Margarete mit einem
Der erste Beste
Aus einem wächsernen Gesichtchen, mit braungoldigen Löckchen über der weit vorgewölbten Stirn, sahen zwei große, schimmernde, hellgraue Augen, die melancholischen Augen der Mutter, unverwandt staunend die fremde Be¬ sucherin an.
Nicht wahr? sagte Martha, die Margarete forschend von der Seite ansah, schmerzlich, als hätte diese schon gesprochen.
Was sind das da für breite Bunter? fragte die Angeredete beklommen und deutete auf einen der Gurte, an denen das Kind mit den bleichen, magern Händchen zupfte.
Es liegt auf dem Streckbett, angeschnallt, darf sich nicht aufrichten, er¬ klärte die Mutter tonlos. Die kleine Wirbelsäule ist krumm.
Großer Gott, sagte Margarete erschüttert. Woher?
Ja, woher! Rhachitis, nicht rechtzeitig erkannt, verschleppt. Sehen Sie den Kopf, diese Unform von Stirn — sie strich dem Kinde die Locken zurück — diese Wölbung ist gewachsen und immer gewachsen, das Köpfchen auseinander¬ gegangen — Die Stimme zitterte ihr; sie schwieg.
Margaretens weiches Herz dehnte sich. Sie schlang heftig den Arm um Marthas Hals und drückte sie an sich. Sie Armes, Armes — murmelte sie mit erstickter Stimme.
Still! wehrte Martha sanft ab und machte sich los. Nicht weich machen! Ruhig sein! Ich will ja hoffen. Ihr Mann hat mir heute bei Tische Mut gemacht. Dafür dank ich ihm sehr. Er hat mir von seiner jüngsten Schwester erzählt, die auch so ein elendes Pflänzchen gewesen wäre, und jetzt könnte sie „Bäume umreißen." Soviel verlange ich ja nun von meiner armen kleinen Maus nicht. Unser jetziger Arzt meint, auf diesem Wege müßten wir viel erreichen können, wenn wir auch spät genug darauf gekommen wären. Drei Monate liegt sie nun schon so; ein zweites Vierteljahr wird wohl auch noch darüber hingehen. Aber die ganze Behandlung leuchtet mir sehr ein; es ist soviel Vernunft darin, soviel Logik. Ich verstehe jetzt, warum es so kommen mußte, und was für Fehler früher gemacht worden sind. Sorgfalt und Aus¬ dauer muß man haben. Es kann doch am Ende noch einmal gut werden. Ihnen aber danke ich auch, fügte sie weich hinzu.
Wofür? fragte Margarete, die noch mit ihrer Ergriffenheit kämpfte.
Nun, Sie werden mich schon verstehen. — Da kommt mein Mann, sagte sie gleich darauf mit ganz andrer Stimme, halblaut. In ihrem Gesicht schien eine Flamme zu erlöschen; es wurde stumm und kalt.
Peinlich überrascht sah Margarete dem Kommenden entgegen. Gerade ihn hatte sie hier am wenigsten erwartet. Die Angst, die sie beim ersten Wiedersehen überfallen hatte, war verflogen. Sie war sich im Augenblick nicht einmal mehr klar bewußt, vor was sie sich denn eigentlich gefürchtet hatte. Gleich sein erster Ausfall gegen Fritz hatte sie aus der Verwirrung aufge¬ rüttelt. Jetzt stand sie gleichsam argwöhnisch Wache.
Ein ziemlich umfangreiches Päckchen unter Kreuzband in der nieder¬ hängenden Hand schwenkend, trat Waldemar Scholz in die Laube zu den beiden Frauen.
Majestät schickt jetzt mich hinter ihrem ersten Abgesandten her, sagte er lächelnd. Aller Augen warten auf Sie, gnädigste Frau. Ich muß Sie holen, tot oder lebendig.
Wir werden schon kommen, alle beide, antwortete Margarete mit einem
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Aus einem wächsernen Gesichtchen, mit braungoldigen Löckchen über der
weit vorgewölbten Stirn, sahen zwei große, schimmernde, hellgraue Augen,
die melancholischen Augen der Mutter, unverwandt staunend die fremde Be¬
sucherin an.
Nicht wahr? sagte Martha, die Margarete forschend von der Seite ansah,
schmerzlich, als hätte diese schon gesprochen.
Was sind das da für breite Bunter? fragte die Angeredete beklommen
und deutete auf einen der Gurte, an denen das Kind mit den bleichen, magern
Händchen zupfte.
Es liegt auf dem Streckbett, angeschnallt, darf sich nicht aufrichten, er¬
klärte die Mutter tonlos. Die kleine Wirbelsäule ist krumm.
Großer Gott, sagte Margarete erschüttert. Woher?
Ja, woher! Rhachitis, nicht rechtzeitig erkannt, verschleppt. Sehen Sie
den Kopf, diese Unform von Stirn — sie strich dem Kinde die Locken zurück —
diese Wölbung ist gewachsen und immer gewachsen, das Köpfchen auseinander¬
gegangen — Die Stimme zitterte ihr; sie schwieg.
Margaretens weiches Herz dehnte sich. Sie schlang heftig den Arm um
Marthas Hals und drückte sie an sich. Sie Armes, Armes — murmelte sie
mit erstickter Stimme.
Still! wehrte Martha sanft ab und machte sich los. Nicht weich machen!
Ruhig sein! Ich will ja hoffen. Ihr Mann hat mir heute bei Tische Mut
gemacht. Dafür dank ich ihm sehr. Er hat mir von seiner jüngsten Schwester
erzählt, die auch so ein elendes Pflänzchen gewesen wäre, und jetzt könnte sie
„Bäume umreißen." Soviel verlange ich ja nun von meiner armen kleinen
Maus nicht. Unser jetziger Arzt meint, auf diesem Wege müßten wir viel
erreichen können, wenn wir auch spät genug darauf gekommen wären. Drei
Monate liegt sie nun schon so; ein zweites Vierteljahr wird wohl auch noch
darüber hingehen. Aber die ganze Behandlung leuchtet mir sehr ein; es ist
soviel Vernunft darin, soviel Logik. Ich verstehe jetzt, warum es so kommen
mußte, und was für Fehler früher gemacht worden sind. Sorgfalt und Aus¬
dauer muß man haben. Es kann doch am Ende noch einmal gut werden.
Ihnen aber danke ich auch, fügte sie weich hinzu.
Wofür? fragte Margarete, die noch mit ihrer Ergriffenheit kämpfte.
Nun, Sie werden mich schon verstehen. — Da kommt mein Mann, sagte
sie gleich darauf mit ganz andrer Stimme, halblaut. In ihrem Gesicht schien
eine Flamme zu erlöschen; es wurde stumm und kalt.
Peinlich überrascht sah Margarete dem Kommenden entgegen. Gerade
ihn hatte sie hier am wenigsten erwartet. Die Angst, die sie beim ersten
Wiedersehen überfallen hatte, war verflogen. Sie war sich im Augenblick nicht
einmal mehr klar bewußt, vor was sie sich denn eigentlich gefürchtet hatte.
Gleich sein erster Ausfall gegen Fritz hatte sie aus der Verwirrung aufge¬
rüttelt. Jetzt stand sie gleichsam argwöhnisch Wache.
Ein ziemlich umfangreiches Päckchen unter Kreuzband in der nieder¬
hängenden Hand schwenkend, trat Waldemar Scholz in die Laube zu den
beiden Frauen.
Majestät schickt jetzt mich hinter ihrem ersten Abgesandten her, sagte er
lächelnd. Aller Augen warten auf Sie, gnädigste Frau. Ich muß Sie holen,
tot oder lebendig.
Wir werden schon kommen, alle beide, antwortete Margarete mit einem
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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/200>, abgerufen am 27.01.2025.
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