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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Die Genossenschaft Pan und die allermodernste Kunst

zweiten Hefts! Bildet man sich wirklich ein, daß unser gerade durch die
moderne Malerei verfeinertes und für die zartesten Tonunterschiede empfänglich
gemachtes Auge derartige grelle Nebeneinanderstellungen schwarzer und weißer
Flächen, derartige grobe Konturen noch ertragen kann? Fühlt man denn nicht,
daß ein derartiges Bestreben nichts als ungesunder Archaismus, nichts als
eine einfältige Modethorheit ist?

Das Haarsträubendste in dieser Beziehung sind aber die Holzschnitte von
Doudelet zu den ?rois lienis des belgischen Dichters Maeterlinck! Ich bin nicht
tief genug in den Geist der französischen Lyrik eingedrungen, um beurteilen zu
können, ob diese gekünstelt einfache Nachahmung deutscher Volkslieder, aus
deren verschwommnem Inhalt man alles mögliche herauslesen kann, auf einen
Franzosen oder Belgier irgendwie im Sinne künstlerischer Stimmungserzeugung
wirken würde. Jedenfalls stehen die Illustrationen diesmal an gesuchter Ein¬
fachheit und UnVerständlichkeit in schönster Harmonie zu dem Gedicht, das sie
begleiten. Eine Reihe parallel aufgehängter Hosenträger -- ein Wald. Ein
davor hingepatzter roher Pfeiler, der nichts trägt und nichts abschließt -- eine
Thür oder ein Haus oder irgend etwas, was man sich darunter denken will.
Neben ihm ein faltiges Gewand, von dem man nicht sieht, ob es einem Manne
oder einer Frau angehört, ob dieser Mann oder diese Frau ruhig steht, kommt
oder geht. Weiter: ein paar kohlschwarze geradlinig begrenzte Flecken, dazu
ein paar senkrecht oder wagerecht schraffirte Flächen, eine Weiße Fläche, auf
der sich in grellsten Gegensatz schwarze blütterartigc Flecken abheben, endlich
die untere Ecke der Mondsichel -- wahrscheinlich eine offne Thür, in die der
Mond hineinscheint. Weiter: ein Wust von Frauenhaaren, die ein Fenster
halb verdecken, und an denen unten ein paar Gewandfalten hängen -- offenbar
ein Kleiderständer, den man ans Fenster gelehnt hat. Ans einem andern Bilde
ist der Kleiderständer umgefallen und hat dabei überraschenderweise die Formen
eines Mädchens angenommen, vor dem ein unerkennbares Etwas am Boden
liegt, während hinten eine Flamme am schwarzen Himmel zuckt. Endlich eine
Hand, die aus dem Wasser herausragt, und eine andre Hand, die eine Lampe
hält. Es ist mir unmöglich gewesen, diese Bilder in andrer Weise mit dem
Text in Zusammenhang zu bringen, als durch das gemeinsame Kennzeichen
der Unverständlichkeit und des inhaltlichen Versteckenspielens. Man muß das
alles sehen, um es zu glauben; beschreiben läßt es sich nicht. Der bekannte
in drei Strichen zu zeichnende "Soldat, der mit dem Gewehr über der Schulter
und dem Hunde neben sich um die Straßenecke geht," oder die "vier Tempera¬
mente einer Sau," bei denen die Stimmung durch die Form des Schwanzes
angezeigt wird, find wahre Kunstwerke gegen diese Proben einer idiotenhaft
stammelnden Kunst. VMoils oft salir-un non soribsrg.

Für uus Deutsche sind eben selbst die Brosamen vom Kunsttisch der
fremden Völker noch gut genug. So werden uns z. B. im zweiten Heft zwei


Die Genossenschaft Pan und die allermodernste Kunst

zweiten Hefts! Bildet man sich wirklich ein, daß unser gerade durch die
moderne Malerei verfeinertes und für die zartesten Tonunterschiede empfänglich
gemachtes Auge derartige grelle Nebeneinanderstellungen schwarzer und weißer
Flächen, derartige grobe Konturen noch ertragen kann? Fühlt man denn nicht,
daß ein derartiges Bestreben nichts als ungesunder Archaismus, nichts als
eine einfältige Modethorheit ist?

Das Haarsträubendste in dieser Beziehung sind aber die Holzschnitte von
Doudelet zu den ?rois lienis des belgischen Dichters Maeterlinck! Ich bin nicht
tief genug in den Geist der französischen Lyrik eingedrungen, um beurteilen zu
können, ob diese gekünstelt einfache Nachahmung deutscher Volkslieder, aus
deren verschwommnem Inhalt man alles mögliche herauslesen kann, auf einen
Franzosen oder Belgier irgendwie im Sinne künstlerischer Stimmungserzeugung
wirken würde. Jedenfalls stehen die Illustrationen diesmal an gesuchter Ein¬
fachheit und UnVerständlichkeit in schönster Harmonie zu dem Gedicht, das sie
begleiten. Eine Reihe parallel aufgehängter Hosenträger — ein Wald. Ein
davor hingepatzter roher Pfeiler, der nichts trägt und nichts abschließt — eine
Thür oder ein Haus oder irgend etwas, was man sich darunter denken will.
Neben ihm ein faltiges Gewand, von dem man nicht sieht, ob es einem Manne
oder einer Frau angehört, ob dieser Mann oder diese Frau ruhig steht, kommt
oder geht. Weiter: ein paar kohlschwarze geradlinig begrenzte Flecken, dazu
ein paar senkrecht oder wagerecht schraffirte Flächen, eine Weiße Fläche, auf
der sich in grellsten Gegensatz schwarze blütterartigc Flecken abheben, endlich
die untere Ecke der Mondsichel — wahrscheinlich eine offne Thür, in die der
Mond hineinscheint. Weiter: ein Wust von Frauenhaaren, die ein Fenster
halb verdecken, und an denen unten ein paar Gewandfalten hängen — offenbar
ein Kleiderständer, den man ans Fenster gelehnt hat. Ans einem andern Bilde
ist der Kleiderständer umgefallen und hat dabei überraschenderweise die Formen
eines Mädchens angenommen, vor dem ein unerkennbares Etwas am Boden
liegt, während hinten eine Flamme am schwarzen Himmel zuckt. Endlich eine
Hand, die aus dem Wasser herausragt, und eine andre Hand, die eine Lampe
hält. Es ist mir unmöglich gewesen, diese Bilder in andrer Weise mit dem
Text in Zusammenhang zu bringen, als durch das gemeinsame Kennzeichen
der Unverständlichkeit und des inhaltlichen Versteckenspielens. Man muß das
alles sehen, um es zu glauben; beschreiben läßt es sich nicht. Der bekannte
in drei Strichen zu zeichnende „Soldat, der mit dem Gewehr über der Schulter
und dem Hunde neben sich um die Straßenecke geht," oder die „vier Tempera¬
mente einer Sau," bei denen die Stimmung durch die Form des Schwanzes
angezeigt wird, find wahre Kunstwerke gegen diese Proben einer idiotenhaft
stammelnden Kunst. VMoils oft salir-un non soribsrg.

Für uus Deutsche sind eben selbst die Brosamen vom Kunsttisch der
fremden Völker noch gut genug. So werden uns z. B. im zweiten Heft zwei


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[0194] Die Genossenschaft Pan und die allermodernste Kunst zweiten Hefts! Bildet man sich wirklich ein, daß unser gerade durch die moderne Malerei verfeinertes und für die zartesten Tonunterschiede empfänglich gemachtes Auge derartige grelle Nebeneinanderstellungen schwarzer und weißer Flächen, derartige grobe Konturen noch ertragen kann? Fühlt man denn nicht, daß ein derartiges Bestreben nichts als ungesunder Archaismus, nichts als eine einfältige Modethorheit ist? Das Haarsträubendste in dieser Beziehung sind aber die Holzschnitte von Doudelet zu den ?rois lienis des belgischen Dichters Maeterlinck! Ich bin nicht tief genug in den Geist der französischen Lyrik eingedrungen, um beurteilen zu können, ob diese gekünstelt einfache Nachahmung deutscher Volkslieder, aus deren verschwommnem Inhalt man alles mögliche herauslesen kann, auf einen Franzosen oder Belgier irgendwie im Sinne künstlerischer Stimmungserzeugung wirken würde. Jedenfalls stehen die Illustrationen diesmal an gesuchter Ein¬ fachheit und UnVerständlichkeit in schönster Harmonie zu dem Gedicht, das sie begleiten. Eine Reihe parallel aufgehängter Hosenträger — ein Wald. Ein davor hingepatzter roher Pfeiler, der nichts trägt und nichts abschließt — eine Thür oder ein Haus oder irgend etwas, was man sich darunter denken will. Neben ihm ein faltiges Gewand, von dem man nicht sieht, ob es einem Manne oder einer Frau angehört, ob dieser Mann oder diese Frau ruhig steht, kommt oder geht. Weiter: ein paar kohlschwarze geradlinig begrenzte Flecken, dazu ein paar senkrecht oder wagerecht schraffirte Flächen, eine Weiße Fläche, auf der sich in grellsten Gegensatz schwarze blütterartigc Flecken abheben, endlich die untere Ecke der Mondsichel — wahrscheinlich eine offne Thür, in die der Mond hineinscheint. Weiter: ein Wust von Frauenhaaren, die ein Fenster halb verdecken, und an denen unten ein paar Gewandfalten hängen — offenbar ein Kleiderständer, den man ans Fenster gelehnt hat. Ans einem andern Bilde ist der Kleiderständer umgefallen und hat dabei überraschenderweise die Formen eines Mädchens angenommen, vor dem ein unerkennbares Etwas am Boden liegt, während hinten eine Flamme am schwarzen Himmel zuckt. Endlich eine Hand, die aus dem Wasser herausragt, und eine andre Hand, die eine Lampe hält. Es ist mir unmöglich gewesen, diese Bilder in andrer Weise mit dem Text in Zusammenhang zu bringen, als durch das gemeinsame Kennzeichen der Unverständlichkeit und des inhaltlichen Versteckenspielens. Man muß das alles sehen, um es zu glauben; beschreiben läßt es sich nicht. Der bekannte in drei Strichen zu zeichnende „Soldat, der mit dem Gewehr über der Schulter und dem Hunde neben sich um die Straßenecke geht," oder die „vier Tempera¬ mente einer Sau," bei denen die Stimmung durch die Form des Schwanzes angezeigt wird, find wahre Kunstwerke gegen diese Proben einer idiotenhaft stammelnden Kunst. VMoils oft salir-un non soribsrg. Für uus Deutsche sind eben selbst die Brosamen vom Kunsttisch der fremden Völker noch gut genug. So werden uns z. B. im zweiten Heft zwei

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/194>, abgerufen am 28.07.2024.