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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Allgemeine zweijährige Dienstzeit

man getrost das hohe Lied auf die "allgemeine Bildung" hierher setzen. Daß
diese Wahrheit, elementar, aber auch überwuchert, wie sie ist, von dem Phrasen-
tum unsrer Halbgebildeten und Zeitungsgelehrten, wieder in Schule und Er¬
ziehung eindringt -- das wäre das erste Verdienst der Aufhebung des Ein-
jährig-Freiwilligenwesens. Glücklich wird die Zeit zu Preisen sein, die wieder
den Mut dazu findet, zu erklären, daß sie recht wenig wisse und weit davon
entfernt sei, "allgemein gebildet" zu sein.

Hiermit hängt nun unmittelbar zusammen, daß als Folge unsre höhern
Schulen allmählich von dem ganz ungeeigneten, stetig anschwellenden und von
dem allgemeinen Vildungsphilister so freudig begrüßten Zuzug würden befreit
werden, den ihnen namentlich der nun einmal notwendige "Einjährige" bringt.
Wer keine gelehrte Bildung erhalten soll, sei es, daß er sich dazu nicht eignet,
daß er sie nicht braucht, oder daß er sie nicht will, wird sie auch uicht mehr
um teures Geld aufsuchen. Es ist kaum abzusehen, welche Gesundung damit
einerseits für die Schule, andrerseits für unser gesamtes öffentliches Leben
eintreten würde. Ja man kann es, ohne Widerspruch befürchten zu müssen,
sagen, daß eine wirksame Reform unsrer höhern Schule erst dann möglich ist,
wenn das Verechtignngswesen im allgemeinen, der Einjährigenschein insbesondre
gefallen ist. Denn nun wird das Ziel der Schule nicht mehr die Einlernung
eines bestimmten Quantums von Kenntnissen in die verschiedenartigst ange¬
legten Köpfe sein, sondern sie wird ihre Aufgabe in der Erziehung unsrer
Jugend zum Leben und zwar je nach Anlage und Art erblicken, damit sie in
den Kampf ums Dasein möglichst gut gerüstet eintritt. Leute, die zu ab¬
strakter Denkthätigkeit nicht befähigt sind, wird sie frühzeitig ausscheiden, damit
sie auf andern: Wege, für den sie besser geeignet sind, Geschick zu einer
Berufsthätigkeit erreichen. Ist es denn nicht ein ganz unleidlicher Zustand,
daß wir grundsätzlich und mit einer geradezu Bewunderung herausfordernden
Beharrlichkeit einen großen Teil unsrer männlichen <und, fügen wir beiläufig
hinzu, auch einen nicht geringen der weiblichen) Jugend eine Erziehung oder
-- leider -- vielmehr ein "Wissen" mit auf den Lebensweg geben, das er
wie einen unverdauten Ballast mit sich herumschleppt, und das ihm im
günstigsten Falle doch die Frische des Denkens, den gesunden Blick in die Ver¬
hältnisse, die den Kampf ums Dasein bilden, mit einem Worte, den auch bei
uns so hochgepriesenen common sönss, trüben muß? Mau sehe nur einmal
den "gebildeten" Einjährigen an, mit welcher erstaunlichen Ungeschicklichkeit er
sich gerade den einfachen, nichts anders als einen geraden, gesunden Verstand
heischenden Verhältnissen gegenüber benimmt! Ein ganz wesentliches Verdienst
des Dienstjahres liegt eben darin, daß dieser Blick für das Einfache und Wirk¬
liche zurückgewonnen wird, daß er aus dem Verkehr mit erlernten Kenntnissen
wieder in das wirkliche Leben zurücktritt, um es zu sehen, wie es ist, und in
und mit den realen Kräften zum Nutzen des Ganzen mitzuarbeiten. Mehr


Allgemeine zweijährige Dienstzeit

man getrost das hohe Lied auf die „allgemeine Bildung" hierher setzen. Daß
diese Wahrheit, elementar, aber auch überwuchert, wie sie ist, von dem Phrasen-
tum unsrer Halbgebildeten und Zeitungsgelehrten, wieder in Schule und Er¬
ziehung eindringt — das wäre das erste Verdienst der Aufhebung des Ein-
jährig-Freiwilligenwesens. Glücklich wird die Zeit zu Preisen sein, die wieder
den Mut dazu findet, zu erklären, daß sie recht wenig wisse und weit davon
entfernt sei, „allgemein gebildet" zu sein.

Hiermit hängt nun unmittelbar zusammen, daß als Folge unsre höhern
Schulen allmählich von dem ganz ungeeigneten, stetig anschwellenden und von
dem allgemeinen Vildungsphilister so freudig begrüßten Zuzug würden befreit
werden, den ihnen namentlich der nun einmal notwendige „Einjährige" bringt.
Wer keine gelehrte Bildung erhalten soll, sei es, daß er sich dazu nicht eignet,
daß er sie nicht braucht, oder daß er sie nicht will, wird sie auch uicht mehr
um teures Geld aufsuchen. Es ist kaum abzusehen, welche Gesundung damit
einerseits für die Schule, andrerseits für unser gesamtes öffentliches Leben
eintreten würde. Ja man kann es, ohne Widerspruch befürchten zu müssen,
sagen, daß eine wirksame Reform unsrer höhern Schule erst dann möglich ist,
wenn das Verechtignngswesen im allgemeinen, der Einjährigenschein insbesondre
gefallen ist. Denn nun wird das Ziel der Schule nicht mehr die Einlernung
eines bestimmten Quantums von Kenntnissen in die verschiedenartigst ange¬
legten Köpfe sein, sondern sie wird ihre Aufgabe in der Erziehung unsrer
Jugend zum Leben und zwar je nach Anlage und Art erblicken, damit sie in
den Kampf ums Dasein möglichst gut gerüstet eintritt. Leute, die zu ab¬
strakter Denkthätigkeit nicht befähigt sind, wird sie frühzeitig ausscheiden, damit
sie auf andern: Wege, für den sie besser geeignet sind, Geschick zu einer
Berufsthätigkeit erreichen. Ist es denn nicht ein ganz unleidlicher Zustand,
daß wir grundsätzlich und mit einer geradezu Bewunderung herausfordernden
Beharrlichkeit einen großen Teil unsrer männlichen <und, fügen wir beiläufig
hinzu, auch einen nicht geringen der weiblichen) Jugend eine Erziehung oder
— leider — vielmehr ein „Wissen" mit auf den Lebensweg geben, das er
wie einen unverdauten Ballast mit sich herumschleppt, und das ihm im
günstigsten Falle doch die Frische des Denkens, den gesunden Blick in die Ver¬
hältnisse, die den Kampf ums Dasein bilden, mit einem Worte, den auch bei
uns so hochgepriesenen common sönss, trüben muß? Mau sehe nur einmal
den „gebildeten" Einjährigen an, mit welcher erstaunlichen Ungeschicklichkeit er
sich gerade den einfachen, nichts anders als einen geraden, gesunden Verstand
heischenden Verhältnissen gegenüber benimmt! Ein ganz wesentliches Verdienst
des Dienstjahres liegt eben darin, daß dieser Blick für das Einfache und Wirk¬
liche zurückgewonnen wird, daß er aus dem Verkehr mit erlernten Kenntnissen
wieder in das wirkliche Leben zurücktritt, um es zu sehen, wie es ist, und in
und mit den realen Kräften zum Nutzen des Ganzen mitzuarbeiten. Mehr


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[0174] Allgemeine zweijährige Dienstzeit man getrost das hohe Lied auf die „allgemeine Bildung" hierher setzen. Daß diese Wahrheit, elementar, aber auch überwuchert, wie sie ist, von dem Phrasen- tum unsrer Halbgebildeten und Zeitungsgelehrten, wieder in Schule und Er¬ ziehung eindringt — das wäre das erste Verdienst der Aufhebung des Ein- jährig-Freiwilligenwesens. Glücklich wird die Zeit zu Preisen sein, die wieder den Mut dazu findet, zu erklären, daß sie recht wenig wisse und weit davon entfernt sei, „allgemein gebildet" zu sein. Hiermit hängt nun unmittelbar zusammen, daß als Folge unsre höhern Schulen allmählich von dem ganz ungeeigneten, stetig anschwellenden und von dem allgemeinen Vildungsphilister so freudig begrüßten Zuzug würden befreit werden, den ihnen namentlich der nun einmal notwendige „Einjährige" bringt. Wer keine gelehrte Bildung erhalten soll, sei es, daß er sich dazu nicht eignet, daß er sie nicht braucht, oder daß er sie nicht will, wird sie auch uicht mehr um teures Geld aufsuchen. Es ist kaum abzusehen, welche Gesundung damit einerseits für die Schule, andrerseits für unser gesamtes öffentliches Leben eintreten würde. Ja man kann es, ohne Widerspruch befürchten zu müssen, sagen, daß eine wirksame Reform unsrer höhern Schule erst dann möglich ist, wenn das Verechtignngswesen im allgemeinen, der Einjährigenschein insbesondre gefallen ist. Denn nun wird das Ziel der Schule nicht mehr die Einlernung eines bestimmten Quantums von Kenntnissen in die verschiedenartigst ange¬ legten Köpfe sein, sondern sie wird ihre Aufgabe in der Erziehung unsrer Jugend zum Leben und zwar je nach Anlage und Art erblicken, damit sie in den Kampf ums Dasein möglichst gut gerüstet eintritt. Leute, die zu ab¬ strakter Denkthätigkeit nicht befähigt sind, wird sie frühzeitig ausscheiden, damit sie auf andern: Wege, für den sie besser geeignet sind, Geschick zu einer Berufsthätigkeit erreichen. Ist es denn nicht ein ganz unleidlicher Zustand, daß wir grundsätzlich und mit einer geradezu Bewunderung herausfordernden Beharrlichkeit einen großen Teil unsrer männlichen <und, fügen wir beiläufig hinzu, auch einen nicht geringen der weiblichen) Jugend eine Erziehung oder — leider — vielmehr ein „Wissen" mit auf den Lebensweg geben, das er wie einen unverdauten Ballast mit sich herumschleppt, und das ihm im günstigsten Falle doch die Frische des Denkens, den gesunden Blick in die Ver¬ hältnisse, die den Kampf ums Dasein bilden, mit einem Worte, den auch bei uns so hochgepriesenen common sönss, trüben muß? Mau sehe nur einmal den „gebildeten" Einjährigen an, mit welcher erstaunlichen Ungeschicklichkeit er sich gerade den einfachen, nichts anders als einen geraden, gesunden Verstand heischenden Verhältnissen gegenüber benimmt! Ein ganz wesentliches Verdienst des Dienstjahres liegt eben darin, daß dieser Blick für das Einfache und Wirk¬ liche zurückgewonnen wird, daß er aus dem Verkehr mit erlernten Kenntnissen wieder in das wirkliche Leben zurücktritt, um es zu sehen, wie es ist, und in und mit den realen Kräften zum Nutzen des Ganzen mitzuarbeiten. Mehr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/174>, abgerufen am 28.07.2024.