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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Das Aapiwl von Karl Marx

ganz so, wie der Birnbaum Birnen trägt, was bekanntlich Luther schlechter¬
dings nicht glauben wollte (Stellen aus seinen Schriften über den Kaufhandel
und an die Pfarrherren wider den Wucher zitirt Marx mit Vorliebe). Ja es
hat sich in den Köpfen einiger Nationalökonomen die verrückte Vorstellung ge¬
bildet, daß alles heutige Einkommen nur noch Kapitalzins sei, es wird der
Unsinn gelehrt, daß ein zu Christi Zeit ausgeliehener Pfennig durch Zinses¬
zins zu einer Summe angeschwollen sein würde, die in Gold dargestellt eine
Kugel mit dem Radius der Bahn des Saturn bilden würde, und es hat, wie
Marx an dem Beispiel Pitts zeigt, Politiker gegeben, die diesen Unsinn ganz
ernsthaft geglaubt und politische Maßregeln damit begründet haben.

Der "Vulgärökonomie" gesteht nun Marx das Verdienst zu, diesen falschen
Schein wenigstens theoretisch zerstört zu haben, wenn auch ihre Vertreter prak¬
tisch immer noch darin befangen bleiben. Smith hat nicht allein die Arbeit
als die Wertschöpferin anerkannt, sondern auch das Einkommen (den Wert des
jährlichen Arbeitsprodukts) in Arbeitslohn, Unternehmergewinn, Grundrente
und Zins aufgelöst. Nur hat er, wie Marx rügt, den einen Umstand über¬
sehen, daß außer diesen vier Bestandteilen noch ein fünfter darin steckt: die
Abnutzung der Gebäude, Maschinen und sonstigen Arbeitsmittel, also ein Stück
wirklichen Kapitals, "geronnener" Arbeit der frühern Jahre; das wirkliche
Jahresprodnkt ist demnach kleiner als sein Wert, weil in diesem immer auch
Teile früherer Jahresprodukte enthalten sind. Schlimmer aber als dieser
Fehler Smiths ist die falsche Anwendung, die ganz allgemein von seiner Ent¬
deckung gemacht wird. Man stellt sich gewöhnlich vor, daß die Waren nicht
zu ihrem wirklichen Wert verkauft würden, sondern daß der Zins, der Kauf¬
mannsprofit und die Grundrente ebenso viel Aufschläge zu deu Herstellungs¬
kosten der Waren bildeten, die demnach zu einem ihren Wert übersteigenden
Preise verkauft würden, sodaß also der Arbeitslohn, Unternehmergewinn, Zins,
Grundrente die den Preis konstituireuden Elemente seien. Die Sache verhält
sich umgekehrt. Der Marktpreis wird auf dem Wege gebildet, deu wir schon
beschrieben haben (dnrch Nachfrage und Angebot, wobei das Angebot von der
Produktivität der Arbeit abhängt, indem, wenn diese, daher auch die Waren-
zufuhr, auf das doppelte steigt, der Preis auf die Hälfte sinkt), und in diesen
Preis haben sich die Parteien zu teilen. Diese Teilung ist eine ungemein ver¬
wickelte Operation, und zahllos sind die Wege, auf denen, z. B. von einem
verkauften Stück Kattun, einem jeden beteiligten bis zu deu Maschinenbauern,
Ingenieuren, indischen Kukis und indischen Grundherren sein Anteil zufließt,
ja teilweise schon vor der endgiltigen Realisirung des Wertes: dem Verkauf
des Kattuns, zugeflossen ist, und diese verschlungnen Wege zu verfolgen, wie
ein mit dem Mikroskop arbeitender Physiolog die Gehirnwindungen verfolgt,
ist eine der Hauptaufgaben, die sich Marx gesetzt hat -- aber schließlich kommt
jeder zu seiner Sache, manchmal freilich auch nicht. Darauf nun, daß sich die


Das Aapiwl von Karl Marx

ganz so, wie der Birnbaum Birnen trägt, was bekanntlich Luther schlechter¬
dings nicht glauben wollte (Stellen aus seinen Schriften über den Kaufhandel
und an die Pfarrherren wider den Wucher zitirt Marx mit Vorliebe). Ja es
hat sich in den Köpfen einiger Nationalökonomen die verrückte Vorstellung ge¬
bildet, daß alles heutige Einkommen nur noch Kapitalzins sei, es wird der
Unsinn gelehrt, daß ein zu Christi Zeit ausgeliehener Pfennig durch Zinses¬
zins zu einer Summe angeschwollen sein würde, die in Gold dargestellt eine
Kugel mit dem Radius der Bahn des Saturn bilden würde, und es hat, wie
Marx an dem Beispiel Pitts zeigt, Politiker gegeben, die diesen Unsinn ganz
ernsthaft geglaubt und politische Maßregeln damit begründet haben.

Der „Vulgärökonomie" gesteht nun Marx das Verdienst zu, diesen falschen
Schein wenigstens theoretisch zerstört zu haben, wenn auch ihre Vertreter prak¬
tisch immer noch darin befangen bleiben. Smith hat nicht allein die Arbeit
als die Wertschöpferin anerkannt, sondern auch das Einkommen (den Wert des
jährlichen Arbeitsprodukts) in Arbeitslohn, Unternehmergewinn, Grundrente
und Zins aufgelöst. Nur hat er, wie Marx rügt, den einen Umstand über¬
sehen, daß außer diesen vier Bestandteilen noch ein fünfter darin steckt: die
Abnutzung der Gebäude, Maschinen und sonstigen Arbeitsmittel, also ein Stück
wirklichen Kapitals, „geronnener" Arbeit der frühern Jahre; das wirkliche
Jahresprodnkt ist demnach kleiner als sein Wert, weil in diesem immer auch
Teile früherer Jahresprodukte enthalten sind. Schlimmer aber als dieser
Fehler Smiths ist die falsche Anwendung, die ganz allgemein von seiner Ent¬
deckung gemacht wird. Man stellt sich gewöhnlich vor, daß die Waren nicht
zu ihrem wirklichen Wert verkauft würden, sondern daß der Zins, der Kauf¬
mannsprofit und die Grundrente ebenso viel Aufschläge zu deu Herstellungs¬
kosten der Waren bildeten, die demnach zu einem ihren Wert übersteigenden
Preise verkauft würden, sodaß also der Arbeitslohn, Unternehmergewinn, Zins,
Grundrente die den Preis konstituireuden Elemente seien. Die Sache verhält
sich umgekehrt. Der Marktpreis wird auf dem Wege gebildet, deu wir schon
beschrieben haben (dnrch Nachfrage und Angebot, wobei das Angebot von der
Produktivität der Arbeit abhängt, indem, wenn diese, daher auch die Waren-
zufuhr, auf das doppelte steigt, der Preis auf die Hälfte sinkt), und in diesen
Preis haben sich die Parteien zu teilen. Diese Teilung ist eine ungemein ver¬
wickelte Operation, und zahllos sind die Wege, auf denen, z. B. von einem
verkauften Stück Kattun, einem jeden beteiligten bis zu deu Maschinenbauern,
Ingenieuren, indischen Kukis und indischen Grundherren sein Anteil zufließt,
ja teilweise schon vor der endgiltigen Realisirung des Wertes: dem Verkauf
des Kattuns, zugeflossen ist, und diese verschlungnen Wege zu verfolgen, wie
ein mit dem Mikroskop arbeitender Physiolog die Gehirnwindungen verfolgt,
ist eine der Hauptaufgaben, die sich Marx gesetzt hat — aber schließlich kommt
jeder zu seiner Sache, manchmal freilich auch nicht. Darauf nun, daß sich die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/136>, abgerufen am 01.09.2024.