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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Eiserne Brücken

war, haben sich die abgenommnen Teile, die durch neue ersetzt werden sollten,
"vollständig gut erhalten" gezeigt.

Man kann hiernach die Dauer nicht versteifter Brücken mindestens zu
achtzig Jahren annehmen, und diese Schätzung findet eine Bestätigung durch
einige Belastungsversuche, die in neuerer Zeit an ausrangirten nicht versteiften
Eisenbrücken angestellt worden sind; ja man ist sogar zu dem Schluß berechtigt,
daß die Dauer dieser Brücken noch weit größer als achtzig Jahre sein wird,
wenn nicht minderwertiges Material zu ihrem Bau verwendet worden ist, keine
Konstruktionsfehler begangen worden sind und die Brücken in der Reparatur
und im Schutz gegen Witterungseinflüsse einigermaßen sorgfältig unterhalten
werden. Hat doch die bei Coolbrookdale in England über die Severn in den
Jahren 1773 bis 1779 gebaute eiserne Brücke hundertfünfzehn Jahre und die
erwähnte Winchbrücke -- eine Hängebrücke -- sogar über hundertfünfzig Jahre
gehalten! Es wird daher wohl keinen Widerspruch finden, wenn wir behaupten,
daß nicht versteiften Eisenbrücken, unter den eben ausgesprochnen Voraus¬
setzungen, eine Durchschnittsdauer von etwa zweihundert Jahren zugesprochen
werden dürfe.

Vor wenigen Jahren sind an der etwa fünfzig Jahre alten, außer Betrieb
gesetzten, 48 Meter weit gestützten Eisenbahnbrücke bei Wolhusen in der Schweiz
Belastungsproben mit Kies und Eisenschienen vorgenommen worden, die ein
gegen alle Erwartungen und Berechnungen günstiges Ergebnis gehabt haben.
Die Brücke war von ihren Pfeilern auf eigens für den Belastungsversuch er¬
richtete Landpfeiler von ^ Meter Höhe geschoben, auch waren die zur Messung
der Durchbiegungen nötigen Nivellirinstrumente aufgestellt worden. Nachdem
die Fahrbahn mit einem Gewichte von 13440 Zentnern, dem dreifachen Gewichte
eines Zuges der schwersten Lokomotiven, belastet war, hatte sich eine Durch¬
biegung bis zu drei Centimetern, aber noch kein Riß bemerkbar gemacht. Erst
nach einer weitern Belastung, die auf mehr als 3000 Zentner geschätzt wurde,
brach die Brücke zusammen. Man hat berechnet, daß die Brücke noch eine
vierfache Sicherheit gegenüber der im Betriebe zulässigen Beanspruchung
gehabt hat.

Ein ganz ähnliches Ergebnis hat der Bruchversuch gehabt, der im Oktober
vorigen Jahres an einer Gitterbrücke der Halle-Sorna-Gubener Bahn bei Forst
in der Niederlausitz ausgeführt worden ist. Diese Brücke war (von Strouß-
berg) Anfang der siebziger Jahre mit sechs Jochen von je 30 Meter Stütz¬
weite über die Reiße gebaut worden und ist zwanzig Jahre im Betriebe ge¬
wesen. Jedenfalls hatte ihr die königlich preußische Eisenbahnverwaltnng nicht
mehr getraut; denn sie hatte im Jahre 1892 den alten Ölfarbenanstrich zur
genauern Besichtigung der Eisenteile gründlich beseitigen lassen, wobei vielfache
Risse zum Vorschein gekommen waren, die künstlich zusammeugehämmert, ver¬
kittet, mit Farbe überstrichen und auf diese Weise unsichtbar gemacht waren.


Eiserne Brücken

war, haben sich die abgenommnen Teile, die durch neue ersetzt werden sollten,
„vollständig gut erhalten" gezeigt.

Man kann hiernach die Dauer nicht versteifter Brücken mindestens zu
achtzig Jahren annehmen, und diese Schätzung findet eine Bestätigung durch
einige Belastungsversuche, die in neuerer Zeit an ausrangirten nicht versteiften
Eisenbrücken angestellt worden sind; ja man ist sogar zu dem Schluß berechtigt,
daß die Dauer dieser Brücken noch weit größer als achtzig Jahre sein wird,
wenn nicht minderwertiges Material zu ihrem Bau verwendet worden ist, keine
Konstruktionsfehler begangen worden sind und die Brücken in der Reparatur
und im Schutz gegen Witterungseinflüsse einigermaßen sorgfältig unterhalten
werden. Hat doch die bei Coolbrookdale in England über die Severn in den
Jahren 1773 bis 1779 gebaute eiserne Brücke hundertfünfzehn Jahre und die
erwähnte Winchbrücke — eine Hängebrücke — sogar über hundertfünfzig Jahre
gehalten! Es wird daher wohl keinen Widerspruch finden, wenn wir behaupten,
daß nicht versteiften Eisenbrücken, unter den eben ausgesprochnen Voraus¬
setzungen, eine Durchschnittsdauer von etwa zweihundert Jahren zugesprochen
werden dürfe.

Vor wenigen Jahren sind an der etwa fünfzig Jahre alten, außer Betrieb
gesetzten, 48 Meter weit gestützten Eisenbahnbrücke bei Wolhusen in der Schweiz
Belastungsproben mit Kies und Eisenschienen vorgenommen worden, die ein
gegen alle Erwartungen und Berechnungen günstiges Ergebnis gehabt haben.
Die Brücke war von ihren Pfeilern auf eigens für den Belastungsversuch er¬
richtete Landpfeiler von ^ Meter Höhe geschoben, auch waren die zur Messung
der Durchbiegungen nötigen Nivellirinstrumente aufgestellt worden. Nachdem
die Fahrbahn mit einem Gewichte von 13440 Zentnern, dem dreifachen Gewichte
eines Zuges der schwersten Lokomotiven, belastet war, hatte sich eine Durch¬
biegung bis zu drei Centimetern, aber noch kein Riß bemerkbar gemacht. Erst
nach einer weitern Belastung, die auf mehr als 3000 Zentner geschätzt wurde,
brach die Brücke zusammen. Man hat berechnet, daß die Brücke noch eine
vierfache Sicherheit gegenüber der im Betriebe zulässigen Beanspruchung
gehabt hat.

Ein ganz ähnliches Ergebnis hat der Bruchversuch gehabt, der im Oktober
vorigen Jahres an einer Gitterbrücke der Halle-Sorna-Gubener Bahn bei Forst
in der Niederlausitz ausgeführt worden ist. Diese Brücke war (von Strouß-
berg) Anfang der siebziger Jahre mit sechs Jochen von je 30 Meter Stütz¬
weite über die Reiße gebaut worden und ist zwanzig Jahre im Betriebe ge¬
wesen. Jedenfalls hatte ihr die königlich preußische Eisenbahnverwaltnng nicht
mehr getraut; denn sie hatte im Jahre 1892 den alten Ölfarbenanstrich zur
genauern Besichtigung der Eisenteile gründlich beseitigen lassen, wobei vielfache
Risse zum Vorschein gekommen waren, die künstlich zusammeugehämmert, ver¬
kittet, mit Farbe überstrichen und auf diese Weise unsichtbar gemacht waren.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/128>, abgerufen am 28.07.2024.