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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Eiserne Brücken

ellipsenförmige Bogen mit einer Spannweite von 170 Meter auf festen Felsen
gestellt, und die Fahrbahn erhält ihre Lage oberhalb der Bogenscheitel als
Tangente in der bedeutenden Höhe von 107 Metern, während sie zu beiden
Seiten durch Streben auf die Bogen gestützt wird, sodciß eine Beanspruchung
auf Zug in allen tragenden Teilen vermieden wird. Bemerkenswert bei
dieser Konstruktion ist, daß die Bogen an den Fußenden erweitert sind und,
anders als an den Bogen der Grünenthaler Brücke, nach dem Scheitel zu ver¬
jüngt zulaufen. Nach demselben Verfahren ist auch der Fuß des Eiffelturms
aufgeführt, und zwar nicht zum Nachteil seiner Festigkeit. Dasselbe gilt von
den Stahltürmen der Hudsonbrücke. Diese Konstruktion soll den gebognen
Stelzwurzeln der Mangrovenbäume nachgebildet sein. Die Landjoche der Brücke
bei Müngsten sind freilich wieder als gerade Gitterträger geplant.

Von ältern versteiften Bogenbrücken mit großen Spannweiten führe ich
der Vollständigkeit wegen noch an: die Brücken Luiz I. und Maria Pin über
den Douro bei Porto (172 Meter und 160 Meter), die Brücke über das Ga-
rabitthal bei Se. Flour (165 Meter), das Stromjoch der Mississippibrücke bei
Se. Louis (158 Meter) und deren Seitenjoche (je 152 Meter), die Washington¬
brücke über den Harlemfluß in Newyork (155 Meter) und die Brücke über das
Addathal bei Pederno (150 Meter). Die vier großen Weichselbrückcn bei Thorn,
Graudenz, Dirschau und Fordon gehören, soweit mir bekannt ist, nicht zu den
versteiften Bogenbrücken.

Nachdem ich das Wissenswerteste zur Kenntnis der eisernen Brücken voraus¬
geschickt habe, komme ich nun zur Erörterung der Dauer dieser Brücken. Er¬
fahrungen hierüber liegen noch nicht vor, die wenigen Erfahrungen aber, die
an eingestürzten Brücken gesammelt und veröffentlicht worden sind, haben wegen
der verschiednen Ansichten der Sachverständigen keinen besondern Wert. Wir
sind daher auf einige Versuche angewiesen, die mit ältern, nicht versteiften
Brücken zur Ermittlung ihrer Widerstandsfähigkeit angestellt worden sind, die
aber auch nur einen Schluß auf die mutmaßliche Dauer der eisernen Brücken
zulassen.

Arrol, der Erbauer der Fvrthbrücke in Schottland, hatte zu deren Auf¬
stellung eine alte Eisenbrücke, die sogenannte Hammersmithbrücke von London
als Gerüst benutzt, die schon zweiundsechzig Jahre im Betriebe gewesen und
keineswegs mit besondrer Sorgfalt behandelt, auch nur zweimal mit Bleiweiß-
ölanstrich versehen, an den unzugänglichsten Stellen aber nur einmal ange¬
strichen worden war. Beim Auseinandernehmen dieser Brücke wurde, wie es
in dem Bericht wörtlich heißt, "alles so gut wie neu" befunden. Wir dürfen
annehmen, daß sich Arrol bei der Untersuchung der einzelnen Teile nicht auf
oberflächliche Besichtigung beschränkt, sondern eingehende Prüfungen, insbesondre
an dem Gefüge des Eisens vorgenommen hat. Auch bei der Bvnarbrücke, die
Arrol 1893 umgebaut hat, und die sogar achtzig Jahre im Gebrauch gewesen


Eiserne Brücken

ellipsenförmige Bogen mit einer Spannweite von 170 Meter auf festen Felsen
gestellt, und die Fahrbahn erhält ihre Lage oberhalb der Bogenscheitel als
Tangente in der bedeutenden Höhe von 107 Metern, während sie zu beiden
Seiten durch Streben auf die Bogen gestützt wird, sodciß eine Beanspruchung
auf Zug in allen tragenden Teilen vermieden wird. Bemerkenswert bei
dieser Konstruktion ist, daß die Bogen an den Fußenden erweitert sind und,
anders als an den Bogen der Grünenthaler Brücke, nach dem Scheitel zu ver¬
jüngt zulaufen. Nach demselben Verfahren ist auch der Fuß des Eiffelturms
aufgeführt, und zwar nicht zum Nachteil seiner Festigkeit. Dasselbe gilt von
den Stahltürmen der Hudsonbrücke. Diese Konstruktion soll den gebognen
Stelzwurzeln der Mangrovenbäume nachgebildet sein. Die Landjoche der Brücke
bei Müngsten sind freilich wieder als gerade Gitterträger geplant.

Von ältern versteiften Bogenbrücken mit großen Spannweiten führe ich
der Vollständigkeit wegen noch an: die Brücken Luiz I. und Maria Pin über
den Douro bei Porto (172 Meter und 160 Meter), die Brücke über das Ga-
rabitthal bei Se. Flour (165 Meter), das Stromjoch der Mississippibrücke bei
Se. Louis (158 Meter) und deren Seitenjoche (je 152 Meter), die Washington¬
brücke über den Harlemfluß in Newyork (155 Meter) und die Brücke über das
Addathal bei Pederno (150 Meter). Die vier großen Weichselbrückcn bei Thorn,
Graudenz, Dirschau und Fordon gehören, soweit mir bekannt ist, nicht zu den
versteiften Bogenbrücken.

Nachdem ich das Wissenswerteste zur Kenntnis der eisernen Brücken voraus¬
geschickt habe, komme ich nun zur Erörterung der Dauer dieser Brücken. Er¬
fahrungen hierüber liegen noch nicht vor, die wenigen Erfahrungen aber, die
an eingestürzten Brücken gesammelt und veröffentlicht worden sind, haben wegen
der verschiednen Ansichten der Sachverständigen keinen besondern Wert. Wir
sind daher auf einige Versuche angewiesen, die mit ältern, nicht versteiften
Brücken zur Ermittlung ihrer Widerstandsfähigkeit angestellt worden sind, die
aber auch nur einen Schluß auf die mutmaßliche Dauer der eisernen Brücken
zulassen.

Arrol, der Erbauer der Fvrthbrücke in Schottland, hatte zu deren Auf¬
stellung eine alte Eisenbrücke, die sogenannte Hammersmithbrücke von London
als Gerüst benutzt, die schon zweiundsechzig Jahre im Betriebe gewesen und
keineswegs mit besondrer Sorgfalt behandelt, auch nur zweimal mit Bleiweiß-
ölanstrich versehen, an den unzugänglichsten Stellen aber nur einmal ange¬
strichen worden war. Beim Auseinandernehmen dieser Brücke wurde, wie es
in dem Bericht wörtlich heißt, „alles so gut wie neu" befunden. Wir dürfen
annehmen, daß sich Arrol bei der Untersuchung der einzelnen Teile nicht auf
oberflächliche Besichtigung beschränkt, sondern eingehende Prüfungen, insbesondre
an dem Gefüge des Eisens vorgenommen hat. Auch bei der Bvnarbrücke, die
Arrol 1893 umgebaut hat, und die sogar achtzig Jahre im Gebrauch gewesen


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[0127] Eiserne Brücken ellipsenförmige Bogen mit einer Spannweite von 170 Meter auf festen Felsen gestellt, und die Fahrbahn erhält ihre Lage oberhalb der Bogenscheitel als Tangente in der bedeutenden Höhe von 107 Metern, während sie zu beiden Seiten durch Streben auf die Bogen gestützt wird, sodciß eine Beanspruchung auf Zug in allen tragenden Teilen vermieden wird. Bemerkenswert bei dieser Konstruktion ist, daß die Bogen an den Fußenden erweitert sind und, anders als an den Bogen der Grünenthaler Brücke, nach dem Scheitel zu ver¬ jüngt zulaufen. Nach demselben Verfahren ist auch der Fuß des Eiffelturms aufgeführt, und zwar nicht zum Nachteil seiner Festigkeit. Dasselbe gilt von den Stahltürmen der Hudsonbrücke. Diese Konstruktion soll den gebognen Stelzwurzeln der Mangrovenbäume nachgebildet sein. Die Landjoche der Brücke bei Müngsten sind freilich wieder als gerade Gitterträger geplant. Von ältern versteiften Bogenbrücken mit großen Spannweiten führe ich der Vollständigkeit wegen noch an: die Brücken Luiz I. und Maria Pin über den Douro bei Porto (172 Meter und 160 Meter), die Brücke über das Ga- rabitthal bei Se. Flour (165 Meter), das Stromjoch der Mississippibrücke bei Se. Louis (158 Meter) und deren Seitenjoche (je 152 Meter), die Washington¬ brücke über den Harlemfluß in Newyork (155 Meter) und die Brücke über das Addathal bei Pederno (150 Meter). Die vier großen Weichselbrückcn bei Thorn, Graudenz, Dirschau und Fordon gehören, soweit mir bekannt ist, nicht zu den versteiften Bogenbrücken. Nachdem ich das Wissenswerteste zur Kenntnis der eisernen Brücken voraus¬ geschickt habe, komme ich nun zur Erörterung der Dauer dieser Brücken. Er¬ fahrungen hierüber liegen noch nicht vor, die wenigen Erfahrungen aber, die an eingestürzten Brücken gesammelt und veröffentlicht worden sind, haben wegen der verschiednen Ansichten der Sachverständigen keinen besondern Wert. Wir sind daher auf einige Versuche angewiesen, die mit ältern, nicht versteiften Brücken zur Ermittlung ihrer Widerstandsfähigkeit angestellt worden sind, die aber auch nur einen Schluß auf die mutmaßliche Dauer der eisernen Brücken zulassen. Arrol, der Erbauer der Fvrthbrücke in Schottland, hatte zu deren Auf¬ stellung eine alte Eisenbrücke, die sogenannte Hammersmithbrücke von London als Gerüst benutzt, die schon zweiundsechzig Jahre im Betriebe gewesen und keineswegs mit besondrer Sorgfalt behandelt, auch nur zweimal mit Bleiweiß- ölanstrich versehen, an den unzugänglichsten Stellen aber nur einmal ange¬ strichen worden war. Beim Auseinandernehmen dieser Brücke wurde, wie es in dem Bericht wörtlich heißt, „alles so gut wie neu" befunden. Wir dürfen annehmen, daß sich Arrol bei der Untersuchung der einzelnen Teile nicht auf oberflächliche Besichtigung beschränkt, sondern eingehende Prüfungen, insbesondre an dem Gefüge des Eisens vorgenommen hat. Auch bei der Bvnarbrücke, die Arrol 1893 umgebaut hat, und die sogar achtzig Jahre im Gebrauch gewesen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/127>, abgerufen am 28.07.2024.