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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Eiserne Brücken

ecriai für Brückenbauten von großen Spannweiten handelt, nur schwedisches
Holzkvhleneisen oder Eisen aus rein oxydirten spanischen Erzen, indem sie von
der richtigen Ansicht ausgehen, daß das stahlartige Eisen doch stets dem Roh¬
stoff entsprechend ausfallen müsse.

Jedes stahlartige Eisen ist von Natur körnig oder krystallinisch, d. h.
brüchig, und muß, damit es eine dem Holz ähnliche, faserige Struktur an¬
nimmt, wodurch es zäh wird, raffinirt, d. h. zu Stäben ausgereckt, wieder in
Stücken zerschlagen und zu Bündeln vereinigt, mehrfach zusammengeschweißt
und von neuem in Walzwerken oder unter Hämmern ausgereckt werden. Da¬
durch erhalten die Krystalle eine Ausdehnung und das stahlartige Eisen die
gewünschte sehnige Struktur.

Aber die beste Raffinirung schützt das stahlartige Eisen nicht vor Oxy¬
dation (Verrostung) an der Luft, wodurch es selbstverständlich an Festigkeit
und Tragfähigkeit verliert. Zwei Eisenbahnbrücken im Hsraultdepartement in
Südfrankreich, von denen die eine 1851, die andre erst 1865 erbaut war,
hatten trotz ihrer Steinkohlenteeranstriche schon nach zweiundvierzig und acht¬
undzwanzig Jahren durch Rost so gelitten, daß sie durch neue Brücken ersetzt
werden mußten. Man hat jedoch gefunden, daß geeigneter Bleiweißölfarben-
anstrich, der besonders in den ersten Jahren öfter erneuert werden muß, ge¬
nügend vor Verrostung schützt.

Eine weitere üble Eigenschaft des Eisens ist seine Ausdehnung und Zu¬
sammenziehung bei Temperaturwechseln, wodurch seine Moleküle verschoben
werden und bei hohen Kältegraden ganz ihren Zusammenhang verlieren können.
Dagegen giebt es kein Mittel. Die Wirkung dieser Art von Molekülbewegung
ist aber so unbedeutend, und Brüche von Eiscnkonstruktionen infolge von Kälte
sind bisher so selten vorgekommen, daß eine mit der Molekülbewegung ver-
bundne Gefahr als kaum vorhanden angesehen zu werden braucht. Man lagert
gerade Konstruktionen auf Stahlwalzen, auf denen sich das Eisen unbehindert
bewegen kann, wahrend man bogenförmigen Konstruktionen mit festen Wider¬
lagern in den Krümmungen selbst Gelegenheit zur Ausdehnung und Zusammen¬
ziehung giebt.

Eine weit größere Gefahr liegt in der Durchbiegung (Biegung nach unten)
der Eisenkonftruktionen infolge der abwechselnden Belastung durch die Eisenbahn¬
züge, ganz besonders aber in den Erschütterungen, denen das Eisen dabei aus¬
gesetzt ist. Man hat längst beobachtet, daß Durchbiegungen und Erschütterungen
das stahlartige Eisen in seiner Molekulartextur allmählich in einer Weise ver¬
ändern, daß das sehnige Gefüge wieder krystallinisch, d. h. das Eisen wieder brü¬
chig wird. Doch ist festgestellt worden, daß die Durchbiegung richtig konstruirter
und solid ausgeführter Eisenbrücken selbst bei Spannweiten von hundert Metern
und darüber nur wenige Centimeter beträgt. Auch hat man gefunden, daß
eine bleibende Durchbiegung als ein Zeichen guter Ausführung anzusehen ist,


Grenzboten III 1895 15
Eiserne Brücken

ecriai für Brückenbauten von großen Spannweiten handelt, nur schwedisches
Holzkvhleneisen oder Eisen aus rein oxydirten spanischen Erzen, indem sie von
der richtigen Ansicht ausgehen, daß das stahlartige Eisen doch stets dem Roh¬
stoff entsprechend ausfallen müsse.

Jedes stahlartige Eisen ist von Natur körnig oder krystallinisch, d. h.
brüchig, und muß, damit es eine dem Holz ähnliche, faserige Struktur an¬
nimmt, wodurch es zäh wird, raffinirt, d. h. zu Stäben ausgereckt, wieder in
Stücken zerschlagen und zu Bündeln vereinigt, mehrfach zusammengeschweißt
und von neuem in Walzwerken oder unter Hämmern ausgereckt werden. Da¬
durch erhalten die Krystalle eine Ausdehnung und das stahlartige Eisen die
gewünschte sehnige Struktur.

Aber die beste Raffinirung schützt das stahlartige Eisen nicht vor Oxy¬
dation (Verrostung) an der Luft, wodurch es selbstverständlich an Festigkeit
und Tragfähigkeit verliert. Zwei Eisenbahnbrücken im Hsraultdepartement in
Südfrankreich, von denen die eine 1851, die andre erst 1865 erbaut war,
hatten trotz ihrer Steinkohlenteeranstriche schon nach zweiundvierzig und acht¬
undzwanzig Jahren durch Rost so gelitten, daß sie durch neue Brücken ersetzt
werden mußten. Man hat jedoch gefunden, daß geeigneter Bleiweißölfarben-
anstrich, der besonders in den ersten Jahren öfter erneuert werden muß, ge¬
nügend vor Verrostung schützt.

Eine weitere üble Eigenschaft des Eisens ist seine Ausdehnung und Zu¬
sammenziehung bei Temperaturwechseln, wodurch seine Moleküle verschoben
werden und bei hohen Kältegraden ganz ihren Zusammenhang verlieren können.
Dagegen giebt es kein Mittel. Die Wirkung dieser Art von Molekülbewegung
ist aber so unbedeutend, und Brüche von Eiscnkonstruktionen infolge von Kälte
sind bisher so selten vorgekommen, daß eine mit der Molekülbewegung ver-
bundne Gefahr als kaum vorhanden angesehen zu werden braucht. Man lagert
gerade Konstruktionen auf Stahlwalzen, auf denen sich das Eisen unbehindert
bewegen kann, wahrend man bogenförmigen Konstruktionen mit festen Wider¬
lagern in den Krümmungen selbst Gelegenheit zur Ausdehnung und Zusammen¬
ziehung giebt.

Eine weit größere Gefahr liegt in der Durchbiegung (Biegung nach unten)
der Eisenkonftruktionen infolge der abwechselnden Belastung durch die Eisenbahn¬
züge, ganz besonders aber in den Erschütterungen, denen das Eisen dabei aus¬
gesetzt ist. Man hat längst beobachtet, daß Durchbiegungen und Erschütterungen
das stahlartige Eisen in seiner Molekulartextur allmählich in einer Weise ver¬
ändern, daß das sehnige Gefüge wieder krystallinisch, d. h. das Eisen wieder brü¬
chig wird. Doch ist festgestellt worden, daß die Durchbiegung richtig konstruirter
und solid ausgeführter Eisenbrücken selbst bei Spannweiten von hundert Metern
und darüber nur wenige Centimeter beträgt. Auch hat man gefunden, daß
eine bleibende Durchbiegung als ein Zeichen guter Ausführung anzusehen ist,


Grenzboten III 1895 15
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[0121] Eiserne Brücken ecriai für Brückenbauten von großen Spannweiten handelt, nur schwedisches Holzkvhleneisen oder Eisen aus rein oxydirten spanischen Erzen, indem sie von der richtigen Ansicht ausgehen, daß das stahlartige Eisen doch stets dem Roh¬ stoff entsprechend ausfallen müsse. Jedes stahlartige Eisen ist von Natur körnig oder krystallinisch, d. h. brüchig, und muß, damit es eine dem Holz ähnliche, faserige Struktur an¬ nimmt, wodurch es zäh wird, raffinirt, d. h. zu Stäben ausgereckt, wieder in Stücken zerschlagen und zu Bündeln vereinigt, mehrfach zusammengeschweißt und von neuem in Walzwerken oder unter Hämmern ausgereckt werden. Da¬ durch erhalten die Krystalle eine Ausdehnung und das stahlartige Eisen die gewünschte sehnige Struktur. Aber die beste Raffinirung schützt das stahlartige Eisen nicht vor Oxy¬ dation (Verrostung) an der Luft, wodurch es selbstverständlich an Festigkeit und Tragfähigkeit verliert. Zwei Eisenbahnbrücken im Hsraultdepartement in Südfrankreich, von denen die eine 1851, die andre erst 1865 erbaut war, hatten trotz ihrer Steinkohlenteeranstriche schon nach zweiundvierzig und acht¬ undzwanzig Jahren durch Rost so gelitten, daß sie durch neue Brücken ersetzt werden mußten. Man hat jedoch gefunden, daß geeigneter Bleiweißölfarben- anstrich, der besonders in den ersten Jahren öfter erneuert werden muß, ge¬ nügend vor Verrostung schützt. Eine weitere üble Eigenschaft des Eisens ist seine Ausdehnung und Zu¬ sammenziehung bei Temperaturwechseln, wodurch seine Moleküle verschoben werden und bei hohen Kältegraden ganz ihren Zusammenhang verlieren können. Dagegen giebt es kein Mittel. Die Wirkung dieser Art von Molekülbewegung ist aber so unbedeutend, und Brüche von Eiscnkonstruktionen infolge von Kälte sind bisher so selten vorgekommen, daß eine mit der Molekülbewegung ver- bundne Gefahr als kaum vorhanden angesehen zu werden braucht. Man lagert gerade Konstruktionen auf Stahlwalzen, auf denen sich das Eisen unbehindert bewegen kann, wahrend man bogenförmigen Konstruktionen mit festen Wider¬ lagern in den Krümmungen selbst Gelegenheit zur Ausdehnung und Zusammen¬ ziehung giebt. Eine weit größere Gefahr liegt in der Durchbiegung (Biegung nach unten) der Eisenkonftruktionen infolge der abwechselnden Belastung durch die Eisenbahn¬ züge, ganz besonders aber in den Erschütterungen, denen das Eisen dabei aus¬ gesetzt ist. Man hat längst beobachtet, daß Durchbiegungen und Erschütterungen das stahlartige Eisen in seiner Molekulartextur allmählich in einer Weise ver¬ ändern, daß das sehnige Gefüge wieder krystallinisch, d. h. das Eisen wieder brü¬ chig wird. Doch ist festgestellt worden, daß die Durchbiegung richtig konstruirter und solid ausgeführter Eisenbrücken selbst bei Spannweiten von hundert Metern und darüber nur wenige Centimeter beträgt. Auch hat man gefunden, daß eine bleibende Durchbiegung als ein Zeichen guter Ausführung anzusehen ist, Grenzboten III 1895 15

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/121>, abgerufen am 28.07.2024.