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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Der erste Beste

Kammer neben der Küche stehen gehabt. Das war keiner anders gewöhnt.
Ansen Lande macht man wenig Umstände.

Und um meinetwillen all die Änderungen und Umbauten! seufzte Mar¬
garete. Was haben Sie wohl gedacht, Ollsching, von der Frau, für die das
alles gemacht wurde?

Ich hab gedacht, er muß ihr schauderhaft lieb haben.

Margarete drückte die Lippen zusammen und wandte sich ab. Gehabe
haben, dachte sie, so müßte es heißen. Schauderhaft lieb! Wo ist das hin?
Das schwimmt in der Ostsee.

Und gegönnt hab ichs ihm, fuhr Mamselling fort, furchtbar gegönnt.

Was?

Daß sie ihm eben so lieb haben möchte, die junge Frau.

Margarete lehnte den Kopf ein den Baumstamm und schloß die Augen;
es stieg ihr etwas heiß die Kehle herauf. Aber sie faßte sich gleich wieder,
sie richtete sich zurecht, sah die Alte freundlich an und nickte. Haben möchte?
fragte sie dann weich. Hat, Ollsching! Dann stand sie auf, blieb aber noch
stehen.

Wissen Sie was? Morgen früh, ehe es heiß wird, gehen wir hinüber
auf den Friedhof, und Sie zeigen mir Elias Grab. Dann pflück ich ein paar
Blumen davon und schicke sie Christinen.

Das machen Sie recht. Sie wird zwar sehr weinen, aber freuen wird
sie sich doch. Das Grab, das war ja auch die Hauptsache, weshalb sie hier
nich weg wollte. Aber der Herr sagte, sie müßte in andre Umgebung; die
Einsamkeit hier wäre Gift für ihre Natur. Drum machte er alles fertig in
Kiel, wo ihm ja die Helene bei zur Hand gehen konnte. Sie richteten ihr die
Wohnung ein und das ganze kleine Pensionat, und wie er drei Schülerinnen
sicher hatte, da nahm er ihr am Arm, und sie mußte einfach mit. Es half
ihr nichts, er setzte es durch. Daß die Helene dort verheiratet is und immer
mal um ihr rum sein konnte, das half ja sehr, und die mit ihre Heiterkeit
war auch ne ganz gute Medizin. Und dazu kam das Muß. Sie mußte auf
ihre Wirtschaft kneten und auf die anvertrauten Kinder, und wie denn die
Klare so auflebte, das ging ihr auch zu Herzen, und so kamen wir übers
Schlimmste weg, und nu geht es ja, denk ich.

Margarete nickte seufzend. Geht es ja, wiederholte sie wehmütig. Das
arme Ding! Wie manches in der Welt muß so "gehen." O Himmel, wie leid
thut sie mir. Nun begreif ichs erst, daß sie nicht zu unsrer Hochzeit kommen
wollte, und daß Helene natürlich bei ihr blieb. Aber da kommt Fritz! unter¬
brach sie sich, plötzlich glühcndrot.

Er kam von Hintenher durch den Garten, den Hut in der Hand, den er
grüßend schwenkte.

Schon? rief sie ihm lächelnd entgegen. Es kann kaum sechs sein.

Ihre Magenuhr geht woll vor? fragte Mamselling, als er jetzt zu
ihnen trat.

Er schüttelte den Kopf.

Nahrungssorgen waren es nicht, die mich hertrieben. Aber -- mit einem
liebevollen Blick auf Margarete -- ich machte mir Gedanken, wie es dir gehen
möchte, Kinding. - Er nahm ihren Kopf zwischen beide Hände. -- Laß dich
betrachte", du sahst mir heute Mittag so blaßschnäbelig aus. Ist dir gut?
Farbe hast du ja wieder.


Der erste Beste

Kammer neben der Küche stehen gehabt. Das war keiner anders gewöhnt.
Ansen Lande macht man wenig Umstände.

Und um meinetwillen all die Änderungen und Umbauten! seufzte Mar¬
garete. Was haben Sie wohl gedacht, Ollsching, von der Frau, für die das
alles gemacht wurde?

Ich hab gedacht, er muß ihr schauderhaft lieb haben.

Margarete drückte die Lippen zusammen und wandte sich ab. Gehabe
haben, dachte sie, so müßte es heißen. Schauderhaft lieb! Wo ist das hin?
Das schwimmt in der Ostsee.

Und gegönnt hab ichs ihm, fuhr Mamselling fort, furchtbar gegönnt.

Was?

Daß sie ihm eben so lieb haben möchte, die junge Frau.

Margarete lehnte den Kopf ein den Baumstamm und schloß die Augen;
es stieg ihr etwas heiß die Kehle herauf. Aber sie faßte sich gleich wieder,
sie richtete sich zurecht, sah die Alte freundlich an und nickte. Haben möchte?
fragte sie dann weich. Hat, Ollsching! Dann stand sie auf, blieb aber noch
stehen.

Wissen Sie was? Morgen früh, ehe es heiß wird, gehen wir hinüber
auf den Friedhof, und Sie zeigen mir Elias Grab. Dann pflück ich ein paar
Blumen davon und schicke sie Christinen.

Das machen Sie recht. Sie wird zwar sehr weinen, aber freuen wird
sie sich doch. Das Grab, das war ja auch die Hauptsache, weshalb sie hier
nich weg wollte. Aber der Herr sagte, sie müßte in andre Umgebung; die
Einsamkeit hier wäre Gift für ihre Natur. Drum machte er alles fertig in
Kiel, wo ihm ja die Helene bei zur Hand gehen konnte. Sie richteten ihr die
Wohnung ein und das ganze kleine Pensionat, und wie er drei Schülerinnen
sicher hatte, da nahm er ihr am Arm, und sie mußte einfach mit. Es half
ihr nichts, er setzte es durch. Daß die Helene dort verheiratet is und immer
mal um ihr rum sein konnte, das half ja sehr, und die mit ihre Heiterkeit
war auch ne ganz gute Medizin. Und dazu kam das Muß. Sie mußte auf
ihre Wirtschaft kneten und auf die anvertrauten Kinder, und wie denn die
Klare so auflebte, das ging ihr auch zu Herzen, und so kamen wir übers
Schlimmste weg, und nu geht es ja, denk ich.

Margarete nickte seufzend. Geht es ja, wiederholte sie wehmütig. Das
arme Ding! Wie manches in der Welt muß so „gehen." O Himmel, wie leid
thut sie mir. Nun begreif ichs erst, daß sie nicht zu unsrer Hochzeit kommen
wollte, und daß Helene natürlich bei ihr blieb. Aber da kommt Fritz! unter¬
brach sie sich, plötzlich glühcndrot.

Er kam von Hintenher durch den Garten, den Hut in der Hand, den er
grüßend schwenkte.

Schon? rief sie ihm lächelnd entgegen. Es kann kaum sechs sein.

Ihre Magenuhr geht woll vor? fragte Mamselling, als er jetzt zu
ihnen trat.

Er schüttelte den Kopf.

Nahrungssorgen waren es nicht, die mich hertrieben. Aber — mit einem
liebevollen Blick auf Margarete — ich machte mir Gedanken, wie es dir gehen
möchte, Kinding. - Er nahm ihren Kopf zwischen beide Hände. — Laß dich
betrachte», du sahst mir heute Mittag so blaßschnäbelig aus. Ist dir gut?
Farbe hast du ja wieder.


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[0104] Der erste Beste Kammer neben der Küche stehen gehabt. Das war keiner anders gewöhnt. Ansen Lande macht man wenig Umstände. Und um meinetwillen all die Änderungen und Umbauten! seufzte Mar¬ garete. Was haben Sie wohl gedacht, Ollsching, von der Frau, für die das alles gemacht wurde? Ich hab gedacht, er muß ihr schauderhaft lieb haben. Margarete drückte die Lippen zusammen und wandte sich ab. Gehabe haben, dachte sie, so müßte es heißen. Schauderhaft lieb! Wo ist das hin? Das schwimmt in der Ostsee. Und gegönnt hab ichs ihm, fuhr Mamselling fort, furchtbar gegönnt. Was? Daß sie ihm eben so lieb haben möchte, die junge Frau. Margarete lehnte den Kopf ein den Baumstamm und schloß die Augen; es stieg ihr etwas heiß die Kehle herauf. Aber sie faßte sich gleich wieder, sie richtete sich zurecht, sah die Alte freundlich an und nickte. Haben möchte? fragte sie dann weich. Hat, Ollsching! Dann stand sie auf, blieb aber noch stehen. Wissen Sie was? Morgen früh, ehe es heiß wird, gehen wir hinüber auf den Friedhof, und Sie zeigen mir Elias Grab. Dann pflück ich ein paar Blumen davon und schicke sie Christinen. Das machen Sie recht. Sie wird zwar sehr weinen, aber freuen wird sie sich doch. Das Grab, das war ja auch die Hauptsache, weshalb sie hier nich weg wollte. Aber der Herr sagte, sie müßte in andre Umgebung; die Einsamkeit hier wäre Gift für ihre Natur. Drum machte er alles fertig in Kiel, wo ihm ja die Helene bei zur Hand gehen konnte. Sie richteten ihr die Wohnung ein und das ganze kleine Pensionat, und wie er drei Schülerinnen sicher hatte, da nahm er ihr am Arm, und sie mußte einfach mit. Es half ihr nichts, er setzte es durch. Daß die Helene dort verheiratet is und immer mal um ihr rum sein konnte, das half ja sehr, und die mit ihre Heiterkeit war auch ne ganz gute Medizin. Und dazu kam das Muß. Sie mußte auf ihre Wirtschaft kneten und auf die anvertrauten Kinder, und wie denn die Klare so auflebte, das ging ihr auch zu Herzen, und so kamen wir übers Schlimmste weg, und nu geht es ja, denk ich. Margarete nickte seufzend. Geht es ja, wiederholte sie wehmütig. Das arme Ding! Wie manches in der Welt muß so „gehen." O Himmel, wie leid thut sie mir. Nun begreif ichs erst, daß sie nicht zu unsrer Hochzeit kommen wollte, und daß Helene natürlich bei ihr blieb. Aber da kommt Fritz! unter¬ brach sie sich, plötzlich glühcndrot. Er kam von Hintenher durch den Garten, den Hut in der Hand, den er grüßend schwenkte. Schon? rief sie ihm lächelnd entgegen. Es kann kaum sechs sein. Ihre Magenuhr geht woll vor? fragte Mamselling, als er jetzt zu ihnen trat. Er schüttelte den Kopf. Nahrungssorgen waren es nicht, die mich hertrieben. Aber — mit einem liebevollen Blick auf Margarete — ich machte mir Gedanken, wie es dir gehen möchte, Kinding. - Er nahm ihren Kopf zwischen beide Hände. — Laß dich betrachte», du sahst mir heute Mittag so blaßschnäbelig aus. Ist dir gut? Farbe hast du ja wieder.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/104>, abgerufen am 28.07.2024.