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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Knalienerziehung und Anabennnterricht ini alten Hellas

Schüler er habe, antwortete: "Zwölf mit Hilfe der Götter"; ein ähnlicher Scherz
wird von Diogenes berichtet. Wahrscheinlich überwogen die Schulen mit kleiner
Schülerzahl, wie auch im heutigen England mehr als die Hälfte aller Schul¬
kinder der bessern Stände in Privatschulen von durchschnittlich zwanzig Schülern
oder Schülerinnen unterrichtet wird. Plato erwähnt zwei ätherische Di-
daslaleia; das eine war das eines gewissen Pheidostratos, wo der Sophist
Hippias einen Vortrag für Erwachsene halten will; wir müssen uns also
das Schulzimmer ziemlich geräumig vorstellen, denn Hippias war an viele
Zuhörer und reiche Einnahmen gewöhnt. In dem andern, dem des Gram-
matisten Dionysos, eines frühern Lehrers des Plato, treffen wir bereits ältere
Knaben, von denen zwei in einem eifrigen mathematischen oder philosophischen
Gespräch begriffen sind und dabei mit Händen und Armen allerhand erläuternde
Bewegungen machen.

Alles nun, was im Didaskaleion gelehrt wurde, nannte der Grieche
musische Kunst. Darunter war allerdings auch der musikalische Unterricht,
namentlich der ans der Kithara und im Gesänge, begriffen, aber ebenso gen
die d. h. der Elementarunterricht im Lesen, Schreiben, Rechnen und
in der Grammatik. Endlich aber gehörte dazu auch aller wissenschaftliche
Unterricht auf grammatischem, litterarischem, rhetorischen, mathematischem
und philosophischem Gebiete, also die ganze spätere enkhklische Bildung (t/xv-
x/i.de"s ?c"de"'et") mit ihren sieben Disziplinen: Grammatik, Rhetorik, Dialektik
oder Philosophie, Arithmetik, Musik. Geometrie, Astronomie. In dem Athen
Platos freilich lernten die Knaben im Didaskaleion von alledem wohl nur die
Anfangsgründe; wer höhern wissenschaftlichen Unterricht begehrte, ging damals
zu den Sophisten wie später zu den Grammatikern, Rhetoren und Philosophen.
Der Lehrer im Didaskaleion hieß Grammatodidnskalvs oder Grammati steh;
wenn er nicht zugleich auch den musikalischen Anfangsunterricht erteilte, so
besorgte das ein Musik- und Gesauglehrer, der Kitharistes. Als Schulgeld
erhielt zu Sokrates Zeit in Athen der Grammatodidaskalvs monatlich von
jedem Schüler eine Drachme. Protagoras war anfangs ein solcher Ele¬
mentarlehrer gewesen, und zwar in einem Dorfe; auch der Vater Epikurs
hatte diesem Stande angehört und dabei seinen Sohn als Hilfslehrer ver¬
wendet. Daß die Übernahme einer folchen Lehrerstelle, wie früher auch in
Deutschland und noch jetzt in England und Amerika, gelegentlich die letzte
Zuflucht gescheiterter Existenzen oder armer Teufel war, zeigt der Rat, den
Plutarch denen erteilt, die es vermeiden wollen, Schulden zu macheu, sie
möchten Pädagogen, Elementarlehrer oder -- Pförtner werden. Einen pe¬
dantischen Schulmeister dieser Art ans Chios, der aber immerhin ein ange¬
sehener Mann gewesen sein muß, hatte ein vornehmer Chier zu der Gesellschaft
eingeladen, die er zu Ehren des nach Chios als ätherischer Admiral gekommnen
Dichters Sophokles gab. Der gute Magister langweilt den Dichter, indem


Grenzboten II 1895 H
Knalienerziehung und Anabennnterricht ini alten Hellas

Schüler er habe, antwortete: „Zwölf mit Hilfe der Götter"; ein ähnlicher Scherz
wird von Diogenes berichtet. Wahrscheinlich überwogen die Schulen mit kleiner
Schülerzahl, wie auch im heutigen England mehr als die Hälfte aller Schul¬
kinder der bessern Stände in Privatschulen von durchschnittlich zwanzig Schülern
oder Schülerinnen unterrichtet wird. Plato erwähnt zwei ätherische Di-
daslaleia; das eine war das eines gewissen Pheidostratos, wo der Sophist
Hippias einen Vortrag für Erwachsene halten will; wir müssen uns also
das Schulzimmer ziemlich geräumig vorstellen, denn Hippias war an viele
Zuhörer und reiche Einnahmen gewöhnt. In dem andern, dem des Gram-
matisten Dionysos, eines frühern Lehrers des Plato, treffen wir bereits ältere
Knaben, von denen zwei in einem eifrigen mathematischen oder philosophischen
Gespräch begriffen sind und dabei mit Händen und Armen allerhand erläuternde
Bewegungen machen.

Alles nun, was im Didaskaleion gelehrt wurde, nannte der Grieche
musische Kunst. Darunter war allerdings auch der musikalische Unterricht,
namentlich der ans der Kithara und im Gesänge, begriffen, aber ebenso gen
die d. h. der Elementarunterricht im Lesen, Schreiben, Rechnen und
in der Grammatik. Endlich aber gehörte dazu auch aller wissenschaftliche
Unterricht auf grammatischem, litterarischem, rhetorischen, mathematischem
und philosophischem Gebiete, also die ganze spätere enkhklische Bildung (t/xv-
x/i.de»s ?c«de»'et«) mit ihren sieben Disziplinen: Grammatik, Rhetorik, Dialektik
oder Philosophie, Arithmetik, Musik. Geometrie, Astronomie. In dem Athen
Platos freilich lernten die Knaben im Didaskaleion von alledem wohl nur die
Anfangsgründe; wer höhern wissenschaftlichen Unterricht begehrte, ging damals
zu den Sophisten wie später zu den Grammatikern, Rhetoren und Philosophen.
Der Lehrer im Didaskaleion hieß Grammatodidnskalvs oder Grammati steh;
wenn er nicht zugleich auch den musikalischen Anfangsunterricht erteilte, so
besorgte das ein Musik- und Gesauglehrer, der Kitharistes. Als Schulgeld
erhielt zu Sokrates Zeit in Athen der Grammatodidaskalvs monatlich von
jedem Schüler eine Drachme. Protagoras war anfangs ein solcher Ele¬
mentarlehrer gewesen, und zwar in einem Dorfe; auch der Vater Epikurs
hatte diesem Stande angehört und dabei seinen Sohn als Hilfslehrer ver¬
wendet. Daß die Übernahme einer folchen Lehrerstelle, wie früher auch in
Deutschland und noch jetzt in England und Amerika, gelegentlich die letzte
Zuflucht gescheiterter Existenzen oder armer Teufel war, zeigt der Rat, den
Plutarch denen erteilt, die es vermeiden wollen, Schulden zu macheu, sie
möchten Pädagogen, Elementarlehrer oder — Pförtner werden. Einen pe¬
dantischen Schulmeister dieser Art ans Chios, der aber immerhin ein ange¬
sehener Mann gewesen sein muß, hatte ein vornehmer Chier zu der Gesellschaft
eingeladen, die er zu Ehren des nach Chios als ätherischer Admiral gekommnen
Dichters Sophokles gab. Der gute Magister langweilt den Dichter, indem


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[0089] Knalienerziehung und Anabennnterricht ini alten Hellas Schüler er habe, antwortete: „Zwölf mit Hilfe der Götter"; ein ähnlicher Scherz wird von Diogenes berichtet. Wahrscheinlich überwogen die Schulen mit kleiner Schülerzahl, wie auch im heutigen England mehr als die Hälfte aller Schul¬ kinder der bessern Stände in Privatschulen von durchschnittlich zwanzig Schülern oder Schülerinnen unterrichtet wird. Plato erwähnt zwei ätherische Di- daslaleia; das eine war das eines gewissen Pheidostratos, wo der Sophist Hippias einen Vortrag für Erwachsene halten will; wir müssen uns also das Schulzimmer ziemlich geräumig vorstellen, denn Hippias war an viele Zuhörer und reiche Einnahmen gewöhnt. In dem andern, dem des Gram- matisten Dionysos, eines frühern Lehrers des Plato, treffen wir bereits ältere Knaben, von denen zwei in einem eifrigen mathematischen oder philosophischen Gespräch begriffen sind und dabei mit Händen und Armen allerhand erläuternde Bewegungen machen. Alles nun, was im Didaskaleion gelehrt wurde, nannte der Grieche musische Kunst. Darunter war allerdings auch der musikalische Unterricht, namentlich der ans der Kithara und im Gesänge, begriffen, aber ebenso gen die d. h. der Elementarunterricht im Lesen, Schreiben, Rechnen und in der Grammatik. Endlich aber gehörte dazu auch aller wissenschaftliche Unterricht auf grammatischem, litterarischem, rhetorischen, mathematischem und philosophischem Gebiete, also die ganze spätere enkhklische Bildung (t/xv- x/i.de»s ?c«de»'et«) mit ihren sieben Disziplinen: Grammatik, Rhetorik, Dialektik oder Philosophie, Arithmetik, Musik. Geometrie, Astronomie. In dem Athen Platos freilich lernten die Knaben im Didaskaleion von alledem wohl nur die Anfangsgründe; wer höhern wissenschaftlichen Unterricht begehrte, ging damals zu den Sophisten wie später zu den Grammatikern, Rhetoren und Philosophen. Der Lehrer im Didaskaleion hieß Grammatodidnskalvs oder Grammati steh; wenn er nicht zugleich auch den musikalischen Anfangsunterricht erteilte, so besorgte das ein Musik- und Gesauglehrer, der Kitharistes. Als Schulgeld erhielt zu Sokrates Zeit in Athen der Grammatodidaskalvs monatlich von jedem Schüler eine Drachme. Protagoras war anfangs ein solcher Ele¬ mentarlehrer gewesen, und zwar in einem Dorfe; auch der Vater Epikurs hatte diesem Stande angehört und dabei seinen Sohn als Hilfslehrer ver¬ wendet. Daß die Übernahme einer folchen Lehrerstelle, wie früher auch in Deutschland und noch jetzt in England und Amerika, gelegentlich die letzte Zuflucht gescheiterter Existenzen oder armer Teufel war, zeigt der Rat, den Plutarch denen erteilt, die es vermeiden wollen, Schulden zu macheu, sie möchten Pädagogen, Elementarlehrer oder — Pförtner werden. Einen pe¬ dantischen Schulmeister dieser Art ans Chios, der aber immerhin ein ange¬ sehener Mann gewesen sein muß, hatte ein vornehmer Chier zu der Gesellschaft eingeladen, die er zu Ehren des nach Chios als ätherischer Admiral gekommnen Dichters Sophokles gab. Der gute Magister langweilt den Dichter, indem Grenzboten II 1895 H

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/89>, abgerufen am 22.12.2024.