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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Knabenerziehung und Rnabenunterricht im alten Hellas

zimmers hängt eine Bücherrolle mit einer Handhabe zu bequemeren Tragen,
eine Schreibtafel, ein Flötenfutteral, vielleicht ein Winkelmaß für den geome¬
trischen Unterricht, und drei Lyrer, ferner ein Korb als Behälter für Schrift¬
rollen und zwei Trinkschalen zum Wassertrinken in den Pausen. In jeder
Schulstube gab es wohl auch Rechenbretter, "/?<M"s? mit Nechensteinen, wie
sie noch heute die altrussischen Kaufleute im Gebrauch haben, sowie allerhand
Figuren für den geometrischen Unterricht und eine Wandtafel. Dagegen ge¬
hören erst dem Beginn der Kaiserzeit gewisse Lehrmittel für den Anschauungs¬
unterricht in Mythologie, Geschichte und Geographie an, wie die berühmte
steinerne ilische Tafel eines gewissen Theodoros, die den Knaben Szenen aus
der Ilias in der Reihenfolge der einzelnen Bücher mit kurzer erklärender
Überschrift vor Augen brachte, und deren Zweck aus der Überschrift des Ganzen
hervorleuchtet:


Des Homeros Reihenfolge, lieber Knabe, präg dir ein,
Denn es ist, weiht du erst solche, aller Weisheit Höhe dein.

In andern ähnlichen Tafeln, von denen sich Bruchstücke erhalten haben, wurden
die Knaben mit dem Inhalt der Odyssee und der sogenannten Mischen Epen,
der Äthiopis, der Daraus, der Amazonia, der Odipodeia vertraut gemacht.
Auch von einer Geschichtstabelle auf Stein mit Daten aus der römischen und
griechischen Geschichte, bestimmt für den Unterricht der alexandrinischen Schul¬
jugend, hat sich ein Überrest erhalten. Als Schmuck der Didaskaleia dienten
die in Nischen stehenden Statuetten des Apoll und namentlich der Musen, unter
deren Schutze diese Schulen standen, und zu deren Ehren eigne Schulfeste,
die Museen, abgehalten wurden. Auch für einen Raum, wo Wasser bereit
stand, war Fürsorge getroffen; er mußte aber nach gesetzlicher Vorschrift so
angelegt sein, daß die Knaben dort nicht etwa unter dem Vorwande, ihren
Durst löschen zu wollen, mit einander Unfug trieben. Während des Unter¬
richts saßen die Schiller auf Bänken ohne Lehne, der Lehrer auf einem
etwas erhöhten Stuhl. Die Bücherrolle zum Lesen oder die Schreibtafel
hielten die Knaben vor sich auf den Knieen.

Als Privatschulen waren die Didaskaleia wie die Palastren oft Eigen¬
tum der darin unterrichtenden Lehrer, aber nicht immer. Der Vater des
Redners Äschines, der wegen seiner Armut keinen Sklaven hielt, und dem
deshalb sein Sohn, der spätere Redner, Tinte rieb, die Bänke scheuerte und
das Schulzimmer ausfegte, war uicht der Besitzer der Schule, in der er unter¬
richtete. Die Schülerzahl war sehr verschieden. Wir lesen von einem Di-
daskaleion in Chios mit 120, einem in Syrakus mit 100, einem in einem böo-
tischen Landstädtchen mit 60 Schülern. Der Musiklehrer Stratonikos hatte
einmal in seiner mit den Standbildern Apolls und der neun Musen ge¬
schmückten Schule nur zwei Schüler, sodaß er auf die Frage, wieviel


Knabenerziehung und Rnabenunterricht im alten Hellas

zimmers hängt eine Bücherrolle mit einer Handhabe zu bequemeren Tragen,
eine Schreibtafel, ein Flötenfutteral, vielleicht ein Winkelmaß für den geome¬
trischen Unterricht, und drei Lyrer, ferner ein Korb als Behälter für Schrift¬
rollen und zwei Trinkschalen zum Wassertrinken in den Pausen. In jeder
Schulstube gab es wohl auch Rechenbretter, «/?<M«s? mit Nechensteinen, wie
sie noch heute die altrussischen Kaufleute im Gebrauch haben, sowie allerhand
Figuren für den geometrischen Unterricht und eine Wandtafel. Dagegen ge¬
hören erst dem Beginn der Kaiserzeit gewisse Lehrmittel für den Anschauungs¬
unterricht in Mythologie, Geschichte und Geographie an, wie die berühmte
steinerne ilische Tafel eines gewissen Theodoros, die den Knaben Szenen aus
der Ilias in der Reihenfolge der einzelnen Bücher mit kurzer erklärender
Überschrift vor Augen brachte, und deren Zweck aus der Überschrift des Ganzen
hervorleuchtet:


Des Homeros Reihenfolge, lieber Knabe, präg dir ein,
Denn es ist, weiht du erst solche, aller Weisheit Höhe dein.

In andern ähnlichen Tafeln, von denen sich Bruchstücke erhalten haben, wurden
die Knaben mit dem Inhalt der Odyssee und der sogenannten Mischen Epen,
der Äthiopis, der Daraus, der Amazonia, der Odipodeia vertraut gemacht.
Auch von einer Geschichtstabelle auf Stein mit Daten aus der römischen und
griechischen Geschichte, bestimmt für den Unterricht der alexandrinischen Schul¬
jugend, hat sich ein Überrest erhalten. Als Schmuck der Didaskaleia dienten
die in Nischen stehenden Statuetten des Apoll und namentlich der Musen, unter
deren Schutze diese Schulen standen, und zu deren Ehren eigne Schulfeste,
die Museen, abgehalten wurden. Auch für einen Raum, wo Wasser bereit
stand, war Fürsorge getroffen; er mußte aber nach gesetzlicher Vorschrift so
angelegt sein, daß die Knaben dort nicht etwa unter dem Vorwande, ihren
Durst löschen zu wollen, mit einander Unfug trieben. Während des Unter¬
richts saßen die Schiller auf Bänken ohne Lehne, der Lehrer auf einem
etwas erhöhten Stuhl. Die Bücherrolle zum Lesen oder die Schreibtafel
hielten die Knaben vor sich auf den Knieen.

Als Privatschulen waren die Didaskaleia wie die Palastren oft Eigen¬
tum der darin unterrichtenden Lehrer, aber nicht immer. Der Vater des
Redners Äschines, der wegen seiner Armut keinen Sklaven hielt, und dem
deshalb sein Sohn, der spätere Redner, Tinte rieb, die Bänke scheuerte und
das Schulzimmer ausfegte, war uicht der Besitzer der Schule, in der er unter¬
richtete. Die Schülerzahl war sehr verschieden. Wir lesen von einem Di-
daskaleion in Chios mit 120, einem in Syrakus mit 100, einem in einem böo-
tischen Landstädtchen mit 60 Schülern. Der Musiklehrer Stratonikos hatte
einmal in seiner mit den Standbildern Apolls und der neun Musen ge¬
schmückten Schule nur zwei Schüler, sodaß er auf die Frage, wieviel


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/88>, abgerufen am 24.08.2024.