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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Zur Kenntnis der englischen Weltpolitik

Maße auch gegenüber den Zuwandernden können, die von diesem ausgesprochnen
Typus, wie die Erfahrung lehrt, angezogen und beherrscht werden. Es ist,
als ob der Geist der I^oMists von 1783, die England treu blieben, als Neu¬
england die Fahne des Aufstandes entfaltete, und unes dem zweiten Pariser
Vertrag zu zehntausenden aus Neuengland einwanderten, in den Kanadiern
von heute fortlebte. Es ist ja uicht bloß Tugend, es ist auch Notwendigkeit,
was die Bewohner des um 1776 noch so dünn bevölkerten, rauhen, an An¬
ziehungskräften armen Nordlandes, dessen Hilfsquellen noch so wenig ausgenutzt,
ja großenteils nicht bekannt waren, enger an England fesselte. Mit der eignen
Entwicklung hat sich auch ohne Zweifel diese Abhängigkeit, ein Jugendmerkmal
werdender Völker, gelockert. Aber sie hat selbst in den Körpern der Kanadier
und äußerlich noch mehr in denen der Kanadierinnen ihren Ausdruck gefunden,
die den aus Neuengland oder Newyork kommenden Beobachter ganz europäisch,
d. h. hauptsächlich angelsächsisch anmutet. Die blühende Gesundheit der Frauen
und Mädchen überrascht geradezu, wenn man sich längere Zeit unter den zwar
sehr oft feinen und schönen, aber überfeinerten, der Kraft und der Farbe ver¬
lustig gegangnen Amerikanerinnen der Vereinigten Staaten bewegt hat. Ob
es das rauhe Klima mit seinen mit echt englischer Hingebung betriebnen Winter¬
sports und der Mangel der entnervenden heißfeuchten Sommer südlich von
45 Grad nördlicher Breite oder der geringere Betrag irischer Mischung oder
überhaupt die selbstäudigere Entwicklung bei verhältnismäßig geringerer Ein¬
wanderung ist, die da wirkt -- von der 1891 gezählten Bevölkerung waren
86,5 Prozent in Kanada geboren --: die Kanadier sind eine kräftigere Rasse
als die Jankees.

Zwar werden sie von diesen als langsam, ohne Kühnheit, am Her¬
gebrachten hängend bezeichnet, und ohne Zweifel schritt man südlich vom
Se. Lorenzstrom und vom Eriesee viel rascher fort als im Norden, dafür hat
man aber mit Übeln zu thun, die wie die Krankheiten eines Frühreifen sind.
Wenn Kanada den 60 Millionen Bewohnern der Union nur 5 Millionen ent¬
gegenzustellen hat, so weist es dafür einen größern und stetiger" Geburten¬
überschuß auf. Und wenn es nicht eine so eigentümliche, glänzende Entwick¬
lung durchgemacht hat, haben seine Geschäftsleute mehr Solidität, seine Be¬
amten mehr Ehrlichkeit und seine politischen Einrichtungen mehr Dauerhaftigkeit
bewahrt. Die Korruption konnte in Kanada schon wegen der viel regern Teil¬
nahme der bessern Klassen an der Politik nicht so um sich greisen. Auch hier
zeigt sich einer der guten Einflüsse der engern Verbindung dieser Kolonie mit
ihrem Mutterlande, als deren Träger der fast ununterbrochen mit ausgezeich¬
neten Vertretern Englands, Aristokraten der Geburt und des Geistes, wie
Duffcriu und Marquis of Lorne, besetzte Posten des Generalgouverneurs
mit seinem "Hof" eine, trotz des demokratischen Zuges, einflußreiche Rolle spielt.

Wenn man sich in England manchmal nervös gezeigt hat über die Un-


Zur Kenntnis der englischen Weltpolitik

Maße auch gegenüber den Zuwandernden können, die von diesem ausgesprochnen
Typus, wie die Erfahrung lehrt, angezogen und beherrscht werden. Es ist,
als ob der Geist der I^oMists von 1783, die England treu blieben, als Neu¬
england die Fahne des Aufstandes entfaltete, und unes dem zweiten Pariser
Vertrag zu zehntausenden aus Neuengland einwanderten, in den Kanadiern
von heute fortlebte. Es ist ja uicht bloß Tugend, es ist auch Notwendigkeit,
was die Bewohner des um 1776 noch so dünn bevölkerten, rauhen, an An¬
ziehungskräften armen Nordlandes, dessen Hilfsquellen noch so wenig ausgenutzt,
ja großenteils nicht bekannt waren, enger an England fesselte. Mit der eignen
Entwicklung hat sich auch ohne Zweifel diese Abhängigkeit, ein Jugendmerkmal
werdender Völker, gelockert. Aber sie hat selbst in den Körpern der Kanadier
und äußerlich noch mehr in denen der Kanadierinnen ihren Ausdruck gefunden,
die den aus Neuengland oder Newyork kommenden Beobachter ganz europäisch,
d. h. hauptsächlich angelsächsisch anmutet. Die blühende Gesundheit der Frauen
und Mädchen überrascht geradezu, wenn man sich längere Zeit unter den zwar
sehr oft feinen und schönen, aber überfeinerten, der Kraft und der Farbe ver¬
lustig gegangnen Amerikanerinnen der Vereinigten Staaten bewegt hat. Ob
es das rauhe Klima mit seinen mit echt englischer Hingebung betriebnen Winter¬
sports und der Mangel der entnervenden heißfeuchten Sommer südlich von
45 Grad nördlicher Breite oder der geringere Betrag irischer Mischung oder
überhaupt die selbstäudigere Entwicklung bei verhältnismäßig geringerer Ein¬
wanderung ist, die da wirkt — von der 1891 gezählten Bevölkerung waren
86,5 Prozent in Kanada geboren —: die Kanadier sind eine kräftigere Rasse
als die Jankees.

Zwar werden sie von diesen als langsam, ohne Kühnheit, am Her¬
gebrachten hängend bezeichnet, und ohne Zweifel schritt man südlich vom
Se. Lorenzstrom und vom Eriesee viel rascher fort als im Norden, dafür hat
man aber mit Übeln zu thun, die wie die Krankheiten eines Frühreifen sind.
Wenn Kanada den 60 Millionen Bewohnern der Union nur 5 Millionen ent¬
gegenzustellen hat, so weist es dafür einen größern und stetiger» Geburten¬
überschuß auf. Und wenn es nicht eine so eigentümliche, glänzende Entwick¬
lung durchgemacht hat, haben seine Geschäftsleute mehr Solidität, seine Be¬
amten mehr Ehrlichkeit und seine politischen Einrichtungen mehr Dauerhaftigkeit
bewahrt. Die Korruption konnte in Kanada schon wegen der viel regern Teil¬
nahme der bessern Klassen an der Politik nicht so um sich greisen. Auch hier
zeigt sich einer der guten Einflüsse der engern Verbindung dieser Kolonie mit
ihrem Mutterlande, als deren Träger der fast ununterbrochen mit ausgezeich¬
neten Vertretern Englands, Aristokraten der Geburt und des Geistes, wie
Duffcriu und Marquis of Lorne, besetzte Posten des Generalgouverneurs
mit seinem „Hof" eine, trotz des demokratischen Zuges, einflußreiche Rolle spielt.

Wenn man sich in England manchmal nervös gezeigt hat über die Un-


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[0078] Zur Kenntnis der englischen Weltpolitik Maße auch gegenüber den Zuwandernden können, die von diesem ausgesprochnen Typus, wie die Erfahrung lehrt, angezogen und beherrscht werden. Es ist, als ob der Geist der I^oMists von 1783, die England treu blieben, als Neu¬ england die Fahne des Aufstandes entfaltete, und unes dem zweiten Pariser Vertrag zu zehntausenden aus Neuengland einwanderten, in den Kanadiern von heute fortlebte. Es ist ja uicht bloß Tugend, es ist auch Notwendigkeit, was die Bewohner des um 1776 noch so dünn bevölkerten, rauhen, an An¬ ziehungskräften armen Nordlandes, dessen Hilfsquellen noch so wenig ausgenutzt, ja großenteils nicht bekannt waren, enger an England fesselte. Mit der eignen Entwicklung hat sich auch ohne Zweifel diese Abhängigkeit, ein Jugendmerkmal werdender Völker, gelockert. Aber sie hat selbst in den Körpern der Kanadier und äußerlich noch mehr in denen der Kanadierinnen ihren Ausdruck gefunden, die den aus Neuengland oder Newyork kommenden Beobachter ganz europäisch, d. h. hauptsächlich angelsächsisch anmutet. Die blühende Gesundheit der Frauen und Mädchen überrascht geradezu, wenn man sich längere Zeit unter den zwar sehr oft feinen und schönen, aber überfeinerten, der Kraft und der Farbe ver¬ lustig gegangnen Amerikanerinnen der Vereinigten Staaten bewegt hat. Ob es das rauhe Klima mit seinen mit echt englischer Hingebung betriebnen Winter¬ sports und der Mangel der entnervenden heißfeuchten Sommer südlich von 45 Grad nördlicher Breite oder der geringere Betrag irischer Mischung oder überhaupt die selbstäudigere Entwicklung bei verhältnismäßig geringerer Ein¬ wanderung ist, die da wirkt — von der 1891 gezählten Bevölkerung waren 86,5 Prozent in Kanada geboren —: die Kanadier sind eine kräftigere Rasse als die Jankees. Zwar werden sie von diesen als langsam, ohne Kühnheit, am Her¬ gebrachten hängend bezeichnet, und ohne Zweifel schritt man südlich vom Se. Lorenzstrom und vom Eriesee viel rascher fort als im Norden, dafür hat man aber mit Übeln zu thun, die wie die Krankheiten eines Frühreifen sind. Wenn Kanada den 60 Millionen Bewohnern der Union nur 5 Millionen ent¬ gegenzustellen hat, so weist es dafür einen größern und stetiger» Geburten¬ überschuß auf. Und wenn es nicht eine so eigentümliche, glänzende Entwick¬ lung durchgemacht hat, haben seine Geschäftsleute mehr Solidität, seine Be¬ amten mehr Ehrlichkeit und seine politischen Einrichtungen mehr Dauerhaftigkeit bewahrt. Die Korruption konnte in Kanada schon wegen der viel regern Teil¬ nahme der bessern Klassen an der Politik nicht so um sich greisen. Auch hier zeigt sich einer der guten Einflüsse der engern Verbindung dieser Kolonie mit ihrem Mutterlande, als deren Träger der fast ununterbrochen mit ausgezeich¬ neten Vertretern Englands, Aristokraten der Geburt und des Geistes, wie Duffcriu und Marquis of Lorne, besetzte Posten des Generalgouverneurs mit seinem „Hof" eine, trotz des demokratischen Zuges, einflußreiche Rolle spielt. Wenn man sich in England manchmal nervös gezeigt hat über die Un-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/78>, abgerufen am 25.08.2024.