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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Zur Kenntnis der englischen Weltpolitik

die, mit allen Fähigkeiten und Neigungen der englischen Nasse ausgestattet,
ihre eignen Ideale von Gesellschaft und Staat verwirklichen wollen und müssen,
die natürlich nicht dieselben sein und nicht in dem gleichen Niveau schweben
können wie die ihrer englischen Vorfahren. Wohl wachsen da Menschen mit
den Tugenden und Fehlern des Angelsachsen heran, aber auf anderm Boden
und in andrer Luft nehmen ihre Gedanken eine andre Färbung an. Kolonien
in diesem Klima sind nie der Entwicklung der Aristokratie günstig gewesen.
Der weite Raum erzeugt Geister von schrankenlosen Optimismus und Neue¬
rungssinn. Und endlich ist ja der Staat nicht bloß der Mensch, sondern auch
der Boden. Nichts kann verhindern, daß Australiens Lage, Größe, Boden,
Klima, Nachbarschaft u. s. w. eigne politische Interessen erzeugen, und zwar um
so mehr, je mehr Volkszahl, Wohlstand und Bildung in ihnen und ihrer
Nachbarschaft wachsen. Die Konflikte mit dem unter so ganz andern Be¬
dingungen lebenden Mutterlande sind also in der Natur gegeben, selbst wenn
sie die Menschen vermeiden wollten. Aber dazu haben diese weder Lust noch
Anlaß. Die Rivalität zwischen den Staatsmännern des Mutterlandes und den
Kolonien ist seit langem sprichwörtlich. Jene sind diesen zu bedächtig und ge¬
schmeidig, diese jenen zu ungebildet und zutappend. Ein Macdonald von Ka¬
nada, ein Parker von Neusüdwales, ein Rhodes vom Kap erregen immer ein
geheimes Grauen, wenn sie in London auftauchen. Sie lassen sich aber von
keinem Spott anfechten. Parker, der größte Politiker, den Australien hervor¬
gebracht hat, wurde zwar als "ein alternder Orcmgutan von den Antipoden"
-- faules Bild! -- lächerlich gemacht, versandte aber einen viel wirksamern
Pfeil, als er bei einem Festmahl in der City erklärte, die Kolonien seien zu
gut, um Leute, die man zu Hause nicht für einen Ministerposten reif erachte,
als Vertreter des Mutterlandes zu empfangen. Die Bevölkerung der Kolonien
im ganzen fühlt sich auch uicht selten von der Affektation einer gewissen Über¬
legenheit auf seiten der ältern Vettern im Mutterlande unangenehm berührt.
Sie überwinden nie eine unpraktische Empfindlichkeit, womit alle jungen Ge¬
sellschaften den Tribut der Jugend für die zahllosen Vorzüge entrichten, deren
sie sich erfreuen.

Diese recht unglückliche Gabe, die schlecht zu dem ebenso allgemeinen
übertriebnen Selbstgefühl der Kolonisten paßt, hat in der Entfremdung
der Engländer und der Acmkees eine geschichtliche Rolle gespielt. Sie hat
sogar ihr Denkmal in der (jungen) klassischen Litteratur Nordamerikas er¬
halten; Lowell hat es in dem tiefernsten und doch stellenweise ironisch schim¬
mernden Essay On a verkam oonäs8(ZMLion in torsiMsrs geschaffen. Damit
lst schon gesagt, daß sie für diese beiden der Vergangenheit angehört, was
übrigens durch nichts besser bewiesen werden könnte als durch den Wunsch eines
nordamerikanischen Westerlings, man möge doch auch einmal das altersstolze
Herabsehen der Neuenglünder auf die um einige Generationen jüngern Leute


Zur Kenntnis der englischen Weltpolitik

die, mit allen Fähigkeiten und Neigungen der englischen Nasse ausgestattet,
ihre eignen Ideale von Gesellschaft und Staat verwirklichen wollen und müssen,
die natürlich nicht dieselben sein und nicht in dem gleichen Niveau schweben
können wie die ihrer englischen Vorfahren. Wohl wachsen da Menschen mit
den Tugenden und Fehlern des Angelsachsen heran, aber auf anderm Boden
und in andrer Luft nehmen ihre Gedanken eine andre Färbung an. Kolonien
in diesem Klima sind nie der Entwicklung der Aristokratie günstig gewesen.
Der weite Raum erzeugt Geister von schrankenlosen Optimismus und Neue¬
rungssinn. Und endlich ist ja der Staat nicht bloß der Mensch, sondern auch
der Boden. Nichts kann verhindern, daß Australiens Lage, Größe, Boden,
Klima, Nachbarschaft u. s. w. eigne politische Interessen erzeugen, und zwar um
so mehr, je mehr Volkszahl, Wohlstand und Bildung in ihnen und ihrer
Nachbarschaft wachsen. Die Konflikte mit dem unter so ganz andern Be¬
dingungen lebenden Mutterlande sind also in der Natur gegeben, selbst wenn
sie die Menschen vermeiden wollten. Aber dazu haben diese weder Lust noch
Anlaß. Die Rivalität zwischen den Staatsmännern des Mutterlandes und den
Kolonien ist seit langem sprichwörtlich. Jene sind diesen zu bedächtig und ge¬
schmeidig, diese jenen zu ungebildet und zutappend. Ein Macdonald von Ka¬
nada, ein Parker von Neusüdwales, ein Rhodes vom Kap erregen immer ein
geheimes Grauen, wenn sie in London auftauchen. Sie lassen sich aber von
keinem Spott anfechten. Parker, der größte Politiker, den Australien hervor¬
gebracht hat, wurde zwar als „ein alternder Orcmgutan von den Antipoden"
— faules Bild! — lächerlich gemacht, versandte aber einen viel wirksamern
Pfeil, als er bei einem Festmahl in der City erklärte, die Kolonien seien zu
gut, um Leute, die man zu Hause nicht für einen Ministerposten reif erachte,
als Vertreter des Mutterlandes zu empfangen. Die Bevölkerung der Kolonien
im ganzen fühlt sich auch uicht selten von der Affektation einer gewissen Über¬
legenheit auf seiten der ältern Vettern im Mutterlande unangenehm berührt.
Sie überwinden nie eine unpraktische Empfindlichkeit, womit alle jungen Ge¬
sellschaften den Tribut der Jugend für die zahllosen Vorzüge entrichten, deren
sie sich erfreuen.

Diese recht unglückliche Gabe, die schlecht zu dem ebenso allgemeinen
übertriebnen Selbstgefühl der Kolonisten paßt, hat in der Entfremdung
der Engländer und der Acmkees eine geschichtliche Rolle gespielt. Sie hat
sogar ihr Denkmal in der (jungen) klassischen Litteratur Nordamerikas er¬
halten; Lowell hat es in dem tiefernsten und doch stellenweise ironisch schim¬
mernden Essay On a verkam oonäs8(ZMLion in torsiMsrs geschaffen. Damit
lst schon gesagt, daß sie für diese beiden der Vergangenheit angehört, was
übrigens durch nichts besser bewiesen werden könnte als durch den Wunsch eines
nordamerikanischen Westerlings, man möge doch auch einmal das altersstolze
Herabsehen der Neuenglünder auf die um einige Generationen jüngern Leute


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[0071] Zur Kenntnis der englischen Weltpolitik die, mit allen Fähigkeiten und Neigungen der englischen Nasse ausgestattet, ihre eignen Ideale von Gesellschaft und Staat verwirklichen wollen und müssen, die natürlich nicht dieselben sein und nicht in dem gleichen Niveau schweben können wie die ihrer englischen Vorfahren. Wohl wachsen da Menschen mit den Tugenden und Fehlern des Angelsachsen heran, aber auf anderm Boden und in andrer Luft nehmen ihre Gedanken eine andre Färbung an. Kolonien in diesem Klima sind nie der Entwicklung der Aristokratie günstig gewesen. Der weite Raum erzeugt Geister von schrankenlosen Optimismus und Neue¬ rungssinn. Und endlich ist ja der Staat nicht bloß der Mensch, sondern auch der Boden. Nichts kann verhindern, daß Australiens Lage, Größe, Boden, Klima, Nachbarschaft u. s. w. eigne politische Interessen erzeugen, und zwar um so mehr, je mehr Volkszahl, Wohlstand und Bildung in ihnen und ihrer Nachbarschaft wachsen. Die Konflikte mit dem unter so ganz andern Be¬ dingungen lebenden Mutterlande sind also in der Natur gegeben, selbst wenn sie die Menschen vermeiden wollten. Aber dazu haben diese weder Lust noch Anlaß. Die Rivalität zwischen den Staatsmännern des Mutterlandes und den Kolonien ist seit langem sprichwörtlich. Jene sind diesen zu bedächtig und ge¬ schmeidig, diese jenen zu ungebildet und zutappend. Ein Macdonald von Ka¬ nada, ein Parker von Neusüdwales, ein Rhodes vom Kap erregen immer ein geheimes Grauen, wenn sie in London auftauchen. Sie lassen sich aber von keinem Spott anfechten. Parker, der größte Politiker, den Australien hervor¬ gebracht hat, wurde zwar als „ein alternder Orcmgutan von den Antipoden" — faules Bild! — lächerlich gemacht, versandte aber einen viel wirksamern Pfeil, als er bei einem Festmahl in der City erklärte, die Kolonien seien zu gut, um Leute, die man zu Hause nicht für einen Ministerposten reif erachte, als Vertreter des Mutterlandes zu empfangen. Die Bevölkerung der Kolonien im ganzen fühlt sich auch uicht selten von der Affektation einer gewissen Über¬ legenheit auf seiten der ältern Vettern im Mutterlande unangenehm berührt. Sie überwinden nie eine unpraktische Empfindlichkeit, womit alle jungen Ge¬ sellschaften den Tribut der Jugend für die zahllosen Vorzüge entrichten, deren sie sich erfreuen. Diese recht unglückliche Gabe, die schlecht zu dem ebenso allgemeinen übertriebnen Selbstgefühl der Kolonisten paßt, hat in der Entfremdung der Engländer und der Acmkees eine geschichtliche Rolle gespielt. Sie hat sogar ihr Denkmal in der (jungen) klassischen Litteratur Nordamerikas er¬ halten; Lowell hat es in dem tiefernsten und doch stellenweise ironisch schim¬ mernden Essay On a verkam oonäs8(ZMLion in torsiMsrs geschaffen. Damit lst schon gesagt, daß sie für diese beiden der Vergangenheit angehört, was übrigens durch nichts besser bewiesen werden könnte als durch den Wunsch eines nordamerikanischen Westerlings, man möge doch auch einmal das altersstolze Herabsehen der Neuenglünder auf die um einige Generationen jüngern Leute

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/71>, abgerufen am 26.08.2024.