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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Das soziale Problem

geographische Lage der Betriebsstättc, durch Nähe und Billigkeit des Roh¬
materials, durch Verwendung von Naturkräften als Motoren Schätze auf
Schätze, aber neben ihnen unterliegen andre oder kommen mindestens nur mit
Sorgen und Mühen durchs Leben. Auch unter den Arbeitgebern und Ar¬
beitern läßt der Konkurrenzkampf keinerlei gerechten Ausgleich zu. Jede Ver¬
besserung verliert sich wieder durch die ewigen Konkurrenzkampfe im Sande,
und wie nach jedem Zollschutz für Industrie und Landwirtschaft die vermehrte
Produktion die alten Übelstände aufs neue hervorruft, so wird auch jede
Lohnerhöhung ausgeglichen durch vermehrte Steuern auf Lebensmittel oder
sonst verteuerte Lebenshaltung. Alle Vorschläge zur Fernhaltung weiterer
fremder Konkurrenz steigern den Konkurrenzkampf unter den Fachgenossen selbst,
und schützende Kartelle rufen den Kampf der betroffnen Konsumenten hervor.

So erscheint jegliches Bemühen der Gesetzgebung den Klagen gegen¬
über, die aus den verschiednen Standen laut werden, wie ein oiroulus viele>8v.8,
denn nur ganz vorübergehend vermag dnrch Zollschutz und überhaupt durch
Beschränkung irgend welcher Art Hilfe zu entstehen. Was dem einen nützt,
schadet dem andern, und alle Forderungen erscheinen wie der Ruf an den
heiligen Florian: Verschon mein Haus, zünd' andre an! Hat man mit Hilfe
von Gesetzen oder Verträgen, mit Staatsprämien oder mit Berkehrsverbesse-
rnngen und -Erleichterungen die Klagen eines Produktionsgebiets, eines
Standes oder eines Gewerbes beschwichtigt, sofort drängt sich so viel neue
Konkurrenz heran, daß sich die Vorteile bald in Nachteile verwandeln. Und
das geschieht um so mehr, wenn man sich lediglich oder hauptsächlich auf
Staatshilfe verlassen hat und verläßt.

Ist der Körner bau weniger einträglich als Kartoffel- und Zuckerrüben¬
bau, Branntweinbrennerei und Zuckerfabrikation, so giebt man zu deren Gunsten
den Betrieb auf. Aber bald kommt die Kehrseite: die übergroße Nachahmung
dieses Betriebswechsels, die Klagen der Konsumenten, die Finanzminister mit
ihren Steuergesetzen, und wer "oben" war, ist bald wieder "unten." Ist
auch eine Industrie nur mit Zuschüssen aufrecht zu erhalten gewesen, wie z. V.
die Eisenindustrie um die Mitte der siebziger Jahre, gleich kommt mit dem
Zollschntz eine Vergrößerung der Produktion; denn jeder will die gute Zeit
so viel als möglich ausnutzen, und so verwandelt sich sehr schnell die gute
Zeit wieder in eine schlechte. Ist in irgend einem Fach der gelehrten Berufe
eine kurze Zeit Mangel an Bewerbern, sofort kehrt sich das Bild um, die
raschere Anstellung, der zeitigere oder bessere Erwerb lockt zu viele Bewerber
heran. Wie soll man gegen derartige Zustände auch nur auf kurze Zeit mit
der Gesetzgebung helfen können! Führt man Beschränkungen, Ausschließungen
ein, so ist man ungerecht gegen die Ausgeschlossenen, sucht man einem einzelnen
Stande mit Staatsmitteln zu helfen, so ist man es ebenfalls, und man ruft
die gleiche Forderung bei andern hervor. Und wer ist denn der Staat, mit


Das soziale Problem

geographische Lage der Betriebsstättc, durch Nähe und Billigkeit des Roh¬
materials, durch Verwendung von Naturkräften als Motoren Schätze auf
Schätze, aber neben ihnen unterliegen andre oder kommen mindestens nur mit
Sorgen und Mühen durchs Leben. Auch unter den Arbeitgebern und Ar¬
beitern läßt der Konkurrenzkampf keinerlei gerechten Ausgleich zu. Jede Ver¬
besserung verliert sich wieder durch die ewigen Konkurrenzkampfe im Sande,
und wie nach jedem Zollschutz für Industrie und Landwirtschaft die vermehrte
Produktion die alten Übelstände aufs neue hervorruft, so wird auch jede
Lohnerhöhung ausgeglichen durch vermehrte Steuern auf Lebensmittel oder
sonst verteuerte Lebenshaltung. Alle Vorschläge zur Fernhaltung weiterer
fremder Konkurrenz steigern den Konkurrenzkampf unter den Fachgenossen selbst,
und schützende Kartelle rufen den Kampf der betroffnen Konsumenten hervor.

So erscheint jegliches Bemühen der Gesetzgebung den Klagen gegen¬
über, die aus den verschiednen Standen laut werden, wie ein oiroulus viele>8v.8,
denn nur ganz vorübergehend vermag dnrch Zollschutz und überhaupt durch
Beschränkung irgend welcher Art Hilfe zu entstehen. Was dem einen nützt,
schadet dem andern, und alle Forderungen erscheinen wie der Ruf an den
heiligen Florian: Verschon mein Haus, zünd' andre an! Hat man mit Hilfe
von Gesetzen oder Verträgen, mit Staatsprämien oder mit Berkehrsverbesse-
rnngen und -Erleichterungen die Klagen eines Produktionsgebiets, eines
Standes oder eines Gewerbes beschwichtigt, sofort drängt sich so viel neue
Konkurrenz heran, daß sich die Vorteile bald in Nachteile verwandeln. Und
das geschieht um so mehr, wenn man sich lediglich oder hauptsächlich auf
Staatshilfe verlassen hat und verläßt.

Ist der Körner bau weniger einträglich als Kartoffel- und Zuckerrüben¬
bau, Branntweinbrennerei und Zuckerfabrikation, so giebt man zu deren Gunsten
den Betrieb auf. Aber bald kommt die Kehrseite: die übergroße Nachahmung
dieses Betriebswechsels, die Klagen der Konsumenten, die Finanzminister mit
ihren Steuergesetzen, und wer „oben" war, ist bald wieder „unten." Ist
auch eine Industrie nur mit Zuschüssen aufrecht zu erhalten gewesen, wie z. V.
die Eisenindustrie um die Mitte der siebziger Jahre, gleich kommt mit dem
Zollschntz eine Vergrößerung der Produktion; denn jeder will die gute Zeit
so viel als möglich ausnutzen, und so verwandelt sich sehr schnell die gute
Zeit wieder in eine schlechte. Ist in irgend einem Fach der gelehrten Berufe
eine kurze Zeit Mangel an Bewerbern, sofort kehrt sich das Bild um, die
raschere Anstellung, der zeitigere oder bessere Erwerb lockt zu viele Bewerber
heran. Wie soll man gegen derartige Zustände auch nur auf kurze Zeit mit
der Gesetzgebung helfen können! Führt man Beschränkungen, Ausschließungen
ein, so ist man ungerecht gegen die Ausgeschlossenen, sucht man einem einzelnen
Stande mit Staatsmitteln zu helfen, so ist man es ebenfalls, und man ruft
die gleiche Forderung bei andern hervor. Und wer ist denn der Staat, mit


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[0068] Das soziale Problem geographische Lage der Betriebsstättc, durch Nähe und Billigkeit des Roh¬ materials, durch Verwendung von Naturkräften als Motoren Schätze auf Schätze, aber neben ihnen unterliegen andre oder kommen mindestens nur mit Sorgen und Mühen durchs Leben. Auch unter den Arbeitgebern und Ar¬ beitern läßt der Konkurrenzkampf keinerlei gerechten Ausgleich zu. Jede Ver¬ besserung verliert sich wieder durch die ewigen Konkurrenzkampfe im Sande, und wie nach jedem Zollschutz für Industrie und Landwirtschaft die vermehrte Produktion die alten Übelstände aufs neue hervorruft, so wird auch jede Lohnerhöhung ausgeglichen durch vermehrte Steuern auf Lebensmittel oder sonst verteuerte Lebenshaltung. Alle Vorschläge zur Fernhaltung weiterer fremder Konkurrenz steigern den Konkurrenzkampf unter den Fachgenossen selbst, und schützende Kartelle rufen den Kampf der betroffnen Konsumenten hervor. So erscheint jegliches Bemühen der Gesetzgebung den Klagen gegen¬ über, die aus den verschiednen Standen laut werden, wie ein oiroulus viele>8v.8, denn nur ganz vorübergehend vermag dnrch Zollschutz und überhaupt durch Beschränkung irgend welcher Art Hilfe zu entstehen. Was dem einen nützt, schadet dem andern, und alle Forderungen erscheinen wie der Ruf an den heiligen Florian: Verschon mein Haus, zünd' andre an! Hat man mit Hilfe von Gesetzen oder Verträgen, mit Staatsprämien oder mit Berkehrsverbesse- rnngen und -Erleichterungen die Klagen eines Produktionsgebiets, eines Standes oder eines Gewerbes beschwichtigt, sofort drängt sich so viel neue Konkurrenz heran, daß sich die Vorteile bald in Nachteile verwandeln. Und das geschieht um so mehr, wenn man sich lediglich oder hauptsächlich auf Staatshilfe verlassen hat und verläßt. Ist der Körner bau weniger einträglich als Kartoffel- und Zuckerrüben¬ bau, Branntweinbrennerei und Zuckerfabrikation, so giebt man zu deren Gunsten den Betrieb auf. Aber bald kommt die Kehrseite: die übergroße Nachahmung dieses Betriebswechsels, die Klagen der Konsumenten, die Finanzminister mit ihren Steuergesetzen, und wer „oben" war, ist bald wieder „unten." Ist auch eine Industrie nur mit Zuschüssen aufrecht zu erhalten gewesen, wie z. V. die Eisenindustrie um die Mitte der siebziger Jahre, gleich kommt mit dem Zollschntz eine Vergrößerung der Produktion; denn jeder will die gute Zeit so viel als möglich ausnutzen, und so verwandelt sich sehr schnell die gute Zeit wieder in eine schlechte. Ist in irgend einem Fach der gelehrten Berufe eine kurze Zeit Mangel an Bewerbern, sofort kehrt sich das Bild um, die raschere Anstellung, der zeitigere oder bessere Erwerb lockt zu viele Bewerber heran. Wie soll man gegen derartige Zustände auch nur auf kurze Zeit mit der Gesetzgebung helfen können! Führt man Beschränkungen, Ausschließungen ein, so ist man ungerecht gegen die Ausgeschlossenen, sucht man einem einzelnen Stande mit Staatsmitteln zu helfen, so ist man es ebenfalls, und man ruft die gleiche Forderung bei andern hervor. Und wer ist denn der Staat, mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/68>, abgerufen am 26.08.2024.