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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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ver erste Beste

wollte mich zu Bett legen. Ich bäte um Entschuldigung, beiß ich nicht zum
Abendbrot käme.

Sie fühlte sich in Wirklichkeit unwohl, es war nicht gelogen; nur daß
sie sich sonst deshalb nicht niedergelegt haben würde. Es war ihr elend und
beklommen zu Mute. Schnell entkleidete sie sich; ein paar mal schauderte
sie nervös zusammen, wie im Fieber.

Kaum lag sie im Bett, tief in die Kissen geduckt, da klopfte es, und die
Thür öffnete sich.

Ich darf doch, Gretchen? fragte Fritzens Stimme noch von draußen.

Margarete war heftig zusammengefahren.

Ja, sagte sie jetzt ganz leise.

Er kam herein und ging schnell auf ihr Bett zu.

Was sind das für Geschichten? fragte er erstaunt und besorgt. Was
fehlt dir, Kind? Er beugte sich über sie. Was fehlt dir so plötzlich? wieder¬
holte er, da sie nicht gleich antwortete.

Ich weiß nicht, murmelte sie, mir ist so elend zu Mute; ich denke, im
Bett wirds besser. Kümmere dich nicht um mich. Es ist ja nichts.

Darauf antwortete er nicht, sondern setzte sich auf deu Rand ihres Bettes.

Erlaube, sagte er einfach und streifte die fest heraufgezvgne Decke von
ihrer Schulter. Gieb mir einmal den Puls.

Mit der ruhigen Sachlichkeit des erfahrenen Laien faßte er ihr Hand¬
gelenk. Er hatte ja nicht umsonst drei Schwestern aufgezogen.

Fieber hast du nicht, sagte er nach einer Pause, legte auch noch die Hand
ans ihre Stirn. Hast du Kopfweh?

Sie hatte keins.

Bitte, zeig einmal die Zunge.

Sie gehorchte zögernd, verlegen. Sich dieser gleichmütigen Ruhe gegen¬
über nicht zu fügen, wäre albern gewesen.

Auch gut, bestätigte er. Halsweh hast du auch nicht? Schluckbeschwerden?

Nein.

Na dann, Kindchen, sagte er lächelnd, ist mein Latein zu Ende. Eigentlich
krank siehst du auch nicht aus; da wirds wohl nichts bedenkliches sein, was?
und morgen bist du wieder frisch?

Ja ja, murmelte sie.

Hast du Lust auf irgend etwas? Was es zum Abendbrot giebt, weißt
du wohl nicht?

Nein, antwortete sie errötend -- nein, sie, die Hausfrau, wußte es nicht.
Mamselling -- fetzte sie stammelnd hinzu.

Ja ja, Mamselling, das ist ein eifersüchtiger, alter Drache, was? Er
lächelte; und als sie nicht antwortete: soll ich sie dir schicken? Oder soll ich
ihr gleich ausrichten, was du zu essen haben willst?

Ich möchte gar nichts essen.

Hin, das ist wenig genug. Aber wie du willst. Friert dich? fragte
er, als sie leise zusammenschauderte; er legte ihr die Decke wieder fest um
die Schultern. Hast du warme Füße? Wenn ich nur wüßte, was dir
eigentlich fehlt, du armes kleines Küken.

Seine gute, mitleidige Stimme that ihr wohl und weh, und als er ihr
jetzt übers Haar strich, schloß sie die zitternden Augenlider. Die Thränen,
die sie niederzwingen wollte, drückten ihr die Kehle zu.


ver erste Beste

wollte mich zu Bett legen. Ich bäte um Entschuldigung, beiß ich nicht zum
Abendbrot käme.

Sie fühlte sich in Wirklichkeit unwohl, es war nicht gelogen; nur daß
sie sich sonst deshalb nicht niedergelegt haben würde. Es war ihr elend und
beklommen zu Mute. Schnell entkleidete sie sich; ein paar mal schauderte
sie nervös zusammen, wie im Fieber.

Kaum lag sie im Bett, tief in die Kissen geduckt, da klopfte es, und die
Thür öffnete sich.

Ich darf doch, Gretchen? fragte Fritzens Stimme noch von draußen.

Margarete war heftig zusammengefahren.

Ja, sagte sie jetzt ganz leise.

Er kam herein und ging schnell auf ihr Bett zu.

Was sind das für Geschichten? fragte er erstaunt und besorgt. Was
fehlt dir, Kind? Er beugte sich über sie. Was fehlt dir so plötzlich? wieder¬
holte er, da sie nicht gleich antwortete.

Ich weiß nicht, murmelte sie, mir ist so elend zu Mute; ich denke, im
Bett wirds besser. Kümmere dich nicht um mich. Es ist ja nichts.

Darauf antwortete er nicht, sondern setzte sich auf deu Rand ihres Bettes.

Erlaube, sagte er einfach und streifte die fest heraufgezvgne Decke von
ihrer Schulter. Gieb mir einmal den Puls.

Mit der ruhigen Sachlichkeit des erfahrenen Laien faßte er ihr Hand¬
gelenk. Er hatte ja nicht umsonst drei Schwestern aufgezogen.

Fieber hast du nicht, sagte er nach einer Pause, legte auch noch die Hand
ans ihre Stirn. Hast du Kopfweh?

Sie hatte keins.

Bitte, zeig einmal die Zunge.

Sie gehorchte zögernd, verlegen. Sich dieser gleichmütigen Ruhe gegen¬
über nicht zu fügen, wäre albern gewesen.

Auch gut, bestätigte er. Halsweh hast du auch nicht? Schluckbeschwerden?

Nein.

Na dann, Kindchen, sagte er lächelnd, ist mein Latein zu Ende. Eigentlich
krank siehst du auch nicht aus; da wirds wohl nichts bedenkliches sein, was?
und morgen bist du wieder frisch?

Ja ja, murmelte sie.

Hast du Lust auf irgend etwas? Was es zum Abendbrot giebt, weißt
du wohl nicht?

Nein, antwortete sie errötend — nein, sie, die Hausfrau, wußte es nicht.
Mamselling — fetzte sie stammelnd hinzu.

Ja ja, Mamselling, das ist ein eifersüchtiger, alter Drache, was? Er
lächelte; und als sie nicht antwortete: soll ich sie dir schicken? Oder soll ich
ihr gleich ausrichten, was du zu essen haben willst?

Ich möchte gar nichts essen.

Hin, das ist wenig genug. Aber wie du willst. Friert dich? fragte
er, als sie leise zusammenschauderte; er legte ihr die Decke wieder fest um
die Schultern. Hast du warme Füße? Wenn ich nur wüßte, was dir
eigentlich fehlt, du armes kleines Küken.

Seine gute, mitleidige Stimme that ihr wohl und weh, und als er ihr
jetzt übers Haar strich, schloß sie die zitternden Augenlider. Die Thränen,
die sie niederzwingen wollte, drückten ihr die Kehle zu.


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[0627] ver erste Beste wollte mich zu Bett legen. Ich bäte um Entschuldigung, beiß ich nicht zum Abendbrot käme. Sie fühlte sich in Wirklichkeit unwohl, es war nicht gelogen; nur daß sie sich sonst deshalb nicht niedergelegt haben würde. Es war ihr elend und beklommen zu Mute. Schnell entkleidete sie sich; ein paar mal schauderte sie nervös zusammen, wie im Fieber. Kaum lag sie im Bett, tief in die Kissen geduckt, da klopfte es, und die Thür öffnete sich. Ich darf doch, Gretchen? fragte Fritzens Stimme noch von draußen. Margarete war heftig zusammengefahren. Ja, sagte sie jetzt ganz leise. Er kam herein und ging schnell auf ihr Bett zu. Was sind das für Geschichten? fragte er erstaunt und besorgt. Was fehlt dir, Kind? Er beugte sich über sie. Was fehlt dir so plötzlich? wieder¬ holte er, da sie nicht gleich antwortete. Ich weiß nicht, murmelte sie, mir ist so elend zu Mute; ich denke, im Bett wirds besser. Kümmere dich nicht um mich. Es ist ja nichts. Darauf antwortete er nicht, sondern setzte sich auf deu Rand ihres Bettes. Erlaube, sagte er einfach und streifte die fest heraufgezvgne Decke von ihrer Schulter. Gieb mir einmal den Puls. Mit der ruhigen Sachlichkeit des erfahrenen Laien faßte er ihr Hand¬ gelenk. Er hatte ja nicht umsonst drei Schwestern aufgezogen. Fieber hast du nicht, sagte er nach einer Pause, legte auch noch die Hand ans ihre Stirn. Hast du Kopfweh? Sie hatte keins. Bitte, zeig einmal die Zunge. Sie gehorchte zögernd, verlegen. Sich dieser gleichmütigen Ruhe gegen¬ über nicht zu fügen, wäre albern gewesen. Auch gut, bestätigte er. Halsweh hast du auch nicht? Schluckbeschwerden? Nein. Na dann, Kindchen, sagte er lächelnd, ist mein Latein zu Ende. Eigentlich krank siehst du auch nicht aus; da wirds wohl nichts bedenkliches sein, was? und morgen bist du wieder frisch? Ja ja, murmelte sie. Hast du Lust auf irgend etwas? Was es zum Abendbrot giebt, weißt du wohl nicht? Nein, antwortete sie errötend — nein, sie, die Hausfrau, wußte es nicht. Mamselling — fetzte sie stammelnd hinzu. Ja ja, Mamselling, das ist ein eifersüchtiger, alter Drache, was? Er lächelte; und als sie nicht antwortete: soll ich sie dir schicken? Oder soll ich ihr gleich ausrichten, was du zu essen haben willst? Ich möchte gar nichts essen. Hin, das ist wenig genug. Aber wie du willst. Friert dich? fragte er, als sie leise zusammenschauderte; er legte ihr die Decke wieder fest um die Schultern. Hast du warme Füße? Wenn ich nur wüßte, was dir eigentlich fehlt, du armes kleines Küken. Seine gute, mitleidige Stimme that ihr wohl und weh, und als er ihr jetzt übers Haar strich, schloß sie die zitternden Augenlider. Die Thränen, die sie niederzwingen wollte, drückten ihr die Kehle zu.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/627>, abgerufen am 25.08.2024.