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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

schcift fortdauerte, obgleich Menzel streng ultramontcm und bigott fromm war,
fetzte mich in Erstaunen. Es fügte sich gut, daß Menzel einige Wochen vor
Sedlnitzkhs Übertritt zur evangelischen Kirche*) starb; als ich diesem den Tod
seines alten Freundes gemeldet hatte, teilte er mir in seinem Antwortschreiben
seinen Entschluß mit, den er in jenen Tagen, am 12. April 1863, ausführte.

Von seinen Erlebnissen am Dome und von seinen Reisen mit jenen beiden
Herren wußte Menzel viel zu erzählen. Von den Tagesneuigkeiten und Ge¬
meindeangelegenheiten kam das Gespräch meist bald auf Gegenstände von all¬
gemeinem Interesse, und namentlich wurde viel politistrt. Ich vertrat, wie
sich von selbst versteht, die Freiheit, er die Autorität, nur von der Autorität
der preußischen Regierung, der er gram war, wollte er nichts wissen. Den
König Friedrich Wilhelm IV., der damals gerade im Sterben lag, ließ er
natürlich gelten. Ihm fühlte er sich auch noch persönlich zu Dank verpflichtet,
und ich mit, denn das köstliche Obst in unserm Garten war ein Geschenk von
ihm; er hatte aus den Gärten von Sanssouci eine Menge Edelreiher an evan¬
gelische und katholische Pfarrer und Schullehrer geschickt. Auch an Interesse
für Wissenschaft und Litteratur fehlte es Menzel nicht, nur hatte er keine Zeit
mehr dafür.

Des Sommers wurden die Mahlzeiten im Gartenhause eingenommen.
Außer uns beiden aßen noch der zweite Lehrer und die Frau Schwarzer mit.
Das war die mittellose Witwe eines alten Freundes des Pfarrers, der er ein
Stübchen eingeräumt hatte. Menzel saß auf der einen Seitenhaut, der Lehrer
auf der gegenüberliegenden, Frau Schwarzer und ich an der Hinterwand.
Unter dem Sitz der Frau Schwarzer befand sich ein Hummelnest, das viele
Unterbrechungen der Mahlzeit und der Politik verursachte. Menzel war näm¬
lich ein großer Tierfreund. Kam nun eine Hummel zu Neste geflogen, so
verfolgte er, mit ärgerlichen Seitenblicken auf die Frau Schwarzer, aufmerksam
ihren Flug und sagte endlich nach einigem Husten und Räuspern: Frau
Schwarzer, stehen Sie doch auf, daß die Hummel ins Nest kann! Der dicke
Schulmeister mußte also heraus, um der Frau Platz zu machen. Aber wäh¬
rend beide stehen, kehrt die Hummel wieder um und umkreist die Schüssel
auf dem Tische. Frau Schwarzer macht Miene, sich wieder zu setzen. -- So
warten Sie doch, bis die Hummel drin ist! -- Ach, der dummen Hummel
wegen steh ich nicht länger. -- Aber so warten Sie doch noch ein wenig!
Sie bringt ihren Kindern das Mittagessen; sie will bloß noch den guten
Bratengeruch mitnehmen. -- Förmliche Gewissensbisse verursachte ihm der
Interessenkonflikt zwischen den Katzen und den Sperlingen. Mimerle, die Lieb¬
lingskatze, hatte er für sein Leben gern bei Tische, um ihr ein paar gute Bissen



*) "Nicht zur lutherischen, nicht zur reformirten Konfession, noch zu der Brüdergemeinde,
sondern zur evangelischen Kirche, die ihm Realität und Wahrheit War," schreibt der
Herausgeber seiner Selbstbiographie Seite 127.
Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

schcift fortdauerte, obgleich Menzel streng ultramontcm und bigott fromm war,
fetzte mich in Erstaunen. Es fügte sich gut, daß Menzel einige Wochen vor
Sedlnitzkhs Übertritt zur evangelischen Kirche*) starb; als ich diesem den Tod
seines alten Freundes gemeldet hatte, teilte er mir in seinem Antwortschreiben
seinen Entschluß mit, den er in jenen Tagen, am 12. April 1863, ausführte.

Von seinen Erlebnissen am Dome und von seinen Reisen mit jenen beiden
Herren wußte Menzel viel zu erzählen. Von den Tagesneuigkeiten und Ge¬
meindeangelegenheiten kam das Gespräch meist bald auf Gegenstände von all¬
gemeinem Interesse, und namentlich wurde viel politistrt. Ich vertrat, wie
sich von selbst versteht, die Freiheit, er die Autorität, nur von der Autorität
der preußischen Regierung, der er gram war, wollte er nichts wissen. Den
König Friedrich Wilhelm IV., der damals gerade im Sterben lag, ließ er
natürlich gelten. Ihm fühlte er sich auch noch persönlich zu Dank verpflichtet,
und ich mit, denn das köstliche Obst in unserm Garten war ein Geschenk von
ihm; er hatte aus den Gärten von Sanssouci eine Menge Edelreiher an evan¬
gelische und katholische Pfarrer und Schullehrer geschickt. Auch an Interesse
für Wissenschaft und Litteratur fehlte es Menzel nicht, nur hatte er keine Zeit
mehr dafür.

Des Sommers wurden die Mahlzeiten im Gartenhause eingenommen.
Außer uns beiden aßen noch der zweite Lehrer und die Frau Schwarzer mit.
Das war die mittellose Witwe eines alten Freundes des Pfarrers, der er ein
Stübchen eingeräumt hatte. Menzel saß auf der einen Seitenhaut, der Lehrer
auf der gegenüberliegenden, Frau Schwarzer und ich an der Hinterwand.
Unter dem Sitz der Frau Schwarzer befand sich ein Hummelnest, das viele
Unterbrechungen der Mahlzeit und der Politik verursachte. Menzel war näm¬
lich ein großer Tierfreund. Kam nun eine Hummel zu Neste geflogen, so
verfolgte er, mit ärgerlichen Seitenblicken auf die Frau Schwarzer, aufmerksam
ihren Flug und sagte endlich nach einigem Husten und Räuspern: Frau
Schwarzer, stehen Sie doch auf, daß die Hummel ins Nest kann! Der dicke
Schulmeister mußte also heraus, um der Frau Platz zu machen. Aber wäh¬
rend beide stehen, kehrt die Hummel wieder um und umkreist die Schüssel
auf dem Tische. Frau Schwarzer macht Miene, sich wieder zu setzen. — So
warten Sie doch, bis die Hummel drin ist! — Ach, der dummen Hummel
wegen steh ich nicht länger. — Aber so warten Sie doch noch ein wenig!
Sie bringt ihren Kindern das Mittagessen; sie will bloß noch den guten
Bratengeruch mitnehmen. — Förmliche Gewissensbisse verursachte ihm der
Interessenkonflikt zwischen den Katzen und den Sperlingen. Mimerle, die Lieb¬
lingskatze, hatte er für sein Leben gern bei Tische, um ihr ein paar gute Bissen



*) „Nicht zur lutherischen, nicht zur reformirten Konfession, noch zu der Brüdergemeinde,
sondern zur evangelischen Kirche, die ihm Realität und Wahrheit War," schreibt der
Herausgeber seiner Selbstbiographie Seite 127.
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[0619] Wandlungen des Ich im Zeitenstrome schcift fortdauerte, obgleich Menzel streng ultramontcm und bigott fromm war, fetzte mich in Erstaunen. Es fügte sich gut, daß Menzel einige Wochen vor Sedlnitzkhs Übertritt zur evangelischen Kirche*) starb; als ich diesem den Tod seines alten Freundes gemeldet hatte, teilte er mir in seinem Antwortschreiben seinen Entschluß mit, den er in jenen Tagen, am 12. April 1863, ausführte. Von seinen Erlebnissen am Dome und von seinen Reisen mit jenen beiden Herren wußte Menzel viel zu erzählen. Von den Tagesneuigkeiten und Ge¬ meindeangelegenheiten kam das Gespräch meist bald auf Gegenstände von all¬ gemeinem Interesse, und namentlich wurde viel politistrt. Ich vertrat, wie sich von selbst versteht, die Freiheit, er die Autorität, nur von der Autorität der preußischen Regierung, der er gram war, wollte er nichts wissen. Den König Friedrich Wilhelm IV., der damals gerade im Sterben lag, ließ er natürlich gelten. Ihm fühlte er sich auch noch persönlich zu Dank verpflichtet, und ich mit, denn das köstliche Obst in unserm Garten war ein Geschenk von ihm; er hatte aus den Gärten von Sanssouci eine Menge Edelreiher an evan¬ gelische und katholische Pfarrer und Schullehrer geschickt. Auch an Interesse für Wissenschaft und Litteratur fehlte es Menzel nicht, nur hatte er keine Zeit mehr dafür. Des Sommers wurden die Mahlzeiten im Gartenhause eingenommen. Außer uns beiden aßen noch der zweite Lehrer und die Frau Schwarzer mit. Das war die mittellose Witwe eines alten Freundes des Pfarrers, der er ein Stübchen eingeräumt hatte. Menzel saß auf der einen Seitenhaut, der Lehrer auf der gegenüberliegenden, Frau Schwarzer und ich an der Hinterwand. Unter dem Sitz der Frau Schwarzer befand sich ein Hummelnest, das viele Unterbrechungen der Mahlzeit und der Politik verursachte. Menzel war näm¬ lich ein großer Tierfreund. Kam nun eine Hummel zu Neste geflogen, so verfolgte er, mit ärgerlichen Seitenblicken auf die Frau Schwarzer, aufmerksam ihren Flug und sagte endlich nach einigem Husten und Räuspern: Frau Schwarzer, stehen Sie doch auf, daß die Hummel ins Nest kann! Der dicke Schulmeister mußte also heraus, um der Frau Platz zu machen. Aber wäh¬ rend beide stehen, kehrt die Hummel wieder um und umkreist die Schüssel auf dem Tische. Frau Schwarzer macht Miene, sich wieder zu setzen. — So warten Sie doch, bis die Hummel drin ist! — Ach, der dummen Hummel wegen steh ich nicht länger. — Aber so warten Sie doch noch ein wenig! Sie bringt ihren Kindern das Mittagessen; sie will bloß noch den guten Bratengeruch mitnehmen. — Förmliche Gewissensbisse verursachte ihm der Interessenkonflikt zwischen den Katzen und den Sperlingen. Mimerle, die Lieb¬ lingskatze, hatte er für sein Leben gern bei Tische, um ihr ein paar gute Bissen *) „Nicht zur lutherischen, nicht zur reformirten Konfession, noch zu der Brüdergemeinde, sondern zur evangelischen Kirche, die ihm Realität und Wahrheit War," schreibt der Herausgeber seiner Selbstbiographie Seite 127.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/619>, abgerufen am 26.08.2024.