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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Italienische "Andrücke

kunstfrohen Volke wie dem italienischen fast allein genügend sein mußte, sie
als eine fremde, störende Macht erscheinen zu lassen, und sicher ein klarer Be¬
weis dafür ist, daß ihre Herrschaft hier immer nur stoßweise wirkte und niemals
Wurzel faßte, trotz aller Blutströme und aller Kraftanstrengung. Wie ganz
anders hat da doch selbst das kurzlebige Königtum der Ostgoten gehandelt,
das in wenigen Jahrzehnten das stille Ravenna mit seinen Denkmälern er¬
füllt hat!

Der Gegensatz wird besonders augenfällig, wenn man damit die junge
nationale Monarchie des Hauses Savoyen vergleicht. Denn über das antike
und das päpstliche Rom schiebt sich seit fünfundzwanzig Jahren eine dritte
Schicht, das königliche, das italienische Rom. Es hat mit breiten geraden
Prachtstraßen, stattlichen Palästen und weiten Plätzen Besitz ergriffen von
den mehr als ein Jahrtausend hindurch verödeten Hügeln im Nordosten, es
durchbricht hie und da das Gassengewinkel der mittelalterlichen Stadt, es be¬
deckt leider auch mit einförmigen Mietkasernen die prächtigen alten Parkgründe
der Villa Ludovisi, die einst malerischen Prati ti Castello bei der Engelsburg,
die früher so stille Umgebung des Monte Testciccio und des Kolosseums, es
faßt mit gewaltigen Mauern den Tiberfluß ein, um den alten Schadenstifter
zu zähmen, an dessen verwüstende Thätigkeit noch manche Überschwemmungs¬
marke bis ans Pantheon hin erinnert, und überspannt ihn mit neuen Stein-
und Eisenbrücken. Unzweifelhaft ist Rom dadurch sehr viel gesünder, luftiger
und reinlicher geworden, aber an poetisch-historischem Reiz hat es schon sehr
viel eingebüßt, und so wenig man es den Römern verargen kann, daß sie ihre
Stadt modernisiren, so weit es für die wirklichen Bedürfnisse notwendig ist,
so sehr würde doch ein Zuviel die Anziehungskraft mindern und Rom des
Eigentümlichsten, seiner Eigenschaft als eines riesigen historischen Denkmals
von Jahrtausenden berauben.

Wenn sich schop Rom von den mittel- und norditalienischen Städten
wesentlich unterscheidet, so tritt Neapel zu beiden in sehr scharfen Gegensatz.
Von den Denkmälern städtischer Selbstherrlichkeit ist auf diesem altmonarchischen
Boden natürlich nichts vorhanden: aus dem Mittelalter stammen nur ein paar
Kirchen und die finstern Zwingburgen, die das unruhige Volk im Zaume halten
sollten; das übrige ist mehr oder weniger modern. So ist Neapel als Stadt,
mit Rom oder Florenz verglichen, eigentlich uninteressant, aber immerhin änßerst
charakteristisch durch seine Bauweise, die schluchtenartig engen, oft steilen
Gassen, und den unglaublichen Schmutz. Erst die neueste Zeit hat begonnen,
durch prachtvolle Glasgallerien. schöne Straßen am Meere, große Durchbrüche
und einen ganz neuen Stadtteil oben auf dem Vomero beim Kastell San Elmo
dies alte Stadtbild umzugestalten. Auch die kleinern Orte rings um den Golf
sind kunstgeschichtlich nicht besonders interessant. Von der antiken Herrlichkeit
des Golfes von Bajü, der einst so glänzenden altrömischen Badestadt, die an-


Italienische «Andrücke

kunstfrohen Volke wie dem italienischen fast allein genügend sein mußte, sie
als eine fremde, störende Macht erscheinen zu lassen, und sicher ein klarer Be¬
weis dafür ist, daß ihre Herrschaft hier immer nur stoßweise wirkte und niemals
Wurzel faßte, trotz aller Blutströme und aller Kraftanstrengung. Wie ganz
anders hat da doch selbst das kurzlebige Königtum der Ostgoten gehandelt,
das in wenigen Jahrzehnten das stille Ravenna mit seinen Denkmälern er¬
füllt hat!

Der Gegensatz wird besonders augenfällig, wenn man damit die junge
nationale Monarchie des Hauses Savoyen vergleicht. Denn über das antike
und das päpstliche Rom schiebt sich seit fünfundzwanzig Jahren eine dritte
Schicht, das königliche, das italienische Rom. Es hat mit breiten geraden
Prachtstraßen, stattlichen Palästen und weiten Plätzen Besitz ergriffen von
den mehr als ein Jahrtausend hindurch verödeten Hügeln im Nordosten, es
durchbricht hie und da das Gassengewinkel der mittelalterlichen Stadt, es be¬
deckt leider auch mit einförmigen Mietkasernen die prächtigen alten Parkgründe
der Villa Ludovisi, die einst malerischen Prati ti Castello bei der Engelsburg,
die früher so stille Umgebung des Monte Testciccio und des Kolosseums, es
faßt mit gewaltigen Mauern den Tiberfluß ein, um den alten Schadenstifter
zu zähmen, an dessen verwüstende Thätigkeit noch manche Überschwemmungs¬
marke bis ans Pantheon hin erinnert, und überspannt ihn mit neuen Stein-
und Eisenbrücken. Unzweifelhaft ist Rom dadurch sehr viel gesünder, luftiger
und reinlicher geworden, aber an poetisch-historischem Reiz hat es schon sehr
viel eingebüßt, und so wenig man es den Römern verargen kann, daß sie ihre
Stadt modernisiren, so weit es für die wirklichen Bedürfnisse notwendig ist,
so sehr würde doch ein Zuviel die Anziehungskraft mindern und Rom des
Eigentümlichsten, seiner Eigenschaft als eines riesigen historischen Denkmals
von Jahrtausenden berauben.

Wenn sich schop Rom von den mittel- und norditalienischen Städten
wesentlich unterscheidet, so tritt Neapel zu beiden in sehr scharfen Gegensatz.
Von den Denkmälern städtischer Selbstherrlichkeit ist auf diesem altmonarchischen
Boden natürlich nichts vorhanden: aus dem Mittelalter stammen nur ein paar
Kirchen und die finstern Zwingburgen, die das unruhige Volk im Zaume halten
sollten; das übrige ist mehr oder weniger modern. So ist Neapel als Stadt,
mit Rom oder Florenz verglichen, eigentlich uninteressant, aber immerhin änßerst
charakteristisch durch seine Bauweise, die schluchtenartig engen, oft steilen
Gassen, und den unglaublichen Schmutz. Erst die neueste Zeit hat begonnen,
durch prachtvolle Glasgallerien. schöne Straßen am Meere, große Durchbrüche
und einen ganz neuen Stadtteil oben auf dem Vomero beim Kastell San Elmo
dies alte Stadtbild umzugestalten. Auch die kleinern Orte rings um den Golf
sind kunstgeschichtlich nicht besonders interessant. Von der antiken Herrlichkeit
des Golfes von Bajü, der einst so glänzenden altrömischen Badestadt, die an-


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[0615] Italienische «Andrücke kunstfrohen Volke wie dem italienischen fast allein genügend sein mußte, sie als eine fremde, störende Macht erscheinen zu lassen, und sicher ein klarer Be¬ weis dafür ist, daß ihre Herrschaft hier immer nur stoßweise wirkte und niemals Wurzel faßte, trotz aller Blutströme und aller Kraftanstrengung. Wie ganz anders hat da doch selbst das kurzlebige Königtum der Ostgoten gehandelt, das in wenigen Jahrzehnten das stille Ravenna mit seinen Denkmälern er¬ füllt hat! Der Gegensatz wird besonders augenfällig, wenn man damit die junge nationale Monarchie des Hauses Savoyen vergleicht. Denn über das antike und das päpstliche Rom schiebt sich seit fünfundzwanzig Jahren eine dritte Schicht, das königliche, das italienische Rom. Es hat mit breiten geraden Prachtstraßen, stattlichen Palästen und weiten Plätzen Besitz ergriffen von den mehr als ein Jahrtausend hindurch verödeten Hügeln im Nordosten, es durchbricht hie und da das Gassengewinkel der mittelalterlichen Stadt, es be¬ deckt leider auch mit einförmigen Mietkasernen die prächtigen alten Parkgründe der Villa Ludovisi, die einst malerischen Prati ti Castello bei der Engelsburg, die früher so stille Umgebung des Monte Testciccio und des Kolosseums, es faßt mit gewaltigen Mauern den Tiberfluß ein, um den alten Schadenstifter zu zähmen, an dessen verwüstende Thätigkeit noch manche Überschwemmungs¬ marke bis ans Pantheon hin erinnert, und überspannt ihn mit neuen Stein- und Eisenbrücken. Unzweifelhaft ist Rom dadurch sehr viel gesünder, luftiger und reinlicher geworden, aber an poetisch-historischem Reiz hat es schon sehr viel eingebüßt, und so wenig man es den Römern verargen kann, daß sie ihre Stadt modernisiren, so weit es für die wirklichen Bedürfnisse notwendig ist, so sehr würde doch ein Zuviel die Anziehungskraft mindern und Rom des Eigentümlichsten, seiner Eigenschaft als eines riesigen historischen Denkmals von Jahrtausenden berauben. Wenn sich schop Rom von den mittel- und norditalienischen Städten wesentlich unterscheidet, so tritt Neapel zu beiden in sehr scharfen Gegensatz. Von den Denkmälern städtischer Selbstherrlichkeit ist auf diesem altmonarchischen Boden natürlich nichts vorhanden: aus dem Mittelalter stammen nur ein paar Kirchen und die finstern Zwingburgen, die das unruhige Volk im Zaume halten sollten; das übrige ist mehr oder weniger modern. So ist Neapel als Stadt, mit Rom oder Florenz verglichen, eigentlich uninteressant, aber immerhin änßerst charakteristisch durch seine Bauweise, die schluchtenartig engen, oft steilen Gassen, und den unglaublichen Schmutz. Erst die neueste Zeit hat begonnen, durch prachtvolle Glasgallerien. schöne Straßen am Meere, große Durchbrüche und einen ganz neuen Stadtteil oben auf dem Vomero beim Kastell San Elmo dies alte Stadtbild umzugestalten. Auch die kleinern Orte rings um den Golf sind kunstgeschichtlich nicht besonders interessant. Von der antiken Herrlichkeit des Golfes von Bajü, der einst so glänzenden altrömischen Badestadt, die an-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/615>, abgerufen am 26.08.2024.