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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Italienische Gindrücke

Rom nicht sowohl eine Stadt, als eine ganze Landschaft ist. Die wissenschaft¬
lich so wichtigen Ausgrabungen auf dem Forum haben jetzt diesen Charakter
dort völlig zerstört -- der alte Campo vaccino mit seinen großhörnigen Weißen
Rindern, wie ihn Goethe sah, war jedenfalls viel malerischer --, und man
möchte den barbarischen Wunsch hegen, daß auf dem Palatin nicht weiter ge¬
graben werde, damit nicht an Stelle des Restes der farnesischen Garten und
der Villa Mills noch mehr formlose Ziegeltrümmer treten.

So hat sich das antike mit dem christlich-päpstlichen, vor allem dem früh¬
mittelalterlichen Rom zu einer großen Einheit verschmolzen. Von der Gotik
ist es fast ganz unberührt geblieben, von gotischen Kirchen und Stadtbürger
hat es nichts oder fast nichts, denn in diesem Stile brachte das stolze Bürger¬
tum des ausgehenden Mittelalters seinen künstlerischen Trieb zum Ausdruck,
und ein solches gab es in Rom nicht. Selbst die Frührenaissance ist daher
in der "ewigen Stadt" nur schwach vertreten. Ihre neue Herrlichkeit beginnt
erst mit der Hochrenaissance und läuft aus im Barock, denn in diesen Bau-
formen fand der neue Machtaufschwung des Papsttums die ihm entsprechenden
prunkvollen Mittel. Doch das Altertum verlor seine lebendige Bedeutung für
die Gegenwart nicht, sondern steigerte sie nur noch. Noch immer dauerte die
unmittelbare Verwendung antiker Baureste fort. In den riesigen Diokletians¬
thermen baute Michelangelo den schönen Kreuzgang des Kartäuserklosters, und
aus dem Hauptsnale der Thermen gestaltete er die gewaltige Kirche Santa Maria
degli Angeli, während sich noch später ein kleinerer Kuppelsaal in die Kirche
San Bernardo, ein Abbild des Pantheon, verwandelte. Aber vor allem
wirkten römische Kaiserbauten jetzt vorbildlich. Brcnnante wollte das Pan¬
theon auf die Wölbungen der Konstantinsbasilika setzen und entwarf darnach
den Plan zur Peterskirche, das Vorbild für unzählige andre. Seitdem be¬
herrschen die zahlreichen Kuppelkirchen neben den schlanken romanischen Glocken-
türmen das Stadtbild Roms. Aus denselben Zeiten stammen die heitern Villen
und Paläste des römischen Adels, die mit ihren jetzt oft mit Springbrunnen
und eleganten Gartenanlagen geschmückten Süulenhöfen einigermaßen an das
antike römische Haus erinnern, weil sie wie dies die Gemächer um einen
innern Mittelpunkt gruppiren und nach aristokratischer Weise von der Außen¬
welt abschließen, und nicht minder die großartigen Springbrunnen, deren
weithin hörbares Rauschen und quellende Frische ein Stück belebender und er¬
quickender Natur in die Steinmassen der Großstadt bringen. Zahllose Jnschrift-
tafeln verkünden überall die Päpste als Bauherren, als würdige Nachfolger
der römischen Cäsaren, und leicht mögen ihre Prachtbauten denen der Kaiser
mindestens gleichstehen. Auf den Deutschen macht es dabei einen seltsamen
und fast wehmütigen Eindruck, daß an die deutschen Kaiser, die ein Jahr¬
tausend lang entweder wirklich über Rom geboten oder wenigstens nach ihm
den Titel führten, nicht ein einziges Bauwerk erinnert, was in einem so


Italienische Gindrücke

Rom nicht sowohl eine Stadt, als eine ganze Landschaft ist. Die wissenschaft¬
lich so wichtigen Ausgrabungen auf dem Forum haben jetzt diesen Charakter
dort völlig zerstört — der alte Campo vaccino mit seinen großhörnigen Weißen
Rindern, wie ihn Goethe sah, war jedenfalls viel malerischer —, und man
möchte den barbarischen Wunsch hegen, daß auf dem Palatin nicht weiter ge¬
graben werde, damit nicht an Stelle des Restes der farnesischen Garten und
der Villa Mills noch mehr formlose Ziegeltrümmer treten.

So hat sich das antike mit dem christlich-päpstlichen, vor allem dem früh¬
mittelalterlichen Rom zu einer großen Einheit verschmolzen. Von der Gotik
ist es fast ganz unberührt geblieben, von gotischen Kirchen und Stadtbürger
hat es nichts oder fast nichts, denn in diesem Stile brachte das stolze Bürger¬
tum des ausgehenden Mittelalters seinen künstlerischen Trieb zum Ausdruck,
und ein solches gab es in Rom nicht. Selbst die Frührenaissance ist daher
in der „ewigen Stadt" nur schwach vertreten. Ihre neue Herrlichkeit beginnt
erst mit der Hochrenaissance und läuft aus im Barock, denn in diesen Bau-
formen fand der neue Machtaufschwung des Papsttums die ihm entsprechenden
prunkvollen Mittel. Doch das Altertum verlor seine lebendige Bedeutung für
die Gegenwart nicht, sondern steigerte sie nur noch. Noch immer dauerte die
unmittelbare Verwendung antiker Baureste fort. In den riesigen Diokletians¬
thermen baute Michelangelo den schönen Kreuzgang des Kartäuserklosters, und
aus dem Hauptsnale der Thermen gestaltete er die gewaltige Kirche Santa Maria
degli Angeli, während sich noch später ein kleinerer Kuppelsaal in die Kirche
San Bernardo, ein Abbild des Pantheon, verwandelte. Aber vor allem
wirkten römische Kaiserbauten jetzt vorbildlich. Brcnnante wollte das Pan¬
theon auf die Wölbungen der Konstantinsbasilika setzen und entwarf darnach
den Plan zur Peterskirche, das Vorbild für unzählige andre. Seitdem be¬
herrschen die zahlreichen Kuppelkirchen neben den schlanken romanischen Glocken-
türmen das Stadtbild Roms. Aus denselben Zeiten stammen die heitern Villen
und Paläste des römischen Adels, die mit ihren jetzt oft mit Springbrunnen
und eleganten Gartenanlagen geschmückten Süulenhöfen einigermaßen an das
antike römische Haus erinnern, weil sie wie dies die Gemächer um einen
innern Mittelpunkt gruppiren und nach aristokratischer Weise von der Außen¬
welt abschließen, und nicht minder die großartigen Springbrunnen, deren
weithin hörbares Rauschen und quellende Frische ein Stück belebender und er¬
quickender Natur in die Steinmassen der Großstadt bringen. Zahllose Jnschrift-
tafeln verkünden überall die Päpste als Bauherren, als würdige Nachfolger
der römischen Cäsaren, und leicht mögen ihre Prachtbauten denen der Kaiser
mindestens gleichstehen. Auf den Deutschen macht es dabei einen seltsamen
und fast wehmütigen Eindruck, daß an die deutschen Kaiser, die ein Jahr¬
tausend lang entweder wirklich über Rom geboten oder wenigstens nach ihm
den Titel führten, nicht ein einziges Bauwerk erinnert, was in einem so


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[0614] Italienische Gindrücke Rom nicht sowohl eine Stadt, als eine ganze Landschaft ist. Die wissenschaft¬ lich so wichtigen Ausgrabungen auf dem Forum haben jetzt diesen Charakter dort völlig zerstört — der alte Campo vaccino mit seinen großhörnigen Weißen Rindern, wie ihn Goethe sah, war jedenfalls viel malerischer —, und man möchte den barbarischen Wunsch hegen, daß auf dem Palatin nicht weiter ge¬ graben werde, damit nicht an Stelle des Restes der farnesischen Garten und der Villa Mills noch mehr formlose Ziegeltrümmer treten. So hat sich das antike mit dem christlich-päpstlichen, vor allem dem früh¬ mittelalterlichen Rom zu einer großen Einheit verschmolzen. Von der Gotik ist es fast ganz unberührt geblieben, von gotischen Kirchen und Stadtbürger hat es nichts oder fast nichts, denn in diesem Stile brachte das stolze Bürger¬ tum des ausgehenden Mittelalters seinen künstlerischen Trieb zum Ausdruck, und ein solches gab es in Rom nicht. Selbst die Frührenaissance ist daher in der „ewigen Stadt" nur schwach vertreten. Ihre neue Herrlichkeit beginnt erst mit der Hochrenaissance und läuft aus im Barock, denn in diesen Bau- formen fand der neue Machtaufschwung des Papsttums die ihm entsprechenden prunkvollen Mittel. Doch das Altertum verlor seine lebendige Bedeutung für die Gegenwart nicht, sondern steigerte sie nur noch. Noch immer dauerte die unmittelbare Verwendung antiker Baureste fort. In den riesigen Diokletians¬ thermen baute Michelangelo den schönen Kreuzgang des Kartäuserklosters, und aus dem Hauptsnale der Thermen gestaltete er die gewaltige Kirche Santa Maria degli Angeli, während sich noch später ein kleinerer Kuppelsaal in die Kirche San Bernardo, ein Abbild des Pantheon, verwandelte. Aber vor allem wirkten römische Kaiserbauten jetzt vorbildlich. Brcnnante wollte das Pan¬ theon auf die Wölbungen der Konstantinsbasilika setzen und entwarf darnach den Plan zur Peterskirche, das Vorbild für unzählige andre. Seitdem be¬ herrschen die zahlreichen Kuppelkirchen neben den schlanken romanischen Glocken- türmen das Stadtbild Roms. Aus denselben Zeiten stammen die heitern Villen und Paläste des römischen Adels, die mit ihren jetzt oft mit Springbrunnen und eleganten Gartenanlagen geschmückten Süulenhöfen einigermaßen an das antike römische Haus erinnern, weil sie wie dies die Gemächer um einen innern Mittelpunkt gruppiren und nach aristokratischer Weise von der Außen¬ welt abschließen, und nicht minder die großartigen Springbrunnen, deren weithin hörbares Rauschen und quellende Frische ein Stück belebender und er¬ quickender Natur in die Steinmassen der Großstadt bringen. Zahllose Jnschrift- tafeln verkünden überall die Päpste als Bauherren, als würdige Nachfolger der römischen Cäsaren, und leicht mögen ihre Prachtbauten denen der Kaiser mindestens gleichstehen. Auf den Deutschen macht es dabei einen seltsamen und fast wehmütigen Eindruck, daß an die deutschen Kaiser, die ein Jahr¬ tausend lang entweder wirklich über Rom geboten oder wenigstens nach ihm den Titel führten, nicht ein einziges Bauwerk erinnert, was in einem so

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/614>, abgerufen am 26.08.2024.