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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Italienische Lindrücke

Halle) u. a. in. Andre Kirchen stehen ans der Stelle antiker Tempel, wie Ara-
coeli auf dem Kapitol die Stätte des Jupitertempels einnimmt, San Elemente
sich über einem Mithrasheiligtum erhebt, Santa Maria sopra Minerva über
einem Minervatempel steht. Noch andre sind mit Verwendung bearbeiteten
antiken Materials, namentlich der Säulen, gebaut, wenn diese auch selten so
ganz äußerlich zusammengestellt sind wie in Araeoeli, wo sie die verschiedensten
Ordnungen und sogar verschiedne Länge zeigen. Denn im ganzen Mittelalter
und bis tief in die Neuzeit hinein haben die Römer die antiken Bauten, die
keinem praktischen Zwecke mehr dienten, um alle antiquarischen Erwägungen
unbekümmert, nach ihren Bedürfnissen umgestaltet oder als willkommne Stein¬
brüche benutzt, sie teilweise ganz abgebrochen (wie zwei Drittel des Kolosseums)
oder sie ihrer Säulen und ihres Marmvrschmuckes beraubt, sodaß jetzt oft
genug nur noch der rohe Ziegelkern steht. "Man trifft Spuren einer Herr¬
lichkeit und einer Zerstörung, die beide über alle Begriffe gehen," sagt Goethe.
In der That ist die Verwüstung, besonders der wichtigsten antiken Stätten,
fast unglaublich. Der erste Eindruck, den mir das Forum Romanum machte,
war, offen gestanden, nichts weniger als erhebend, sondern eher verstimmend,
denn außer den imposanten Wölbungen der Konstantinsbasilika, einigen Süulen-
gruppen und geringen plastischen Resten sieht man kaum etwas andres als
unschöne, fast gestaltlose rotbraune Ziegeltrümmer, und geradezu erschütternd
kann die Verwüstung der in ihren Trümmern noch überaus großartigen Kaiser-
Paläste des Palatinus wirken. Von den verödeten, teils zufällig, teils plan¬
mäßig halb oder ganz verschütteten Resten haben dann Kirchen und Klöster
und Villen Besitz ergriffen und sie mit Neubauten, Weinpflanzungen und
Gurten bedeckt oder umgeben. Daher trägt noch heute fast der ganze Süden
des alten Stadtbodens einen halb ländlichen Charakter, wie vor 1870 auch die
Hügel im Osten und Norden. Das bewohnte Rom hat sich eben nach dem
alten Marsfelde in der Tiberkrümmung verschoben, und um und in den einst
stolzesten Teilen der kaiserlichen Stadt, um die Fora und das Knpitol hat
sich in engen, winkligen, schmutzigen Gassen das römische Kleiubürgertnm ein¬
genistet, das sie noch heute behauptet. Und doch möchte man diese Umgestal¬
tung nicht allzu sehr bedauern, denn an malerischem Reiz geht nichts über
jene halb ländlich gewordnen Trümmerstätten des Palatin, des Cälius, des
Aventin. Wer diesen Reiz völlig genießen will, muß von der schwindelnden
Höhe des Kolosseums nach Süden blicken oder vom Garten der Villa Mallet
auf dem Cülius aus nach den Caracallcithermen, der Stadtmauer und der
Campagna hin, oder er muß auf der Terrasse der bekannten Osteria Prisea am
Hange des Aventin über dem alten Circus marnnns und angesichts des Palatin
am Abend bei einer Flasche Landwein sitzen; da sieht er nichts als antike Reste,
von Gärten und Wiesen umgeben, von Cypressengruppen, Pinien und einzelnen
schlanken Palmen überragt. Nirgends wird man es mehr inne als hier, daß


Italienische Lindrücke

Halle) u. a. in. Andre Kirchen stehen ans der Stelle antiker Tempel, wie Ara-
coeli auf dem Kapitol die Stätte des Jupitertempels einnimmt, San Elemente
sich über einem Mithrasheiligtum erhebt, Santa Maria sopra Minerva über
einem Minervatempel steht. Noch andre sind mit Verwendung bearbeiteten
antiken Materials, namentlich der Säulen, gebaut, wenn diese auch selten so
ganz äußerlich zusammengestellt sind wie in Araeoeli, wo sie die verschiedensten
Ordnungen und sogar verschiedne Länge zeigen. Denn im ganzen Mittelalter
und bis tief in die Neuzeit hinein haben die Römer die antiken Bauten, die
keinem praktischen Zwecke mehr dienten, um alle antiquarischen Erwägungen
unbekümmert, nach ihren Bedürfnissen umgestaltet oder als willkommne Stein¬
brüche benutzt, sie teilweise ganz abgebrochen (wie zwei Drittel des Kolosseums)
oder sie ihrer Säulen und ihres Marmvrschmuckes beraubt, sodaß jetzt oft
genug nur noch der rohe Ziegelkern steht. „Man trifft Spuren einer Herr¬
lichkeit und einer Zerstörung, die beide über alle Begriffe gehen," sagt Goethe.
In der That ist die Verwüstung, besonders der wichtigsten antiken Stätten,
fast unglaublich. Der erste Eindruck, den mir das Forum Romanum machte,
war, offen gestanden, nichts weniger als erhebend, sondern eher verstimmend,
denn außer den imposanten Wölbungen der Konstantinsbasilika, einigen Süulen-
gruppen und geringen plastischen Resten sieht man kaum etwas andres als
unschöne, fast gestaltlose rotbraune Ziegeltrümmer, und geradezu erschütternd
kann die Verwüstung der in ihren Trümmern noch überaus großartigen Kaiser-
Paläste des Palatinus wirken. Von den verödeten, teils zufällig, teils plan¬
mäßig halb oder ganz verschütteten Resten haben dann Kirchen und Klöster
und Villen Besitz ergriffen und sie mit Neubauten, Weinpflanzungen und
Gurten bedeckt oder umgeben. Daher trägt noch heute fast der ganze Süden
des alten Stadtbodens einen halb ländlichen Charakter, wie vor 1870 auch die
Hügel im Osten und Norden. Das bewohnte Rom hat sich eben nach dem
alten Marsfelde in der Tiberkrümmung verschoben, und um und in den einst
stolzesten Teilen der kaiserlichen Stadt, um die Fora und das Knpitol hat
sich in engen, winkligen, schmutzigen Gassen das römische Kleiubürgertnm ein¬
genistet, das sie noch heute behauptet. Und doch möchte man diese Umgestal¬
tung nicht allzu sehr bedauern, denn an malerischem Reiz geht nichts über
jene halb ländlich gewordnen Trümmerstätten des Palatin, des Cälius, des
Aventin. Wer diesen Reiz völlig genießen will, muß von der schwindelnden
Höhe des Kolosseums nach Süden blicken oder vom Garten der Villa Mallet
auf dem Cülius aus nach den Caracallcithermen, der Stadtmauer und der
Campagna hin, oder er muß auf der Terrasse der bekannten Osteria Prisea am
Hange des Aventin über dem alten Circus marnnns und angesichts des Palatin
am Abend bei einer Flasche Landwein sitzen; da sieht er nichts als antike Reste,
von Gärten und Wiesen umgeben, von Cypressengruppen, Pinien und einzelnen
schlanken Palmen überragt. Nirgends wird man es mehr inne als hier, daß


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[0613] Italienische Lindrücke Halle) u. a. in. Andre Kirchen stehen ans der Stelle antiker Tempel, wie Ara- coeli auf dem Kapitol die Stätte des Jupitertempels einnimmt, San Elemente sich über einem Mithrasheiligtum erhebt, Santa Maria sopra Minerva über einem Minervatempel steht. Noch andre sind mit Verwendung bearbeiteten antiken Materials, namentlich der Säulen, gebaut, wenn diese auch selten so ganz äußerlich zusammengestellt sind wie in Araeoeli, wo sie die verschiedensten Ordnungen und sogar verschiedne Länge zeigen. Denn im ganzen Mittelalter und bis tief in die Neuzeit hinein haben die Römer die antiken Bauten, die keinem praktischen Zwecke mehr dienten, um alle antiquarischen Erwägungen unbekümmert, nach ihren Bedürfnissen umgestaltet oder als willkommne Stein¬ brüche benutzt, sie teilweise ganz abgebrochen (wie zwei Drittel des Kolosseums) oder sie ihrer Säulen und ihres Marmvrschmuckes beraubt, sodaß jetzt oft genug nur noch der rohe Ziegelkern steht. „Man trifft Spuren einer Herr¬ lichkeit und einer Zerstörung, die beide über alle Begriffe gehen," sagt Goethe. In der That ist die Verwüstung, besonders der wichtigsten antiken Stätten, fast unglaublich. Der erste Eindruck, den mir das Forum Romanum machte, war, offen gestanden, nichts weniger als erhebend, sondern eher verstimmend, denn außer den imposanten Wölbungen der Konstantinsbasilika, einigen Süulen- gruppen und geringen plastischen Resten sieht man kaum etwas andres als unschöne, fast gestaltlose rotbraune Ziegeltrümmer, und geradezu erschütternd kann die Verwüstung der in ihren Trümmern noch überaus großartigen Kaiser- Paläste des Palatinus wirken. Von den verödeten, teils zufällig, teils plan¬ mäßig halb oder ganz verschütteten Resten haben dann Kirchen und Klöster und Villen Besitz ergriffen und sie mit Neubauten, Weinpflanzungen und Gurten bedeckt oder umgeben. Daher trägt noch heute fast der ganze Süden des alten Stadtbodens einen halb ländlichen Charakter, wie vor 1870 auch die Hügel im Osten und Norden. Das bewohnte Rom hat sich eben nach dem alten Marsfelde in der Tiberkrümmung verschoben, und um und in den einst stolzesten Teilen der kaiserlichen Stadt, um die Fora und das Knpitol hat sich in engen, winkligen, schmutzigen Gassen das römische Kleiubürgertnm ein¬ genistet, das sie noch heute behauptet. Und doch möchte man diese Umgestal¬ tung nicht allzu sehr bedauern, denn an malerischem Reiz geht nichts über jene halb ländlich gewordnen Trümmerstätten des Palatin, des Cälius, des Aventin. Wer diesen Reiz völlig genießen will, muß von der schwindelnden Höhe des Kolosseums nach Süden blicken oder vom Garten der Villa Mallet auf dem Cülius aus nach den Caracallcithermen, der Stadtmauer und der Campagna hin, oder er muß auf der Terrasse der bekannten Osteria Prisea am Hange des Aventin über dem alten Circus marnnns und angesichts des Palatin am Abend bei einer Flasche Landwein sitzen; da sieht er nichts als antike Reste, von Gärten und Wiesen umgeben, von Cypressengruppen, Pinien und einzelnen schlanken Palmen überragt. Nirgends wird man es mehr inne als hier, daß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/613>, abgerufen am 26.08.2024.