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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Italienische Lindrücke

und da ragt eine der alten gezinnten Stadtbürger eines Adelsgeschlechts auf,
die eine friedlichere Zeit später in immer noch ernste Paläste umwandelte;
mächtige Kirchen in romanischem Stil oder in italienischer Gotik, die doch die an¬
tiken Überlieferungen immer festhält, im Polande fast immer aus Backstein erbaut,
in Toscana mit buntem Marmor bekleidet, bezeugen die Frömmigkeit, den Reich¬
tum und den Stolz dieser Bürger, und stille, malerische Klosterhöfe zeigen, wie
sich die städtischen Mönchsorden abschlossen gegen das laute Getümmel ringsum.
Kaum giebt es da eine Stadt, die nicht einen Platz von besondrer, ernster, zu¬
weilen fast hinreißender Schönheit hätte. Ich schweige ganz von Venedig, denn
der Markusplatz mit der Piazzetta hat in der ganzen Welt so wenig seines¬
gleichen wie die Stadt überhaupt; aber anch Verona hat in der herrlichen
Picizza dei Signori mit der gotischen Stadtburg der stätiger und der Loggia
del Consiglio in anmutigster Frührenaissance ein Juwel; Bolognas alter
Stadtplatz vereinigt in dem Riesenbau von San Petronio und den burgähnlichen
Palästen der Gemeinde und des Podcsta kirchliche und weltliche Größe, und
welche Erinnerungen weckt in Florenz die Piazza della Signoria mit dem Palazzo
vecchio und der Loggia dei Lanzi, oder der marmorprangende Dom, San Lorenzo,
Santa Croce oder San Miniato auf seiner Höhe! In Visa ist alle Herrlich¬
keit auf den einen Domplatz zusammengedrängt. Auch die Stcidtplütze von
Pistoja oder Perugia verraten denselben stolzen, thatkräftigen, kunstsinnigen
Bürgergeist. Das römische Altertum tritt in diesen Städten sehr zurück. Außer
dem riesigen Amphitheater von Verona und dem Theater von Fiesole sieht man
von erhaltenen antiken Bauwerken wenig mehr als römische oder auch etruskische
Stadtmauern, die zuweilen im Mittelalter weitergeführt worden sind. So zeigt
z. B. das Augustusthor in Perugia in seinen drei Schichten drei Zeitalter:
unten die etruskische Grundlage, in der Mitte römisches Mauerwerk und oben
eine romanische Halle. Denn das wird man ja überhaupt bald inne, daß
das Altertum für die Italiener niemals etwas fertiges und abgeschlossenes,
sondern immer etwas fortwirkendes, lebendiges, ein unvergessenes Stück der
nationalen Vergangenheit gewesen ist und noch heute ist.

Nirgends tritt das natürlich mehr hervor als in Rom. Noch heute um¬
giebt, ganz unvermittelt aus dem menschenleeren Weidelande der Campagna
aufsteigend, die hohe altersgebräunte Mauer Aurelinus die Stadt, beständig aus¬
gebessert, verstärkt, umgebaut und seit 1500 Jahren fast in jedem Jahrhundert
bestürmt bis zum 20. September 1870, wo die italienischen Geschütze Bresche
bei der Porta Pia legten. Die Engelsburg, das alte Grabmal Hadrians, hat
ihr Schicksal geteilt. Eine ganze Anzahl Kirchen, alte, wie neue, sind unmittelbar
aus antiken Gebäuden umgestaltet worden, das Pantheon, San Cosma und
Damiano (aus dem Tempel des Romulus), San Lorenzo in Miranda (aus
dem Tempel des Antoninus und der Faustina), San Pietro in Careere (aus
dem Carcer Mamertinus), San Stefano rotondo (aus einer antiken Markt-


Italienische Lindrücke

und da ragt eine der alten gezinnten Stadtbürger eines Adelsgeschlechts auf,
die eine friedlichere Zeit später in immer noch ernste Paläste umwandelte;
mächtige Kirchen in romanischem Stil oder in italienischer Gotik, die doch die an¬
tiken Überlieferungen immer festhält, im Polande fast immer aus Backstein erbaut,
in Toscana mit buntem Marmor bekleidet, bezeugen die Frömmigkeit, den Reich¬
tum und den Stolz dieser Bürger, und stille, malerische Klosterhöfe zeigen, wie
sich die städtischen Mönchsorden abschlossen gegen das laute Getümmel ringsum.
Kaum giebt es da eine Stadt, die nicht einen Platz von besondrer, ernster, zu¬
weilen fast hinreißender Schönheit hätte. Ich schweige ganz von Venedig, denn
der Markusplatz mit der Piazzetta hat in der ganzen Welt so wenig seines¬
gleichen wie die Stadt überhaupt; aber anch Verona hat in der herrlichen
Picizza dei Signori mit der gotischen Stadtburg der stätiger und der Loggia
del Consiglio in anmutigster Frührenaissance ein Juwel; Bolognas alter
Stadtplatz vereinigt in dem Riesenbau von San Petronio und den burgähnlichen
Palästen der Gemeinde und des Podcsta kirchliche und weltliche Größe, und
welche Erinnerungen weckt in Florenz die Piazza della Signoria mit dem Palazzo
vecchio und der Loggia dei Lanzi, oder der marmorprangende Dom, San Lorenzo,
Santa Croce oder San Miniato auf seiner Höhe! In Visa ist alle Herrlich¬
keit auf den einen Domplatz zusammengedrängt. Auch die Stcidtplütze von
Pistoja oder Perugia verraten denselben stolzen, thatkräftigen, kunstsinnigen
Bürgergeist. Das römische Altertum tritt in diesen Städten sehr zurück. Außer
dem riesigen Amphitheater von Verona und dem Theater von Fiesole sieht man
von erhaltenen antiken Bauwerken wenig mehr als römische oder auch etruskische
Stadtmauern, die zuweilen im Mittelalter weitergeführt worden sind. So zeigt
z. B. das Augustusthor in Perugia in seinen drei Schichten drei Zeitalter:
unten die etruskische Grundlage, in der Mitte römisches Mauerwerk und oben
eine romanische Halle. Denn das wird man ja überhaupt bald inne, daß
das Altertum für die Italiener niemals etwas fertiges und abgeschlossenes,
sondern immer etwas fortwirkendes, lebendiges, ein unvergessenes Stück der
nationalen Vergangenheit gewesen ist und noch heute ist.

Nirgends tritt das natürlich mehr hervor als in Rom. Noch heute um¬
giebt, ganz unvermittelt aus dem menschenleeren Weidelande der Campagna
aufsteigend, die hohe altersgebräunte Mauer Aurelinus die Stadt, beständig aus¬
gebessert, verstärkt, umgebaut und seit 1500 Jahren fast in jedem Jahrhundert
bestürmt bis zum 20. September 1870, wo die italienischen Geschütze Bresche
bei der Porta Pia legten. Die Engelsburg, das alte Grabmal Hadrians, hat
ihr Schicksal geteilt. Eine ganze Anzahl Kirchen, alte, wie neue, sind unmittelbar
aus antiken Gebäuden umgestaltet worden, das Pantheon, San Cosma und
Damiano (aus dem Tempel des Romulus), San Lorenzo in Miranda (aus
dem Tempel des Antoninus und der Faustina), San Pietro in Careere (aus
dem Carcer Mamertinus), San Stefano rotondo (aus einer antiken Markt-


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[0612] Italienische Lindrücke und da ragt eine der alten gezinnten Stadtbürger eines Adelsgeschlechts auf, die eine friedlichere Zeit später in immer noch ernste Paläste umwandelte; mächtige Kirchen in romanischem Stil oder in italienischer Gotik, die doch die an¬ tiken Überlieferungen immer festhält, im Polande fast immer aus Backstein erbaut, in Toscana mit buntem Marmor bekleidet, bezeugen die Frömmigkeit, den Reich¬ tum und den Stolz dieser Bürger, und stille, malerische Klosterhöfe zeigen, wie sich die städtischen Mönchsorden abschlossen gegen das laute Getümmel ringsum. Kaum giebt es da eine Stadt, die nicht einen Platz von besondrer, ernster, zu¬ weilen fast hinreißender Schönheit hätte. Ich schweige ganz von Venedig, denn der Markusplatz mit der Piazzetta hat in der ganzen Welt so wenig seines¬ gleichen wie die Stadt überhaupt; aber anch Verona hat in der herrlichen Picizza dei Signori mit der gotischen Stadtburg der stätiger und der Loggia del Consiglio in anmutigster Frührenaissance ein Juwel; Bolognas alter Stadtplatz vereinigt in dem Riesenbau von San Petronio und den burgähnlichen Palästen der Gemeinde und des Podcsta kirchliche und weltliche Größe, und welche Erinnerungen weckt in Florenz die Piazza della Signoria mit dem Palazzo vecchio und der Loggia dei Lanzi, oder der marmorprangende Dom, San Lorenzo, Santa Croce oder San Miniato auf seiner Höhe! In Visa ist alle Herrlich¬ keit auf den einen Domplatz zusammengedrängt. Auch die Stcidtplütze von Pistoja oder Perugia verraten denselben stolzen, thatkräftigen, kunstsinnigen Bürgergeist. Das römische Altertum tritt in diesen Städten sehr zurück. Außer dem riesigen Amphitheater von Verona und dem Theater von Fiesole sieht man von erhaltenen antiken Bauwerken wenig mehr als römische oder auch etruskische Stadtmauern, die zuweilen im Mittelalter weitergeführt worden sind. So zeigt z. B. das Augustusthor in Perugia in seinen drei Schichten drei Zeitalter: unten die etruskische Grundlage, in der Mitte römisches Mauerwerk und oben eine romanische Halle. Denn das wird man ja überhaupt bald inne, daß das Altertum für die Italiener niemals etwas fertiges und abgeschlossenes, sondern immer etwas fortwirkendes, lebendiges, ein unvergessenes Stück der nationalen Vergangenheit gewesen ist und noch heute ist. Nirgends tritt das natürlich mehr hervor als in Rom. Noch heute um¬ giebt, ganz unvermittelt aus dem menschenleeren Weidelande der Campagna aufsteigend, die hohe altersgebräunte Mauer Aurelinus die Stadt, beständig aus¬ gebessert, verstärkt, umgebaut und seit 1500 Jahren fast in jedem Jahrhundert bestürmt bis zum 20. September 1870, wo die italienischen Geschütze Bresche bei der Porta Pia legten. Die Engelsburg, das alte Grabmal Hadrians, hat ihr Schicksal geteilt. Eine ganze Anzahl Kirchen, alte, wie neue, sind unmittelbar aus antiken Gebäuden umgestaltet worden, das Pantheon, San Cosma und Damiano (aus dem Tempel des Romulus), San Lorenzo in Miranda (aus dem Tempel des Antoninus und der Faustina), San Pietro in Careere (aus dem Carcer Mamertinus), San Stefano rotondo (aus einer antiken Markt-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/612>, abgerufen am 26.08.2024.