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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Italienische Eindrücke

Gebäuden untergebracht, palastartigen Bauten um offne Säulenhöfe, die voll
sind von den Denkmälern und Erinnerungen einer vielhundertjährigen Ge¬
schichte. Wie großartig ist doch der Hof der Sapienza in Rom, wie anziehend
die schlichte, edle Frührenaissance der Bogenhallen von Pisa, wie majestätisch
der ionische Säulenhof Sansovinos in Padua, wie überwältigend die Hallen
des Archiginnasio (des alten Universitätsgebäudes) in Bologna mit der Fülle
bunter Wappenschilder der dort seit Jahrhunderten Promovirten in den Bogen¬
gängen, auf Flur und Treppe, dem ganz in Zedernholz geschnitzten, einst welt¬
berühmten anatomischen Theater mit den Standbildern der hervorragendsten
bolognesischen Mediziner seit Mondinns, dem Begründer der modernen Anatomie,
und den weiten Sälen der Fakultäten, die jetzt die Universitätsbibliothek bergen!
Von den alten Kollegien Bolognas, die freilich hier wie in ganz Italien nie¬
mals die Bedeutung gewonnen haben wie an den französischen, englischen und
auch deutschen Universitäten, besteht heute nur noch ein einziges, und zwar in
seinen alten, wohlerhaltenen Räumen an der Via ti Saragossa, das spanische
Kolleg des Kardinals Egidio Albornoz von 1364, ein Viereck um einen Hof
mit offnen Galerien auf Rundbogen und kurzen, stämmigen Säulen, davor ein
Garten mit alten Bäumen hinter hoher guelfischer Zinnenmauer, das lebendige
Bild des ausgehenden italienischen Mittelalters. Noch jetzt ist es Besitz der
spanischen Negierung, die hier acht junge, für die diplomatische Laufbahn be¬
stimmte Edelleute studiren läßt und den "Rektor" des Kollegiums ernannt.
Die alte korporative Verfassung der Stiftung ist also erloschen, und das
gilt überhaupt von den alten Einrichtungen der italienischen Universitäten.
Die alten "Nationen" sind mit den ausländischen Studenten verschwunden,
und etwas ähnliches wie unsre deutschen Studentenverbindungen giebt es nicht.
Nur landsmannschaftliche Beziehungen und politische Gesinnungsgemeinschaft
begründen gewisse Zusammenhange, aber keine Organisation der Studenten¬
schaft. So viel sich gegen unsre Verbindungen oder wenigstens gegen ihre
Ausartungen sagen läßt, der völlige Maugel irgend welcher Einrichtungen
dieser Art in Italien hat doch seine sehr bedenklichen Folgen. Bei der leb¬
haften Empfänglichkeit der Italiener verfallen sie sehr leicht irgend welchem
demagogischen Einfluß, der Beredsamkeit irgend eines Schreiers, was dann
wohl zu stürmischen Auftritten führt. Die Universitätsbehörden aber haben
gar keine Möglichkeit, mit der Studentenschaft wirklich zu verhandeln, weil sie
eben gar keine Organisation, also auch leine Vertretung hat, die zugleich die
Bürgschaft für die Ausführung einer Vereinbarung übernehmen könnte in der
Voraussetzung, daß sie bei ihren Leuten Gehorsam funde. Es ist alles wie
Triebsand, und der liberale Radikalismus, der mit der Neugestaltung Italiens
zur Herrschaft gelangt ist, steht allen alten genossenschaftlichen Vereinigungen
feindlich gegenüber.

Wie die große Mehrheit der italienischen Studenten zum nationalen Ge-


Italienische Eindrücke

Gebäuden untergebracht, palastartigen Bauten um offne Säulenhöfe, die voll
sind von den Denkmälern und Erinnerungen einer vielhundertjährigen Ge¬
schichte. Wie großartig ist doch der Hof der Sapienza in Rom, wie anziehend
die schlichte, edle Frührenaissance der Bogenhallen von Pisa, wie majestätisch
der ionische Säulenhof Sansovinos in Padua, wie überwältigend die Hallen
des Archiginnasio (des alten Universitätsgebäudes) in Bologna mit der Fülle
bunter Wappenschilder der dort seit Jahrhunderten Promovirten in den Bogen¬
gängen, auf Flur und Treppe, dem ganz in Zedernholz geschnitzten, einst welt¬
berühmten anatomischen Theater mit den Standbildern der hervorragendsten
bolognesischen Mediziner seit Mondinns, dem Begründer der modernen Anatomie,
und den weiten Sälen der Fakultäten, die jetzt die Universitätsbibliothek bergen!
Von den alten Kollegien Bolognas, die freilich hier wie in ganz Italien nie¬
mals die Bedeutung gewonnen haben wie an den französischen, englischen und
auch deutschen Universitäten, besteht heute nur noch ein einziges, und zwar in
seinen alten, wohlerhaltenen Räumen an der Via ti Saragossa, das spanische
Kolleg des Kardinals Egidio Albornoz von 1364, ein Viereck um einen Hof
mit offnen Galerien auf Rundbogen und kurzen, stämmigen Säulen, davor ein
Garten mit alten Bäumen hinter hoher guelfischer Zinnenmauer, das lebendige
Bild des ausgehenden italienischen Mittelalters. Noch jetzt ist es Besitz der
spanischen Negierung, die hier acht junge, für die diplomatische Laufbahn be¬
stimmte Edelleute studiren läßt und den „Rektor" des Kollegiums ernannt.
Die alte korporative Verfassung der Stiftung ist also erloschen, und das
gilt überhaupt von den alten Einrichtungen der italienischen Universitäten.
Die alten „Nationen" sind mit den ausländischen Studenten verschwunden,
und etwas ähnliches wie unsre deutschen Studentenverbindungen giebt es nicht.
Nur landsmannschaftliche Beziehungen und politische Gesinnungsgemeinschaft
begründen gewisse Zusammenhange, aber keine Organisation der Studenten¬
schaft. So viel sich gegen unsre Verbindungen oder wenigstens gegen ihre
Ausartungen sagen läßt, der völlige Maugel irgend welcher Einrichtungen
dieser Art in Italien hat doch seine sehr bedenklichen Folgen. Bei der leb¬
haften Empfänglichkeit der Italiener verfallen sie sehr leicht irgend welchem
demagogischen Einfluß, der Beredsamkeit irgend eines Schreiers, was dann
wohl zu stürmischen Auftritten führt. Die Universitätsbehörden aber haben
gar keine Möglichkeit, mit der Studentenschaft wirklich zu verhandeln, weil sie
eben gar keine Organisation, also auch leine Vertretung hat, die zugleich die
Bürgschaft für die Ausführung einer Vereinbarung übernehmen könnte in der
Voraussetzung, daß sie bei ihren Leuten Gehorsam funde. Es ist alles wie
Triebsand, und der liberale Radikalismus, der mit der Neugestaltung Italiens
zur Herrschaft gelangt ist, steht allen alten genossenschaftlichen Vereinigungen
feindlich gegenüber.

Wie die große Mehrheit der italienischen Studenten zum nationalen Ge-


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[0602] Italienische Eindrücke Gebäuden untergebracht, palastartigen Bauten um offne Säulenhöfe, die voll sind von den Denkmälern und Erinnerungen einer vielhundertjährigen Ge¬ schichte. Wie großartig ist doch der Hof der Sapienza in Rom, wie anziehend die schlichte, edle Frührenaissance der Bogenhallen von Pisa, wie majestätisch der ionische Säulenhof Sansovinos in Padua, wie überwältigend die Hallen des Archiginnasio (des alten Universitätsgebäudes) in Bologna mit der Fülle bunter Wappenschilder der dort seit Jahrhunderten Promovirten in den Bogen¬ gängen, auf Flur und Treppe, dem ganz in Zedernholz geschnitzten, einst welt¬ berühmten anatomischen Theater mit den Standbildern der hervorragendsten bolognesischen Mediziner seit Mondinns, dem Begründer der modernen Anatomie, und den weiten Sälen der Fakultäten, die jetzt die Universitätsbibliothek bergen! Von den alten Kollegien Bolognas, die freilich hier wie in ganz Italien nie¬ mals die Bedeutung gewonnen haben wie an den französischen, englischen und auch deutschen Universitäten, besteht heute nur noch ein einziges, und zwar in seinen alten, wohlerhaltenen Räumen an der Via ti Saragossa, das spanische Kolleg des Kardinals Egidio Albornoz von 1364, ein Viereck um einen Hof mit offnen Galerien auf Rundbogen und kurzen, stämmigen Säulen, davor ein Garten mit alten Bäumen hinter hoher guelfischer Zinnenmauer, das lebendige Bild des ausgehenden italienischen Mittelalters. Noch jetzt ist es Besitz der spanischen Negierung, die hier acht junge, für die diplomatische Laufbahn be¬ stimmte Edelleute studiren läßt und den „Rektor" des Kollegiums ernannt. Die alte korporative Verfassung der Stiftung ist also erloschen, und das gilt überhaupt von den alten Einrichtungen der italienischen Universitäten. Die alten „Nationen" sind mit den ausländischen Studenten verschwunden, und etwas ähnliches wie unsre deutschen Studentenverbindungen giebt es nicht. Nur landsmannschaftliche Beziehungen und politische Gesinnungsgemeinschaft begründen gewisse Zusammenhange, aber keine Organisation der Studenten¬ schaft. So viel sich gegen unsre Verbindungen oder wenigstens gegen ihre Ausartungen sagen läßt, der völlige Maugel irgend welcher Einrichtungen dieser Art in Italien hat doch seine sehr bedenklichen Folgen. Bei der leb¬ haften Empfänglichkeit der Italiener verfallen sie sehr leicht irgend welchem demagogischen Einfluß, der Beredsamkeit irgend eines Schreiers, was dann wohl zu stürmischen Auftritten führt. Die Universitätsbehörden aber haben gar keine Möglichkeit, mit der Studentenschaft wirklich zu verhandeln, weil sie eben gar keine Organisation, also auch leine Vertretung hat, die zugleich die Bürgschaft für die Ausführung einer Vereinbarung übernehmen könnte in der Voraussetzung, daß sie bei ihren Leuten Gehorsam funde. Es ist alles wie Triebsand, und der liberale Radikalismus, der mit der Neugestaltung Italiens zur Herrschaft gelangt ist, steht allen alten genossenschaftlichen Vereinigungen feindlich gegenüber. Wie die große Mehrheit der italienischen Studenten zum nationalen Ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/602>, abgerufen am 22.12.2024.