Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Italienische Eindrücke

Prozeß durch, so beträgt sein Honorar für die Prozeß- und Verhandlungs-
gcbühr allein 128 Mark.' Diese Zahlen sprechen deutlich.

Es wäre thöricht und ungerecht zugleich, wenn die Ärzte diese günstigere
Lage der Rechtsanwälte bemängeln wollten; aber sie sollte ihnen ein Sporn
sein, entweder jede Einmischung des Staats in ihre rein geschäftlichen Ange¬
legenheiten von der Hand zu weisen, oder alle Hebel in Bewegung zu setzen,
um vom Staat ähnliche günstige Arbeitsbedingungen zu erlangen, sich zu einer
Staudesgenosseuschaft zusammenzuschließen und eine Standesordnung zu schaffen,
die vom Staate nichts verlangt als seine Anerkennung, eine Stcmdesvrdnung,
die nach ähnlichen Grundsätzen eingerichtet ist und arbeitet wie die Anwalts-
kammern, die in ihren Organen den Willen und die Macht hat, ihre geschäft¬
lichen äußern Beziehungen wie ihre innern Angelegenheiten nach feststehenden,
aber entwicklungsfähigen, Zeit und Ort angepaßten Vorschriften zu regeln und
auf ihre Mitglieder den Zwang auszuüben, ihre Verufsgeschäfte gewissenhaft
zu betreiben und sich innerhalb und außerhalb ihres Berufs der Achtung, die
er erfordert, würdig zu zeigen. Diese Forderungen sind ebenso weit entfernt
von den undurchführbaren Träumereien der Sozialisten wie von der jede ver¬
nünftige Entwicklung hemmenden Zügellosigkeit der strengen Individualisten:
sie verlegen die Hauptthätigkeit der Reform in den ärztlichen Stand selbst und
verlangen vom Staate nur die gesetzliche Billigung der Formen, innerhalb
deren sich die freie ärztliche Thätigkeit zum Heile der Ärzte selbst, des Staats
und des Publikums entfalten soll. Ohne Selbsterkenntnis freilich, ohne die
Erkenntnis, daß ein großer Teil der sozialen Schäden, unter denen der Stand
seufzt, nicht in üußeru Dingen, sondern in den Ärzten selbst liegt, ist diese
Reform, die Reform von innen heraus, entweder ganz unmöglich, oder sie
bleibt Flickwerk, wie die Abdämmung eines Flusses, dessen Quellen ungeschwächt
fortbestehen.


H. Böing


Italienische Eindrücke
(Schluß)

er Universitäten hat Italien zu viele, aber bisher hat keine der
kleinern Gemeinden ihre alte Hochschule -- und alt sind sie
alle -- hergeben wollen. Größere Bedeutung haben nur wenige,
so vor allem Neapel mit viertausend, das ehrwürdige Bologna,
die älteste und berühmteste aller, mit über zweitausend Studenten.
Sie sind vielfach- noch in ihren alten, aus der Renaissancezeit herrührenden


Grenzboten II 1895 7S
Italienische Eindrücke

Prozeß durch, so beträgt sein Honorar für die Prozeß- und Verhandlungs-
gcbühr allein 128 Mark.' Diese Zahlen sprechen deutlich.

Es wäre thöricht und ungerecht zugleich, wenn die Ärzte diese günstigere
Lage der Rechtsanwälte bemängeln wollten; aber sie sollte ihnen ein Sporn
sein, entweder jede Einmischung des Staats in ihre rein geschäftlichen Ange¬
legenheiten von der Hand zu weisen, oder alle Hebel in Bewegung zu setzen,
um vom Staat ähnliche günstige Arbeitsbedingungen zu erlangen, sich zu einer
Staudesgenosseuschaft zusammenzuschließen und eine Standesordnung zu schaffen,
die vom Staate nichts verlangt als seine Anerkennung, eine Stcmdesvrdnung,
die nach ähnlichen Grundsätzen eingerichtet ist und arbeitet wie die Anwalts-
kammern, die in ihren Organen den Willen und die Macht hat, ihre geschäft¬
lichen äußern Beziehungen wie ihre innern Angelegenheiten nach feststehenden,
aber entwicklungsfähigen, Zeit und Ort angepaßten Vorschriften zu regeln und
auf ihre Mitglieder den Zwang auszuüben, ihre Verufsgeschäfte gewissenhaft
zu betreiben und sich innerhalb und außerhalb ihres Berufs der Achtung, die
er erfordert, würdig zu zeigen. Diese Forderungen sind ebenso weit entfernt
von den undurchführbaren Träumereien der Sozialisten wie von der jede ver¬
nünftige Entwicklung hemmenden Zügellosigkeit der strengen Individualisten:
sie verlegen die Hauptthätigkeit der Reform in den ärztlichen Stand selbst und
verlangen vom Staate nur die gesetzliche Billigung der Formen, innerhalb
deren sich die freie ärztliche Thätigkeit zum Heile der Ärzte selbst, des Staats
und des Publikums entfalten soll. Ohne Selbsterkenntnis freilich, ohne die
Erkenntnis, daß ein großer Teil der sozialen Schäden, unter denen der Stand
seufzt, nicht in üußeru Dingen, sondern in den Ärzten selbst liegt, ist diese
Reform, die Reform von innen heraus, entweder ganz unmöglich, oder sie
bleibt Flickwerk, wie die Abdämmung eines Flusses, dessen Quellen ungeschwächt
fortbestehen.


H. Böing


Italienische Eindrücke
(Schluß)

er Universitäten hat Italien zu viele, aber bisher hat keine der
kleinern Gemeinden ihre alte Hochschule — und alt sind sie
alle — hergeben wollen. Größere Bedeutung haben nur wenige,
so vor allem Neapel mit viertausend, das ehrwürdige Bologna,
die älteste und berühmteste aller, mit über zweitausend Studenten.
Sie sind vielfach- noch in ihren alten, aus der Renaissancezeit herrührenden


Grenzboten II 1895 7S
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0601" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/220277"/>
          <fw type="header" place="top"> Italienische Eindrücke</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2347" prev="#ID_2346"> Prozeß durch, so beträgt sein Honorar für die Prozeß- und Verhandlungs-<lb/>
gcbühr allein 128 Mark.' Diese Zahlen sprechen deutlich.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2348"> Es wäre thöricht und ungerecht zugleich, wenn die Ärzte diese günstigere<lb/>
Lage der Rechtsanwälte bemängeln wollten; aber sie sollte ihnen ein Sporn<lb/>
sein, entweder jede Einmischung des Staats in ihre rein geschäftlichen Ange¬<lb/>
legenheiten von der Hand zu weisen, oder alle Hebel in Bewegung zu setzen,<lb/>
um vom Staat ähnliche günstige Arbeitsbedingungen zu erlangen, sich zu einer<lb/>
Staudesgenosseuschaft zusammenzuschließen und eine Standesordnung zu schaffen,<lb/>
die vom Staate nichts verlangt als seine Anerkennung, eine Stcmdesvrdnung,<lb/>
die nach ähnlichen Grundsätzen eingerichtet ist und arbeitet wie die Anwalts-<lb/>
kammern, die in ihren Organen den Willen und die Macht hat, ihre geschäft¬<lb/>
lichen äußern Beziehungen wie ihre innern Angelegenheiten nach feststehenden,<lb/>
aber entwicklungsfähigen, Zeit und Ort angepaßten Vorschriften zu regeln und<lb/>
auf ihre Mitglieder den Zwang auszuüben, ihre Verufsgeschäfte gewissenhaft<lb/>
zu betreiben und sich innerhalb und außerhalb ihres Berufs der Achtung, die<lb/>
er erfordert, würdig zu zeigen. Diese Forderungen sind ebenso weit entfernt<lb/>
von den undurchführbaren Träumereien der Sozialisten wie von der jede ver¬<lb/>
nünftige Entwicklung hemmenden Zügellosigkeit der strengen Individualisten:<lb/>
sie verlegen die Hauptthätigkeit der Reform in den ärztlichen Stand selbst und<lb/>
verlangen vom Staate nur die gesetzliche Billigung der Formen, innerhalb<lb/>
deren sich die freie ärztliche Thätigkeit zum Heile der Ärzte selbst, des Staats<lb/>
und des Publikums entfalten soll. Ohne Selbsterkenntnis freilich, ohne die<lb/>
Erkenntnis, daß ein großer Teil der sozialen Schäden, unter denen der Stand<lb/>
seufzt, nicht in üußeru Dingen, sondern in den Ärzten selbst liegt, ist diese<lb/>
Reform, die Reform von innen heraus, entweder ganz unmöglich, oder sie<lb/>
bleibt Flickwerk, wie die Abdämmung eines Flusses, dessen Quellen ungeschwächt<lb/>
fortbestehen.</p><lb/>
          <note type="byline"> H. Böing</note><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Italienische Eindrücke<lb/>
(Schluß) </head><lb/>
          <p xml:id="ID_2349" next="#ID_2350"> er Universitäten hat Italien zu viele, aber bisher hat keine der<lb/>
kleinern Gemeinden ihre alte Hochschule &#x2014; und alt sind sie<lb/>
alle &#x2014; hergeben wollen. Größere Bedeutung haben nur wenige,<lb/>
so vor allem Neapel mit viertausend, das ehrwürdige Bologna,<lb/>
die älteste und berühmteste aller, mit über zweitausend Studenten.<lb/>
Sie sind vielfach- noch in ihren alten, aus der Renaissancezeit herrührenden</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II 1895 7S</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0601] Italienische Eindrücke Prozeß durch, so beträgt sein Honorar für die Prozeß- und Verhandlungs- gcbühr allein 128 Mark.' Diese Zahlen sprechen deutlich. Es wäre thöricht und ungerecht zugleich, wenn die Ärzte diese günstigere Lage der Rechtsanwälte bemängeln wollten; aber sie sollte ihnen ein Sporn sein, entweder jede Einmischung des Staats in ihre rein geschäftlichen Ange¬ legenheiten von der Hand zu weisen, oder alle Hebel in Bewegung zu setzen, um vom Staat ähnliche günstige Arbeitsbedingungen zu erlangen, sich zu einer Staudesgenosseuschaft zusammenzuschließen und eine Standesordnung zu schaffen, die vom Staate nichts verlangt als seine Anerkennung, eine Stcmdesvrdnung, die nach ähnlichen Grundsätzen eingerichtet ist und arbeitet wie die Anwalts- kammern, die in ihren Organen den Willen und die Macht hat, ihre geschäft¬ lichen äußern Beziehungen wie ihre innern Angelegenheiten nach feststehenden, aber entwicklungsfähigen, Zeit und Ort angepaßten Vorschriften zu regeln und auf ihre Mitglieder den Zwang auszuüben, ihre Verufsgeschäfte gewissenhaft zu betreiben und sich innerhalb und außerhalb ihres Berufs der Achtung, die er erfordert, würdig zu zeigen. Diese Forderungen sind ebenso weit entfernt von den undurchführbaren Träumereien der Sozialisten wie von der jede ver¬ nünftige Entwicklung hemmenden Zügellosigkeit der strengen Individualisten: sie verlegen die Hauptthätigkeit der Reform in den ärztlichen Stand selbst und verlangen vom Staate nur die gesetzliche Billigung der Formen, innerhalb deren sich die freie ärztliche Thätigkeit zum Heile der Ärzte selbst, des Staats und des Publikums entfalten soll. Ohne Selbsterkenntnis freilich, ohne die Erkenntnis, daß ein großer Teil der sozialen Schäden, unter denen der Stand seufzt, nicht in üußeru Dingen, sondern in den Ärzten selbst liegt, ist diese Reform, die Reform von innen heraus, entweder ganz unmöglich, oder sie bleibt Flickwerk, wie die Abdämmung eines Flusses, dessen Quellen ungeschwächt fortbestehen. H. Böing Italienische Eindrücke (Schluß) er Universitäten hat Italien zu viele, aber bisher hat keine der kleinern Gemeinden ihre alte Hochschule — und alt sind sie alle — hergeben wollen. Größere Bedeutung haben nur wenige, so vor allem Neapel mit viertausend, das ehrwürdige Bologna, die älteste und berühmteste aller, mit über zweitausend Studenten. Sie sind vielfach- noch in ihren alten, aus der Renaissancezeit herrührenden Grenzboten II 1895 7S

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/601
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/601>, abgerufen am 22.12.2024.