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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Die Gerichtsferien

die verminderte Heranziehung des Publikums zu Gerichtsgeschüften kaum von
Bedeutung ist.

Wollte man aber selbst das Gegenteil annehmen, so bedürfte es immer
noch des Beweises, daß durch die Verschönung mit gerichtlichen Geschäften
während der Sommermonate das eigne Interesse des Publikums gewahrt
sei. Denn dieser zeitweiligen Befreiung entspricht eine um so stärkere Be¬
lastung während der übrigen Jahreszeit. Als bei den Römern die Einrich¬
tung der Gerichtsferien entstand, bildete die Landwirtschaft, namentlich in Italien,
derart den Haupterwerbszweig für die Masse des Volkes, daß man unbedenk¬
lich die Interessen der Landwirte mit denen des gesamten Volkes für gemein¬
sam halten durfte. Heute leben wir unter andern Verhältnissen. Neben, ja
in einzelnen Gegenden über der Landwirtschaft haben sich in den letzten Jahr¬
zehnten Industrie und Handel als bedeutende wirtschaftliche Mächte entwickelt.
Für den Industrielle" und den Kaufmann, denen die Handelsrichter ausschließlich
angehören, bildet die Sommerzeit die ruhigste Zeit. In dieser kann er sich mit
den geringsten Nachteilen seiner geschäftlichen Thätigkeit entziehen, und mancher
wird, wenn er nicht in der Lage ist, in der Sommerzeit der Arbeit gänzlich
den Rücken zu kehren, lieber hier seinen gerichtlichen Pflichten genügen, als
daß er sich in der regsten Geschäftszeit aus seinen Geschäften herausreißen
läßt. Man giebt diesen Leuten geradezu ein Danaergeschenk, wenn man sie
zu einer Zeit von gerichtlichen Pflichten befreit, wo sie diese mit dem geringsten
Nachteil für ihre geschäftliche Thätigkeit zu erfüllen imstande sind.

Während so die Einrichtung der Gerichtsferien ihrer Bestimmung nicht
gerecht wird, lassen sich andrerseits ihre Nachteile für die Allgemeinheit und
das Recht suchende Publikum insbesondre nicht verkennen. Das Publikum
empfindet es als eine schwere Last, daß ihm zwei Monate im Jahre das recht¬
liche Gehör verkürzt ist, wie sein Zusammenströmen an der Gerichtsstelle und die
Häufung der gerichtlichen Geschäfte nach Schluß der Gerichtsferien beweisen.
Wenn auch das Gesetz den hemmenden Einfluß der Gerichtsferien auf solche
Sachen beschränkt, die weder nach der Rechtsmaterie, der sie angehören, noch
nach den thatsächlichen Verhältnissen der Eile bedürftig sind, so bleibt doch in
Wirklichkeit die Verkehrsstockung nicht auf diese Sachen beschränkt. Es gilt
das namentlich von Grundbuchsachen und hat seinen Grund zum Teil darin,
daß auch die Notare während der Zeit der allgemeinen Ruhe ihre Thätig¬
keit beschränken, zum Teil in der sür die zurückgebliebnen Richter oft geradezu
unerfüllbaren Aufgabe, das aus den verschiednen Dezernaten auf ihren Kopf
zusammengetragne Arbeitspensum vollständig zu erledigen. Endlich mag noch
darauf hingewiesen werden, daß in dem modernen Staate die einzelnen Zweige
der Staatsverwaltung zu sehr ein einheitliches Ganze bilden, als daß ohne
Gefahr für sie ein Teil der Staatsmaschine still stehen könnte, während die
übrigen Teile fortarbeiten.


Die Gerichtsferien

die verminderte Heranziehung des Publikums zu Gerichtsgeschüften kaum von
Bedeutung ist.

Wollte man aber selbst das Gegenteil annehmen, so bedürfte es immer
noch des Beweises, daß durch die Verschönung mit gerichtlichen Geschäften
während der Sommermonate das eigne Interesse des Publikums gewahrt
sei. Denn dieser zeitweiligen Befreiung entspricht eine um so stärkere Be¬
lastung während der übrigen Jahreszeit. Als bei den Römern die Einrich¬
tung der Gerichtsferien entstand, bildete die Landwirtschaft, namentlich in Italien,
derart den Haupterwerbszweig für die Masse des Volkes, daß man unbedenk¬
lich die Interessen der Landwirte mit denen des gesamten Volkes für gemein¬
sam halten durfte. Heute leben wir unter andern Verhältnissen. Neben, ja
in einzelnen Gegenden über der Landwirtschaft haben sich in den letzten Jahr¬
zehnten Industrie und Handel als bedeutende wirtschaftliche Mächte entwickelt.
Für den Industrielle» und den Kaufmann, denen die Handelsrichter ausschließlich
angehören, bildet die Sommerzeit die ruhigste Zeit. In dieser kann er sich mit
den geringsten Nachteilen seiner geschäftlichen Thätigkeit entziehen, und mancher
wird, wenn er nicht in der Lage ist, in der Sommerzeit der Arbeit gänzlich
den Rücken zu kehren, lieber hier seinen gerichtlichen Pflichten genügen, als
daß er sich in der regsten Geschäftszeit aus seinen Geschäften herausreißen
läßt. Man giebt diesen Leuten geradezu ein Danaergeschenk, wenn man sie
zu einer Zeit von gerichtlichen Pflichten befreit, wo sie diese mit dem geringsten
Nachteil für ihre geschäftliche Thätigkeit zu erfüllen imstande sind.

Während so die Einrichtung der Gerichtsferien ihrer Bestimmung nicht
gerecht wird, lassen sich andrerseits ihre Nachteile für die Allgemeinheit und
das Recht suchende Publikum insbesondre nicht verkennen. Das Publikum
empfindet es als eine schwere Last, daß ihm zwei Monate im Jahre das recht¬
liche Gehör verkürzt ist, wie sein Zusammenströmen an der Gerichtsstelle und die
Häufung der gerichtlichen Geschäfte nach Schluß der Gerichtsferien beweisen.
Wenn auch das Gesetz den hemmenden Einfluß der Gerichtsferien auf solche
Sachen beschränkt, die weder nach der Rechtsmaterie, der sie angehören, noch
nach den thatsächlichen Verhältnissen der Eile bedürftig sind, so bleibt doch in
Wirklichkeit die Verkehrsstockung nicht auf diese Sachen beschränkt. Es gilt
das namentlich von Grundbuchsachen und hat seinen Grund zum Teil darin,
daß auch die Notare während der Zeit der allgemeinen Ruhe ihre Thätig¬
keit beschränken, zum Teil in der sür die zurückgebliebnen Richter oft geradezu
unerfüllbaren Aufgabe, das aus den verschiednen Dezernaten auf ihren Kopf
zusammengetragne Arbeitspensum vollständig zu erledigen. Endlich mag noch
darauf hingewiesen werden, daß in dem modernen Staate die einzelnen Zweige
der Staatsverwaltung zu sehr ein einheitliches Ganze bilden, als daß ohne
Gefahr für sie ein Teil der Staatsmaschine still stehen könnte, während die
übrigen Teile fortarbeiten.


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[0595] Die Gerichtsferien die verminderte Heranziehung des Publikums zu Gerichtsgeschüften kaum von Bedeutung ist. Wollte man aber selbst das Gegenteil annehmen, so bedürfte es immer noch des Beweises, daß durch die Verschönung mit gerichtlichen Geschäften während der Sommermonate das eigne Interesse des Publikums gewahrt sei. Denn dieser zeitweiligen Befreiung entspricht eine um so stärkere Be¬ lastung während der übrigen Jahreszeit. Als bei den Römern die Einrich¬ tung der Gerichtsferien entstand, bildete die Landwirtschaft, namentlich in Italien, derart den Haupterwerbszweig für die Masse des Volkes, daß man unbedenk¬ lich die Interessen der Landwirte mit denen des gesamten Volkes für gemein¬ sam halten durfte. Heute leben wir unter andern Verhältnissen. Neben, ja in einzelnen Gegenden über der Landwirtschaft haben sich in den letzten Jahr¬ zehnten Industrie und Handel als bedeutende wirtschaftliche Mächte entwickelt. Für den Industrielle» und den Kaufmann, denen die Handelsrichter ausschließlich angehören, bildet die Sommerzeit die ruhigste Zeit. In dieser kann er sich mit den geringsten Nachteilen seiner geschäftlichen Thätigkeit entziehen, und mancher wird, wenn er nicht in der Lage ist, in der Sommerzeit der Arbeit gänzlich den Rücken zu kehren, lieber hier seinen gerichtlichen Pflichten genügen, als daß er sich in der regsten Geschäftszeit aus seinen Geschäften herausreißen läßt. Man giebt diesen Leuten geradezu ein Danaergeschenk, wenn man sie zu einer Zeit von gerichtlichen Pflichten befreit, wo sie diese mit dem geringsten Nachteil für ihre geschäftliche Thätigkeit zu erfüllen imstande sind. Während so die Einrichtung der Gerichtsferien ihrer Bestimmung nicht gerecht wird, lassen sich andrerseits ihre Nachteile für die Allgemeinheit und das Recht suchende Publikum insbesondre nicht verkennen. Das Publikum empfindet es als eine schwere Last, daß ihm zwei Monate im Jahre das recht¬ liche Gehör verkürzt ist, wie sein Zusammenströmen an der Gerichtsstelle und die Häufung der gerichtlichen Geschäfte nach Schluß der Gerichtsferien beweisen. Wenn auch das Gesetz den hemmenden Einfluß der Gerichtsferien auf solche Sachen beschränkt, die weder nach der Rechtsmaterie, der sie angehören, noch nach den thatsächlichen Verhältnissen der Eile bedürftig sind, so bleibt doch in Wirklichkeit die Verkehrsstockung nicht auf diese Sachen beschränkt. Es gilt das namentlich von Grundbuchsachen und hat seinen Grund zum Teil darin, daß auch die Notare während der Zeit der allgemeinen Ruhe ihre Thätig¬ keit beschränken, zum Teil in der sür die zurückgebliebnen Richter oft geradezu unerfüllbaren Aufgabe, das aus den verschiednen Dezernaten auf ihren Kopf zusammengetragne Arbeitspensum vollständig zu erledigen. Endlich mag noch darauf hingewiesen werden, daß in dem modernen Staate die einzelnen Zweige der Staatsverwaltung zu sehr ein einheitliches Ganze bilden, als daß ohne Gefahr für sie ein Teil der Staatsmaschine still stehen könnte, während die übrigen Teile fortarbeiten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/595>, abgerufen am 22.12.2024.