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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Die Gerichtsferien

nach anstrengender Arbeit, und es liegt im eigensten Interesse des Staats,
daß der Richter die ihm gewährte Erholungszeit in einer Weise ausnutze, die
seiner Gesundheit zuträglich ist. Während daher dem römischen Richter nur
die ständig wiederkehrende Erntezeit freizulassen war, kommt es bei uns darauf
an, daß der Richter seine Ferien möglichst in einer Zeit erhält, wo er sie
seinen Gesundheisbedürfnissen entsprechend zu benutzen in der Lage ist. Nun
hat man zwar bei Beratung des Gerichtsverfassungsgesetzes erwogen, daß
die Zeit des August und September das sicherste und beste Bergwetter habe
und daher für Bergtouren am geeignetsten sei. Ist denn aber der Richter so
nach der Schablone organisirt, daß jeder gerade eine Bergtour braucht, um
wieder arbeitsfähig zu werden? Würde der im Norden angestellte Richter
nicht gern den Sommer über in seinem Städtchen bleiben und dafür im Winter
den Süden oder eine Stadt aufsuchen, während der im Süden angestellte gern
im Monat Juli entflieht? Können nicht auch geistige Interessen den Richter
nach Gegenden ziehen, deren Besuch im Sommer geradezu ausgeschlossen ist?
Diese Erwägungen sollten mindestens soweit berücksichtigt werden, als es mit
den Interessen der Rechtspflege vereinbar ist. Jetzt werden die Richter alle
nach einer Schablone behandelt, während die Beamten andrer Verwaltungen
nach Möglichkeit in einer ihren Wünschen entsprechenden Jahreszeit beurlaubt
werden.

Weiter sind nach den angeführten Motiven die Gerich tsferien bestimmt,
Privatpersonen, die als Handelsrichter, Zeugen oder Sachverständige zum
Gerichtsdieust herangezogen werden können, in der Erntezeit, wo der Gerichts¬
dienst für einen wesentlichen Teil der Bevölkerung mit großen Nachteilen
verbunden sein kann, möglichst vor diesen Nachteilen zu bewahren. Dieser
Zweck wird in Wirklichkeit nur zu einem sehr kleinen Teil erreicht. Denn die
gerichtliche Thätigkeit leidet gerade in den Sachen, bei denen das Publikum
als Richter, als Partei, als Zeuge und Sachverständiger am meisten heran¬
gezogen wird, nämlich in Strafsachen, während der Gerichtsferien keine Unter¬
brechung. Durch die während der Gerichtsferien ausfallenden streitigen Zivil¬
sachen würde das Publikum als Partei nur insoweit in Anspruch genommen
werden, als es sich um amtsgerichtliche Prozesse handelt. In diesen kann sich
aber die Partei vertreten lassen, und wenn hier die zeitweilige Behinderung
des Publikums eine ausgiebigere Wahrnehmung der Parteirechte durch An¬
wälte zur Folge hätte, so könnte dieses Ergebnis im Interesse der Rechtspflege
nur erwünscht sein. Es bleibt daher nur die Thätigkeit als Zeuge, Sach¬
verständiger und Handelsrichter in nicht streitigen Zivilsachen, von der das
Publikum während der Gerichtsferien befreit ist. Erwägt man aber weiter,
daß der im einzelnen Falle vorliegenden Behinderung durch Terminverleguug
oder Einberufung eines Vertreters (bei den Handelsrichtern) auch unabhängig
von den Gerichtsferien Rechnung getragen werden könnte, so leuchtet ein. daß


Die Gerichtsferien

nach anstrengender Arbeit, und es liegt im eigensten Interesse des Staats,
daß der Richter die ihm gewährte Erholungszeit in einer Weise ausnutze, die
seiner Gesundheit zuträglich ist. Während daher dem römischen Richter nur
die ständig wiederkehrende Erntezeit freizulassen war, kommt es bei uns darauf
an, daß der Richter seine Ferien möglichst in einer Zeit erhält, wo er sie
seinen Gesundheisbedürfnissen entsprechend zu benutzen in der Lage ist. Nun
hat man zwar bei Beratung des Gerichtsverfassungsgesetzes erwogen, daß
die Zeit des August und September das sicherste und beste Bergwetter habe
und daher für Bergtouren am geeignetsten sei. Ist denn aber der Richter so
nach der Schablone organisirt, daß jeder gerade eine Bergtour braucht, um
wieder arbeitsfähig zu werden? Würde der im Norden angestellte Richter
nicht gern den Sommer über in seinem Städtchen bleiben und dafür im Winter
den Süden oder eine Stadt aufsuchen, während der im Süden angestellte gern
im Monat Juli entflieht? Können nicht auch geistige Interessen den Richter
nach Gegenden ziehen, deren Besuch im Sommer geradezu ausgeschlossen ist?
Diese Erwägungen sollten mindestens soweit berücksichtigt werden, als es mit
den Interessen der Rechtspflege vereinbar ist. Jetzt werden die Richter alle
nach einer Schablone behandelt, während die Beamten andrer Verwaltungen
nach Möglichkeit in einer ihren Wünschen entsprechenden Jahreszeit beurlaubt
werden.

Weiter sind nach den angeführten Motiven die Gerich tsferien bestimmt,
Privatpersonen, die als Handelsrichter, Zeugen oder Sachverständige zum
Gerichtsdieust herangezogen werden können, in der Erntezeit, wo der Gerichts¬
dienst für einen wesentlichen Teil der Bevölkerung mit großen Nachteilen
verbunden sein kann, möglichst vor diesen Nachteilen zu bewahren. Dieser
Zweck wird in Wirklichkeit nur zu einem sehr kleinen Teil erreicht. Denn die
gerichtliche Thätigkeit leidet gerade in den Sachen, bei denen das Publikum
als Richter, als Partei, als Zeuge und Sachverständiger am meisten heran¬
gezogen wird, nämlich in Strafsachen, während der Gerichtsferien keine Unter¬
brechung. Durch die während der Gerichtsferien ausfallenden streitigen Zivil¬
sachen würde das Publikum als Partei nur insoweit in Anspruch genommen
werden, als es sich um amtsgerichtliche Prozesse handelt. In diesen kann sich
aber die Partei vertreten lassen, und wenn hier die zeitweilige Behinderung
des Publikums eine ausgiebigere Wahrnehmung der Parteirechte durch An¬
wälte zur Folge hätte, so könnte dieses Ergebnis im Interesse der Rechtspflege
nur erwünscht sein. Es bleibt daher nur die Thätigkeit als Zeuge, Sach¬
verständiger und Handelsrichter in nicht streitigen Zivilsachen, von der das
Publikum während der Gerichtsferien befreit ist. Erwägt man aber weiter,
daß der im einzelnen Falle vorliegenden Behinderung durch Terminverleguug
oder Einberufung eines Vertreters (bei den Handelsrichtern) auch unabhängig
von den Gerichtsferien Rechnung getragen werden könnte, so leuchtet ein. daß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/594>, abgerufen am 24.08.2024.