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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Der erste Beste

Er lauschte wieder hinüber; die Thür war nur angelehnt. Las sie?
stickte sie? Sollte dem? nicht einmal das Scherchen klappern, oder ein
Blatt knistern?

Er trat vorsichtig näher und drückte die Thüre auf. Sie saß am Schreib¬
tisch. Die Hand mit der Feder lag unthätig auf der Platte; von ihrem Ge¬
sicht sah er, da sie ihm beinahe den Rücken wandte, uur ein Stück der blassen
Wange. Sie blickte unverwandt geradeaus. Das Zimmer in Warnemünde
fiel ihm ein, wo sie auch so vor dem Briefblatt gesessen hatte, nur daß er
damals ihr betrübtes Gesichtchen hatte sehen können. Sicher war es jetzt
nicht fröhlicher. Seit jenem regnerischen Nachmittag war es noch von keinem
Sonnenschein wieder erwärmt worden, ausgenommen den kurzen, schrägen
Strahl am Abend der Ankunft. Und wie geschwind war der erloschen! Seit¬
dem "versuchten" sie es wieder mit einander. Aber bis jetzt sah es nicht nach
Gelingen aus."

Leise zog er die Thür wieder heran und trat zurück. "Hinnehmen --
Was? Fing er am Ende an weichmütig zu werden? Sentimental? Er
dachte nicht dran. "Bekämpfen, was dir leid --" So mußte es bei ihm
heißen. Es giebt ja verschiedne Kampfesweisen. Dreinschlagen thuts nicht
allemal. Besonders nicht bei so einem kleinen blassen, weinerlichen, geliebten
Feind. Und dann: "Hingeben, was dir lieb?" O, du lüttes, dummes Dir-
ning! Ich mach mir meine Sprüche selber: "Behalten, was dir lieb, ver¬
teidigen, was dir lieb!" Eines Tages werden wir ja sehen, wer der
Stärkere ist. Vorläufig aber -- sich mal, da könnten wir ja denselben Heyse
noch einmal,, hernehmen. Diesmal soll er aber Recht haben: "Dulde, gedulde
dich fein. Über ein Stündlein ist deine Kammer voll Sonne."

Als er einige Minuten später auf gewohnte Art bei ihr eintrat, erhob
sie sich schnell.

Guten Abend, Gretchen, sagte er gelassen freundlich und streckte ihr die
Hand hin. Sie legte schüchtern die ihre hinein und erwiderte nur leise und
zaghaft seinen Druck.

Hast du geschrieben? An deine Mutter? Daun grüße sie herzlich
von mir.

Ich wollte eben schreiben.

Nun, dann will ich dich nicht aufhalten.

Er wandte sich wieder zur Thür.

Nein, so war es nicht gemeint, sagte sie hastig, du hältst mich nicht auf.
Ich kann es eben so gut morgen thun.

Er machte eine scherzhaft zuvorkommende Bewegung.

Was du thun willst, thue gleich, sagte er mit flüchtigem Lächeln, das
ist ein guter Spruch. Ich muß so wie so noch einmal nach meinem Braunen
sehen. Also auf Wiedersehen!

Er winkte mit der Hand.

An der Hausthür traf er mit Hans zusammen.

Was ist denn mit dem Gaul? fragte der junge Mann, der die letzten
Worte gehört hatte.

Ach, nichts besondres; er hat sich beim Sprung über die Dornenhecke
heute früh ein bischen am Knie geritzt. Nur Schande halber gehe ich noch
mal hinüber.

Dann kann ich es ja auch thun.


Der erste Beste

Er lauschte wieder hinüber; die Thür war nur angelehnt. Las sie?
stickte sie? Sollte dem? nicht einmal das Scherchen klappern, oder ein
Blatt knistern?

Er trat vorsichtig näher und drückte die Thüre auf. Sie saß am Schreib¬
tisch. Die Hand mit der Feder lag unthätig auf der Platte; von ihrem Ge¬
sicht sah er, da sie ihm beinahe den Rücken wandte, uur ein Stück der blassen
Wange. Sie blickte unverwandt geradeaus. Das Zimmer in Warnemünde
fiel ihm ein, wo sie auch so vor dem Briefblatt gesessen hatte, nur daß er
damals ihr betrübtes Gesichtchen hatte sehen können. Sicher war es jetzt
nicht fröhlicher. Seit jenem regnerischen Nachmittag war es noch von keinem
Sonnenschein wieder erwärmt worden, ausgenommen den kurzen, schrägen
Strahl am Abend der Ankunft. Und wie geschwind war der erloschen! Seit¬
dem „versuchten" sie es wieder mit einander. Aber bis jetzt sah es nicht nach
Gelingen aus."

Leise zog er die Thür wieder heran und trat zurück. „Hinnehmen —
Was? Fing er am Ende an weichmütig zu werden? Sentimental? Er
dachte nicht dran. „Bekämpfen, was dir leid —" So mußte es bei ihm
heißen. Es giebt ja verschiedne Kampfesweisen. Dreinschlagen thuts nicht
allemal. Besonders nicht bei so einem kleinen blassen, weinerlichen, geliebten
Feind. Und dann: „Hingeben, was dir lieb?" O, du lüttes, dummes Dir-
ning! Ich mach mir meine Sprüche selber: „Behalten, was dir lieb, ver¬
teidigen, was dir lieb!" Eines Tages werden wir ja sehen, wer der
Stärkere ist. Vorläufig aber — sich mal, da könnten wir ja denselben Heyse
noch einmal,, hernehmen. Diesmal soll er aber Recht haben: „Dulde, gedulde
dich fein. Über ein Stündlein ist deine Kammer voll Sonne."

Als er einige Minuten später auf gewohnte Art bei ihr eintrat, erhob
sie sich schnell.

Guten Abend, Gretchen, sagte er gelassen freundlich und streckte ihr die
Hand hin. Sie legte schüchtern die ihre hinein und erwiderte nur leise und
zaghaft seinen Druck.

Hast du geschrieben? An deine Mutter? Daun grüße sie herzlich
von mir.

Ich wollte eben schreiben.

Nun, dann will ich dich nicht aufhalten.

Er wandte sich wieder zur Thür.

Nein, so war es nicht gemeint, sagte sie hastig, du hältst mich nicht auf.
Ich kann es eben so gut morgen thun.

Er machte eine scherzhaft zuvorkommende Bewegung.

Was du thun willst, thue gleich, sagte er mit flüchtigem Lächeln, das
ist ein guter Spruch. Ich muß so wie so noch einmal nach meinem Braunen
sehen. Also auf Wiedersehen!

Er winkte mit der Hand.

An der Hausthür traf er mit Hans zusammen.

Was ist denn mit dem Gaul? fragte der junge Mann, der die letzten
Worte gehört hatte.

Ach, nichts besondres; er hat sich beim Sprung über die Dornenhecke
heute früh ein bischen am Knie geritzt. Nur Schande halber gehe ich noch
mal hinüber.

Dann kann ich es ja auch thun.


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[0581] Der erste Beste Er lauschte wieder hinüber; die Thür war nur angelehnt. Las sie? stickte sie? Sollte dem? nicht einmal das Scherchen klappern, oder ein Blatt knistern? Er trat vorsichtig näher und drückte die Thüre auf. Sie saß am Schreib¬ tisch. Die Hand mit der Feder lag unthätig auf der Platte; von ihrem Ge¬ sicht sah er, da sie ihm beinahe den Rücken wandte, uur ein Stück der blassen Wange. Sie blickte unverwandt geradeaus. Das Zimmer in Warnemünde fiel ihm ein, wo sie auch so vor dem Briefblatt gesessen hatte, nur daß er damals ihr betrübtes Gesichtchen hatte sehen können. Sicher war es jetzt nicht fröhlicher. Seit jenem regnerischen Nachmittag war es noch von keinem Sonnenschein wieder erwärmt worden, ausgenommen den kurzen, schrägen Strahl am Abend der Ankunft. Und wie geschwind war der erloschen! Seit¬ dem „versuchten" sie es wieder mit einander. Aber bis jetzt sah es nicht nach Gelingen aus." Leise zog er die Thür wieder heran und trat zurück. „Hinnehmen — Was? Fing er am Ende an weichmütig zu werden? Sentimental? Er dachte nicht dran. „Bekämpfen, was dir leid —" So mußte es bei ihm heißen. Es giebt ja verschiedne Kampfesweisen. Dreinschlagen thuts nicht allemal. Besonders nicht bei so einem kleinen blassen, weinerlichen, geliebten Feind. Und dann: „Hingeben, was dir lieb?" O, du lüttes, dummes Dir- ning! Ich mach mir meine Sprüche selber: „Behalten, was dir lieb, ver¬ teidigen, was dir lieb!" Eines Tages werden wir ja sehen, wer der Stärkere ist. Vorläufig aber — sich mal, da könnten wir ja denselben Heyse noch einmal,, hernehmen. Diesmal soll er aber Recht haben: „Dulde, gedulde dich fein. Über ein Stündlein ist deine Kammer voll Sonne." Als er einige Minuten später auf gewohnte Art bei ihr eintrat, erhob sie sich schnell. Guten Abend, Gretchen, sagte er gelassen freundlich und streckte ihr die Hand hin. Sie legte schüchtern die ihre hinein und erwiderte nur leise und zaghaft seinen Druck. Hast du geschrieben? An deine Mutter? Daun grüße sie herzlich von mir. Ich wollte eben schreiben. Nun, dann will ich dich nicht aufhalten. Er wandte sich wieder zur Thür. Nein, so war es nicht gemeint, sagte sie hastig, du hältst mich nicht auf. Ich kann es eben so gut morgen thun. Er machte eine scherzhaft zuvorkommende Bewegung. Was du thun willst, thue gleich, sagte er mit flüchtigem Lächeln, das ist ein guter Spruch. Ich muß so wie so noch einmal nach meinem Braunen sehen. Also auf Wiedersehen! Er winkte mit der Hand. An der Hausthür traf er mit Hans zusammen. Was ist denn mit dem Gaul? fragte der junge Mann, der die letzten Worte gehört hatte. Ach, nichts besondres; er hat sich beim Sprung über die Dornenhecke heute früh ein bischen am Knie geritzt. Nur Schande halber gehe ich noch mal hinüber. Dann kann ich es ja auch thun.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/581>, abgerufen am 22.12.2024.