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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Italienische Eindrücke

nennt ihn den "Befreier," die Bologneser Kaufmannschaft in der schönen gotischen
Loggia dei Mereanti ein "Wunder von Loyalität" (wiraoolo al I<zg,It>ü). Nächst
dem König hat Garibaldi die meisten Denkmäler erhalten. Auf der Piazza d'Jndi-
pendenza in Verona erscheint er hoch zu Roß, anderwärts, wie in Ravenna,
Padua, Perugia, zu Fuß in der historisch gewordnen Tracht; in Ravenna
hat man sogar seiner Frau Anna Garibaldi ein figurenreiches Denkmal ge¬
widmet, allerdings mehr dem Sinnbilde der patriotischen Italienerin als der
Persönlichkeit. Dagegen scheint der leitende Staatsmann, der das Königreich
Italien in erster Linie geschaffen hat, Graf Cavour, nicht eigentlich volkstüm¬
lich geworden zu sein; sind mir doch, so viel ich mich entsinne, von ihm nur
zwei Denkmäler begegnet, in Padua und im Camposanto von Pisa. Denn
volkstümlich ist nur das Heroische, und dieses kluge, lächelnde, behagliche Diplv-
mcitengesicht hat nichts heroisches. In Rom geht der Gedanke seiner Verwirk¬
lichung entgegen, die aussichtsreiche Passeggiata Margherita auf dem Jani-
culus, die sich in der Via Garibaldi nach dem Trastevere hinuntersenkt, durch
Büsten ihrer Helden in ein großes Denkmal der nationalen Befreiungskampfe
zu verwandeln. Und nun, welche Fülle von Gedenktafeln haben die italie¬
nischen Städte denen gewidmet, die für die Einheit und Freiheit des Vater¬
landes gestorben sind! In Bologna verkünden zwei Marmortafeln an dem
majestätischen Stadthause, dem Sinnbilde altbolognesischer Bürgerherrlichkeit,
die Namen der 1848 bei der Verteidigung der Stadt gefallenen Italiener und
der Bologneser, die 1848 bis 1870 "im Kampfe für die Freiheit Italiens"
umgekommen sind; "das Volk von Ravenna" hat eine solche "seinen Mär¬
tyrern" gewidmet, die "gestorben sind am Galgen oder im Gefängnis oder
in der Verbannung, und gefallen auf dem Schlachtfelde"; in Rom erinnern andre
Inschriften an der Mauer bei der Portal Pia an die beim Augriff vom 20. Sep¬
tember 1370 hier gebliebner achtundvierzig Italiener und an den Einzug des
italienischen Heeres, und oben auf dem Monte Pincio eine höchst realistische
Bronzegruppe an den Kampf bei Monterotondo 1867. Selbst das leichtlebige
Neapel hat die Piazza de Martin dem Gedächtnis der in den vier Revolutionen
gegen die Bourbonen 1799,1820, 1848 und 1860 Gebliebnen geweiht und ihnen
eine hohe Marmorsäule mit der Viktoria inmitten von vier Löwen errichtet.
Durch das ganze Land verbreitet sind auch die Kampfgenosscnvereine der rsäuoi
äöliv Mris dattaglis, die sich bereits rüsten, die fünfundzwanzigjährige Wieder¬
kehr des Tages, wo Rom italienisch und die Einheit des Landes vollendet wurde,
feierlich zu begehen. Als Prophet der nationalen Einheit und Unabhängigkeit
wird vor allem Dante gefeiert. In allen Städten, wo er gelebt hat, in Florenz,
Verona und Ravenna hat er jetzt seine Denkmäler, und im Palazzo vecchio zu
Florenz hängen noch die Fahnen der 343 italienischen Städte, die beim Dantefest
von 1865 hier vertreten waren.

Einem Deutschen erscheinen diese Dinge leicht etwas übertrieben, weil sich


Italienische Eindrücke

nennt ihn den „Befreier," die Bologneser Kaufmannschaft in der schönen gotischen
Loggia dei Mereanti ein „Wunder von Loyalität" (wiraoolo al I<zg,It>ü). Nächst
dem König hat Garibaldi die meisten Denkmäler erhalten. Auf der Piazza d'Jndi-
pendenza in Verona erscheint er hoch zu Roß, anderwärts, wie in Ravenna,
Padua, Perugia, zu Fuß in der historisch gewordnen Tracht; in Ravenna
hat man sogar seiner Frau Anna Garibaldi ein figurenreiches Denkmal ge¬
widmet, allerdings mehr dem Sinnbilde der patriotischen Italienerin als der
Persönlichkeit. Dagegen scheint der leitende Staatsmann, der das Königreich
Italien in erster Linie geschaffen hat, Graf Cavour, nicht eigentlich volkstüm¬
lich geworden zu sein; sind mir doch, so viel ich mich entsinne, von ihm nur
zwei Denkmäler begegnet, in Padua und im Camposanto von Pisa. Denn
volkstümlich ist nur das Heroische, und dieses kluge, lächelnde, behagliche Diplv-
mcitengesicht hat nichts heroisches. In Rom geht der Gedanke seiner Verwirk¬
lichung entgegen, die aussichtsreiche Passeggiata Margherita auf dem Jani-
culus, die sich in der Via Garibaldi nach dem Trastevere hinuntersenkt, durch
Büsten ihrer Helden in ein großes Denkmal der nationalen Befreiungskampfe
zu verwandeln. Und nun, welche Fülle von Gedenktafeln haben die italie¬
nischen Städte denen gewidmet, die für die Einheit und Freiheit des Vater¬
landes gestorben sind! In Bologna verkünden zwei Marmortafeln an dem
majestätischen Stadthause, dem Sinnbilde altbolognesischer Bürgerherrlichkeit,
die Namen der 1848 bei der Verteidigung der Stadt gefallenen Italiener und
der Bologneser, die 1848 bis 1870 „im Kampfe für die Freiheit Italiens"
umgekommen sind; „das Volk von Ravenna" hat eine solche „seinen Mär¬
tyrern" gewidmet, die „gestorben sind am Galgen oder im Gefängnis oder
in der Verbannung, und gefallen auf dem Schlachtfelde"; in Rom erinnern andre
Inschriften an der Mauer bei der Portal Pia an die beim Augriff vom 20. Sep¬
tember 1370 hier gebliebner achtundvierzig Italiener und an den Einzug des
italienischen Heeres, und oben auf dem Monte Pincio eine höchst realistische
Bronzegruppe an den Kampf bei Monterotondo 1867. Selbst das leichtlebige
Neapel hat die Piazza de Martin dem Gedächtnis der in den vier Revolutionen
gegen die Bourbonen 1799,1820, 1848 und 1860 Gebliebnen geweiht und ihnen
eine hohe Marmorsäule mit der Viktoria inmitten von vier Löwen errichtet.
Durch das ganze Land verbreitet sind auch die Kampfgenosscnvereine der rsäuoi
äöliv Mris dattaglis, die sich bereits rüsten, die fünfundzwanzigjährige Wieder¬
kehr des Tages, wo Rom italienisch und die Einheit des Landes vollendet wurde,
feierlich zu begehen. Als Prophet der nationalen Einheit und Unabhängigkeit
wird vor allem Dante gefeiert. In allen Städten, wo er gelebt hat, in Florenz,
Verona und Ravenna hat er jetzt seine Denkmäler, und im Palazzo vecchio zu
Florenz hängen noch die Fahnen der 343 italienischen Städte, die beim Dantefest
von 1865 hier vertreten waren.

Einem Deutschen erscheinen diese Dinge leicht etwas übertrieben, weil sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/573>, abgerufen am 25.08.2024.