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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Italienische Lindrücke

der jahrhundertelang die Inquisition geleitet hat, gefallen lassen müssen, daß
man den Platz vor der Kirche, die seine prachtvolle Grabkapelle birgt, nach
Galileo nannte. Aber viele große Familien halten an den alten Beziehungen,
die sie mit einzelnen Kirchen und Orden verbinden, durchaus sest. Die Borghese
z. B. haben ihre besondre Grabkapelle in der Santa Maria Maggiore, die
Tortona die ihrige im Lateran, und beide haben sie bis in die neueste Zeit mit
immer neuen Denkmälern geschmückt. Gemeinden wie Florenz und Pisa be¬
nutzen noch heute kirchliche Gebäude, jenes Santa Croce, das florentinische
Pantheon, dieses den malerischen Kreuzgang des alten Camposanto, um ver¬
dienten Mitbürgern ein künstlerisches Andenken zu stiften. So ist in Santa
Croce Bellino Nieasoli verherrlicht, der 1859 die Volksbewegung in Toskana
leitete, und derselbe Kreuzgang enthält eine Tafel zum Andenken an die 1859/60
xsl 1'isog.tlo ä'Italig. gefallnen Florentiner. Wie groß besonders die Macht der
städtischen Mönchsorden über die Bevölkerung gewesen ist und vielleicht noch
immer ist, das sieht man nirgends deutlicher als in dem alten Franziskaner¬
kloster zu Santa Croce und in San Marco, dem Sitze der Dominikaner in
Florenz.

Scheinbar im Widerspruch damit steht das Verfahren, das der junge
italienische Staat seit 1860 gegen die Kirche eingeschlagen hat. In Masse
sind die Klöster aufgehoben, ihre Gebäude und ihr Grundbesitz -- wahrschein¬
lich meist sehr billig -- an Privatleute verkauft oder für Staatszwecke, für
Kasernen und Schulen, in Anspruch genommen oder die Gebäude, wenn sie
künstlerisch und historisch von besondrer Bedeutung waren, als Nationalmuseen
vom Staate übernommen worden. Das letztere gilt z. B. von San Marco,
dem ehrwürdigen Kloster Savonarolas in Florenz, und von der herrlichen
Kartause San Martino am Fuße des Kastells San Elmo hoch über Neapel.
Ein Teil der Klostergebäude von Santa Croce ist jetzt Kadettenhaus, die
Kartause auf Capri Kaserne. Selbst so altehrwürdige Stiftungen wie Monte
Cassino, das Mutterkloster der Benediktiner, oder den Gran Convento des
heiligen Franziskus in Assise (im Unterschied von dem Kloster von Santa
Maria degli Angeli unterhalb der Stadt, dem ursprünglichen Wohnsitze des
Ordensstifters) hat man nicht verschont. Zuweilen ist später eine Art von
Reaktion eingetreten. Auf Monte Cassino besteht jetzt eine Erziehungsanstalt
der Benediktiner. In Assise Hansen wieder Franziskaner neben dem staatlichen
Seminar für Lehrersöhne, auf dem aussichtberühmten Camaldoli über Neapel
sind wieder Kartäuser eingezogen, da der gegenwärtige Besitzer der klerikalen
Partei angehört und natürlich über sein Eigentum frei verfügen kann. Selbst
Neugründungen von Klöstern sind keineswegs selten. In Rom haben die
Franziskaner einen gewaltigen Neubau an der Via Merulana unweit der
Santa Maria Maggiore aufgeführt, und auf dem Aventin steigt ein mächtiges
Benediktinerkloster empor.


Italienische Lindrücke

der jahrhundertelang die Inquisition geleitet hat, gefallen lassen müssen, daß
man den Platz vor der Kirche, die seine prachtvolle Grabkapelle birgt, nach
Galileo nannte. Aber viele große Familien halten an den alten Beziehungen,
die sie mit einzelnen Kirchen und Orden verbinden, durchaus sest. Die Borghese
z. B. haben ihre besondre Grabkapelle in der Santa Maria Maggiore, die
Tortona die ihrige im Lateran, und beide haben sie bis in die neueste Zeit mit
immer neuen Denkmälern geschmückt. Gemeinden wie Florenz und Pisa be¬
nutzen noch heute kirchliche Gebäude, jenes Santa Croce, das florentinische
Pantheon, dieses den malerischen Kreuzgang des alten Camposanto, um ver¬
dienten Mitbürgern ein künstlerisches Andenken zu stiften. So ist in Santa
Croce Bellino Nieasoli verherrlicht, der 1859 die Volksbewegung in Toskana
leitete, und derselbe Kreuzgang enthält eine Tafel zum Andenken an die 1859/60
xsl 1'isog.tlo ä'Italig. gefallnen Florentiner. Wie groß besonders die Macht der
städtischen Mönchsorden über die Bevölkerung gewesen ist und vielleicht noch
immer ist, das sieht man nirgends deutlicher als in dem alten Franziskaner¬
kloster zu Santa Croce und in San Marco, dem Sitze der Dominikaner in
Florenz.

Scheinbar im Widerspruch damit steht das Verfahren, das der junge
italienische Staat seit 1860 gegen die Kirche eingeschlagen hat. In Masse
sind die Klöster aufgehoben, ihre Gebäude und ihr Grundbesitz — wahrschein¬
lich meist sehr billig — an Privatleute verkauft oder für Staatszwecke, für
Kasernen und Schulen, in Anspruch genommen oder die Gebäude, wenn sie
künstlerisch und historisch von besondrer Bedeutung waren, als Nationalmuseen
vom Staate übernommen worden. Das letztere gilt z. B. von San Marco,
dem ehrwürdigen Kloster Savonarolas in Florenz, und von der herrlichen
Kartause San Martino am Fuße des Kastells San Elmo hoch über Neapel.
Ein Teil der Klostergebäude von Santa Croce ist jetzt Kadettenhaus, die
Kartause auf Capri Kaserne. Selbst so altehrwürdige Stiftungen wie Monte
Cassino, das Mutterkloster der Benediktiner, oder den Gran Convento des
heiligen Franziskus in Assise (im Unterschied von dem Kloster von Santa
Maria degli Angeli unterhalb der Stadt, dem ursprünglichen Wohnsitze des
Ordensstifters) hat man nicht verschont. Zuweilen ist später eine Art von
Reaktion eingetreten. Auf Monte Cassino besteht jetzt eine Erziehungsanstalt
der Benediktiner. In Assise Hansen wieder Franziskaner neben dem staatlichen
Seminar für Lehrersöhne, auf dem aussichtberühmten Camaldoli über Neapel
sind wieder Kartäuser eingezogen, da der gegenwärtige Besitzer der klerikalen
Partei angehört und natürlich über sein Eigentum frei verfügen kann. Selbst
Neugründungen von Klöstern sind keineswegs selten. In Rom haben die
Franziskaner einen gewaltigen Neubau an der Via Merulana unweit der
Santa Maria Maggiore aufgeführt, und auf dem Aventin steigt ein mächtiges
Benediktinerkloster empor.


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[0570] Italienische Lindrücke der jahrhundertelang die Inquisition geleitet hat, gefallen lassen müssen, daß man den Platz vor der Kirche, die seine prachtvolle Grabkapelle birgt, nach Galileo nannte. Aber viele große Familien halten an den alten Beziehungen, die sie mit einzelnen Kirchen und Orden verbinden, durchaus sest. Die Borghese z. B. haben ihre besondre Grabkapelle in der Santa Maria Maggiore, die Tortona die ihrige im Lateran, und beide haben sie bis in die neueste Zeit mit immer neuen Denkmälern geschmückt. Gemeinden wie Florenz und Pisa be¬ nutzen noch heute kirchliche Gebäude, jenes Santa Croce, das florentinische Pantheon, dieses den malerischen Kreuzgang des alten Camposanto, um ver¬ dienten Mitbürgern ein künstlerisches Andenken zu stiften. So ist in Santa Croce Bellino Nieasoli verherrlicht, der 1859 die Volksbewegung in Toskana leitete, und derselbe Kreuzgang enthält eine Tafel zum Andenken an die 1859/60 xsl 1'isog.tlo ä'Italig. gefallnen Florentiner. Wie groß besonders die Macht der städtischen Mönchsorden über die Bevölkerung gewesen ist und vielleicht noch immer ist, das sieht man nirgends deutlicher als in dem alten Franziskaner¬ kloster zu Santa Croce und in San Marco, dem Sitze der Dominikaner in Florenz. Scheinbar im Widerspruch damit steht das Verfahren, das der junge italienische Staat seit 1860 gegen die Kirche eingeschlagen hat. In Masse sind die Klöster aufgehoben, ihre Gebäude und ihr Grundbesitz — wahrschein¬ lich meist sehr billig — an Privatleute verkauft oder für Staatszwecke, für Kasernen und Schulen, in Anspruch genommen oder die Gebäude, wenn sie künstlerisch und historisch von besondrer Bedeutung waren, als Nationalmuseen vom Staate übernommen worden. Das letztere gilt z. B. von San Marco, dem ehrwürdigen Kloster Savonarolas in Florenz, und von der herrlichen Kartause San Martino am Fuße des Kastells San Elmo hoch über Neapel. Ein Teil der Klostergebäude von Santa Croce ist jetzt Kadettenhaus, die Kartause auf Capri Kaserne. Selbst so altehrwürdige Stiftungen wie Monte Cassino, das Mutterkloster der Benediktiner, oder den Gran Convento des heiligen Franziskus in Assise (im Unterschied von dem Kloster von Santa Maria degli Angeli unterhalb der Stadt, dem ursprünglichen Wohnsitze des Ordensstifters) hat man nicht verschont. Zuweilen ist später eine Art von Reaktion eingetreten. Auf Monte Cassino besteht jetzt eine Erziehungsanstalt der Benediktiner. In Assise Hansen wieder Franziskaner neben dem staatlichen Seminar für Lehrersöhne, auf dem aussichtberühmten Camaldoli über Neapel sind wieder Kartäuser eingezogen, da der gegenwärtige Besitzer der klerikalen Partei angehört und natürlich über sein Eigentum frei verfügen kann. Selbst Neugründungen von Klöstern sind keineswegs selten. In Rom haben die Franziskaner einen gewaltigen Neubau an der Via Merulana unweit der Santa Maria Maggiore aufgeführt, und auf dem Aventin steigt ein mächtiges Benediktinerkloster empor.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/570>, abgerufen am 25.08.2024.