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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Italienische Lindrücke

die ganze übrige Kirche fast völlig dunkel war und nur das Laoro ssxolvro
aus einer Seitenkapelle im Lichterglanz erstrahlte. Auch bei andern Festen versteht
es die Kirche vorzüglich, durch Prachtentfaltung die Phantasie zu fesseln. So
wurde am 5. Mai das Fest des heiligen Joseph begangen, den Papst Pius IX.
zum Schutzpatron der gesamten Kirche erhoben hat, in einzelnen Kirchen, die
besondern Ablaß erhalten hatten, wie San Marcello am Corso, besonders
glänzend. Während dort ein Dominikaner mit einer außerordentlich klangvollen
Stimme und in einem Italienisch, das nur anzuhören schon ein Vergnügen
war, vor dichtgedrängter Zuhörerschaft über das Leben des "Pflegevaters"
Jesu predigte, indem er das Wort Christi zu Grunde legte: "Selig sind, die
um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden, denn das Himmelreich ist ihr,"
entzündeten sich allmählich Hunderte von Kerzen auf funkelnden Kronleuchtern
längs der Pfeiler des Schiffes und im vier- oder fünffach übereinander auf¬
steigenden Bogen über dem Hochaltar, bis die ganze, bis dahin halbdunkle
Kirche in einem wahren Lichtmeere schwamm. In diesem Augenblicke forderte
der Redner, seine Ansprache schließend, die Zuhörer auf, den heiligen Joseph
anzurufen, worauf alles, dem Altar zugewandt, auf die Kniee fiel. Da die
Kirchen stets geöffnet und allen, auch wenn sie kein hochzeitlich Gewand tragen,
selbst dem zerlumptesten Bettler stets zugänglich sind, so hat der Sonntag
anch nicht die Bedeutung wie in protestantischen Ländern, wo er sich auch
äußerlich so scharf vom Werktag scheidet; vielmehr steigert sich da eher das
Straßenleben, und alle Läden sind mindestens am Vormittag offen.

Daß das Volk fest an seiner Kirche hängt, die seiner Sinnesart so sehr
entgegenkommt, ist gar nicht zweifelhaft; von den gebildeten Ständen darf man
das von den Frauen ohne weiteres annehmen, von der Königin ist es allge¬
mein bekannt. Unter den dichtgedrängten Andächtigen, die am Karfreitag die
Stufen der Scala santa auf den Knieen erklommen, gab es nicht wenige Damen.
Von den Männern wird man dasselbe freilich nicht behaupten können, sie sind
wohl größtenteils einer glaubenslosen Freigeisterei verfallen, wie in allen ro¬
manischen Ländern. Ob freilich die Freimaurerei (Massoneria) in Italien wirk¬
lich die Bedeutung hat, die ihr ein klerikales Blatt, I^a veia Roms, gelegent¬
lich zuschrieb, indem es in einem leidenschaftlichen Artikel unter der Überschrift:
DölsuäÄ <nark,og.Z0 für die Vernichtung dieser teufelanbetenden "Sekte" eintrat
mit dem Schlußsätze: xsr darf 1'Itg.Ua disoZng. distars 1a söttg. (um Italien
zu schaffen, muß man die Sekte vernichten), mag dahingestellt bleiben. Eine
gewisse Rücksichtslosigkeit gegen die kirchlichen Traditionen fällt allerdings
zuweilen auf. In Rom hat dem 1600 zum Feuertode verurteilten Philosophen
Giordano Bruno auf dem Campo ti Fiore 11 ssoolo ctg, lui äiviuaw ein
Denkmal gesetzt auf der Stelle, clove it rvZo arss (wo der Scheiterhaufen
brannte); nach demselben Ketzer heißt jetzt in Perugia der Platz vor dem alten
Dominikanerkloster, und in Bologna hat sich sogar der Stifter dieses Ordens,


Grenzboten II 1895 71
Italienische Lindrücke

die ganze übrige Kirche fast völlig dunkel war und nur das Laoro ssxolvro
aus einer Seitenkapelle im Lichterglanz erstrahlte. Auch bei andern Festen versteht
es die Kirche vorzüglich, durch Prachtentfaltung die Phantasie zu fesseln. So
wurde am 5. Mai das Fest des heiligen Joseph begangen, den Papst Pius IX.
zum Schutzpatron der gesamten Kirche erhoben hat, in einzelnen Kirchen, die
besondern Ablaß erhalten hatten, wie San Marcello am Corso, besonders
glänzend. Während dort ein Dominikaner mit einer außerordentlich klangvollen
Stimme und in einem Italienisch, das nur anzuhören schon ein Vergnügen
war, vor dichtgedrängter Zuhörerschaft über das Leben des „Pflegevaters"
Jesu predigte, indem er das Wort Christi zu Grunde legte: „Selig sind, die
um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden, denn das Himmelreich ist ihr,"
entzündeten sich allmählich Hunderte von Kerzen auf funkelnden Kronleuchtern
längs der Pfeiler des Schiffes und im vier- oder fünffach übereinander auf¬
steigenden Bogen über dem Hochaltar, bis die ganze, bis dahin halbdunkle
Kirche in einem wahren Lichtmeere schwamm. In diesem Augenblicke forderte
der Redner, seine Ansprache schließend, die Zuhörer auf, den heiligen Joseph
anzurufen, worauf alles, dem Altar zugewandt, auf die Kniee fiel. Da die
Kirchen stets geöffnet und allen, auch wenn sie kein hochzeitlich Gewand tragen,
selbst dem zerlumptesten Bettler stets zugänglich sind, so hat der Sonntag
anch nicht die Bedeutung wie in protestantischen Ländern, wo er sich auch
äußerlich so scharf vom Werktag scheidet; vielmehr steigert sich da eher das
Straßenleben, und alle Läden sind mindestens am Vormittag offen.

Daß das Volk fest an seiner Kirche hängt, die seiner Sinnesart so sehr
entgegenkommt, ist gar nicht zweifelhaft; von den gebildeten Ständen darf man
das von den Frauen ohne weiteres annehmen, von der Königin ist es allge¬
mein bekannt. Unter den dichtgedrängten Andächtigen, die am Karfreitag die
Stufen der Scala santa auf den Knieen erklommen, gab es nicht wenige Damen.
Von den Männern wird man dasselbe freilich nicht behaupten können, sie sind
wohl größtenteils einer glaubenslosen Freigeisterei verfallen, wie in allen ro¬
manischen Ländern. Ob freilich die Freimaurerei (Massoneria) in Italien wirk¬
lich die Bedeutung hat, die ihr ein klerikales Blatt, I^a veia Roms, gelegent¬
lich zuschrieb, indem es in einem leidenschaftlichen Artikel unter der Überschrift:
DölsuäÄ <nark,og.Z0 für die Vernichtung dieser teufelanbetenden „Sekte" eintrat
mit dem Schlußsätze: xsr darf 1'Itg.Ua disoZng. distars 1a söttg. (um Italien
zu schaffen, muß man die Sekte vernichten), mag dahingestellt bleiben. Eine
gewisse Rücksichtslosigkeit gegen die kirchlichen Traditionen fällt allerdings
zuweilen auf. In Rom hat dem 1600 zum Feuertode verurteilten Philosophen
Giordano Bruno auf dem Campo ti Fiore 11 ssoolo ctg, lui äiviuaw ein
Denkmal gesetzt auf der Stelle, clove it rvZo arss (wo der Scheiterhaufen
brannte); nach demselben Ketzer heißt jetzt in Perugia der Platz vor dem alten
Dominikanerkloster, und in Bologna hat sich sogar der Stifter dieses Ordens,


Grenzboten II 1895 71
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[0569] Italienische Lindrücke die ganze übrige Kirche fast völlig dunkel war und nur das Laoro ssxolvro aus einer Seitenkapelle im Lichterglanz erstrahlte. Auch bei andern Festen versteht es die Kirche vorzüglich, durch Prachtentfaltung die Phantasie zu fesseln. So wurde am 5. Mai das Fest des heiligen Joseph begangen, den Papst Pius IX. zum Schutzpatron der gesamten Kirche erhoben hat, in einzelnen Kirchen, die besondern Ablaß erhalten hatten, wie San Marcello am Corso, besonders glänzend. Während dort ein Dominikaner mit einer außerordentlich klangvollen Stimme und in einem Italienisch, das nur anzuhören schon ein Vergnügen war, vor dichtgedrängter Zuhörerschaft über das Leben des „Pflegevaters" Jesu predigte, indem er das Wort Christi zu Grunde legte: „Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden, denn das Himmelreich ist ihr," entzündeten sich allmählich Hunderte von Kerzen auf funkelnden Kronleuchtern längs der Pfeiler des Schiffes und im vier- oder fünffach übereinander auf¬ steigenden Bogen über dem Hochaltar, bis die ganze, bis dahin halbdunkle Kirche in einem wahren Lichtmeere schwamm. In diesem Augenblicke forderte der Redner, seine Ansprache schließend, die Zuhörer auf, den heiligen Joseph anzurufen, worauf alles, dem Altar zugewandt, auf die Kniee fiel. Da die Kirchen stets geöffnet und allen, auch wenn sie kein hochzeitlich Gewand tragen, selbst dem zerlumptesten Bettler stets zugänglich sind, so hat der Sonntag anch nicht die Bedeutung wie in protestantischen Ländern, wo er sich auch äußerlich so scharf vom Werktag scheidet; vielmehr steigert sich da eher das Straßenleben, und alle Läden sind mindestens am Vormittag offen. Daß das Volk fest an seiner Kirche hängt, die seiner Sinnesart so sehr entgegenkommt, ist gar nicht zweifelhaft; von den gebildeten Ständen darf man das von den Frauen ohne weiteres annehmen, von der Königin ist es allge¬ mein bekannt. Unter den dichtgedrängten Andächtigen, die am Karfreitag die Stufen der Scala santa auf den Knieen erklommen, gab es nicht wenige Damen. Von den Männern wird man dasselbe freilich nicht behaupten können, sie sind wohl größtenteils einer glaubenslosen Freigeisterei verfallen, wie in allen ro¬ manischen Ländern. Ob freilich die Freimaurerei (Massoneria) in Italien wirk¬ lich die Bedeutung hat, die ihr ein klerikales Blatt, I^a veia Roms, gelegent¬ lich zuschrieb, indem es in einem leidenschaftlichen Artikel unter der Überschrift: DölsuäÄ <nark,og.Z0 für die Vernichtung dieser teufelanbetenden „Sekte" eintrat mit dem Schlußsätze: xsr darf 1'Itg.Ua disoZng. distars 1a söttg. (um Italien zu schaffen, muß man die Sekte vernichten), mag dahingestellt bleiben. Eine gewisse Rücksichtslosigkeit gegen die kirchlichen Traditionen fällt allerdings zuweilen auf. In Rom hat dem 1600 zum Feuertode verurteilten Philosophen Giordano Bruno auf dem Campo ti Fiore 11 ssoolo ctg, lui äiviuaw ein Denkmal gesetzt auf der Stelle, clove it rvZo arss (wo der Scheiterhaufen brannte); nach demselben Ketzer heißt jetzt in Perugia der Platz vor dem alten Dominikanerkloster, und in Bologna hat sich sogar der Stifter dieses Ordens, Grenzboten II 1895 71

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/569>, abgerufen am 25.08.2024.