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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Ums liebe Brot

Eisenbahnen und Straßenbahnen, wozu errichten wir Telegraphen und Tele¬
phone? Doch nicht aus Sportgelüsten. Wir wollen uns die Arbeit abkürzen
und erleichtern. Die Eisenbahnen haben Tausende von Rollfuhrfrachtleuteu mit
ihren Gäulen überflüssig gemacht; die Telephone haben dasselbe mit den Boten
und Hausknechten gethan; jede Maschine ist mit den Arbeitskräften der Men¬
schen ebenso verfahren. Und doch, wer möchte das eine oder andre wieder
vernichten oder doch missen?

In wirtschaftlichen Streitfragen urteilt man immer am besten, wenn man
sich auf den Sessel eines Ministers denkt -- nicht wünscht! --, sich dann die
zu entscheidende Frage vorlegt und aus dem Gefühl der vollen Verantwort¬
lichkeit heraus die Antwort sucht. Ein Brotininister, der die Aufgabe hätte,
den fünfzig Millionen Deutschen das beste und billigste Brot zu liefern, würde
in der Wahl seiner Mittel wohl nicht lange schwanken. Er brauchte nicht
Stadt für Stadt zu bereisen, um die heutigen Fehler der Versorgungsweise
kennen zu lernen. Jede einzelne, mag sie im Norden oder im Süden liegen,
hat soviel schadhafte Stellen, daß er schon am ersten Tage in früher Morgen¬
stunde Material genug hätte für eine Brotrevolution.

Soll diese Brotrevolution zunächst "ohne Blutvergießen" ablaufen, dann
giebt es noch ein andres, allerdings nicht ganz so wirksames Mittel: ein Ver¬
trag zwischen der landwirtschaftlichen Genossenschaft und den bestehenden größern,
luftig, reinlich und mit den notwendigsten Hilfsmitteln eingerichteten Bäcke¬
reien. Es liegt mir ganz fern, den Bäckern Brotwucher vorzuwerfen. Wo un¬
verhältnismäßig hohe Brot- und Semmelpreise gefordert werden, da sind we¬
niger die Bäcker schuld als die Brotverteiler, die Vrotausträger, kurz der
Zwischenhandel. Würde dieser aufgehoben, und würde die Brotverteilung, be¬
sonders in den größern Städten, nach fester Ordnung Haus für Haus vorge¬
nommen, so würde allein dadurch schon bedeutend gespart werden. Die Bäcker
unter sich aber würden, da sie einen einzigen Abnehmer hätten, angespornt
werden, die Umwandlung des Mehles in Brot so gut und so preiswert aus¬
zuführen, als es der beste unter ihnen kann. Auch bei einer solchen Ordnung
würde jeder seine Kräfte entwickeln können, und wo die Genossenschaft sähe,
daß ein Bueler die Fähigkeit und den guten Willen hätte, das beste zu liefern,
würde sie ihm, wenn ihm Barmittel fehlen, mit Kredit zum Anlauf von Hilfs¬
maschinen an die Hand gehen können. Die Bäcker in den Großstädten und
in den mittlern Städten würden in den meisten Fällen mit Vergnügen bereit
sein, ihre ganze Vackware an einer Stelle zu lassen; wären sie doch dann von
den Drängeleien ihrer Brotleute nach immer höhern Nabattsätzen befreit.

Habe ich noch nötig, Beweise dafür zu liefern, daß das Sinken der Ge¬
treidepreise in den meisten Fällen nur einen sehr geringen Einfluß auf den Preis
des Brotes und überhaupt der Backware habe? Ich will nur auf eine Tabelle
gemeindeamtlicher Erhebungen aus Österreich verweisen, die die Getreide- und


Ums liebe Brot

Eisenbahnen und Straßenbahnen, wozu errichten wir Telegraphen und Tele¬
phone? Doch nicht aus Sportgelüsten. Wir wollen uns die Arbeit abkürzen
und erleichtern. Die Eisenbahnen haben Tausende von Rollfuhrfrachtleuteu mit
ihren Gäulen überflüssig gemacht; die Telephone haben dasselbe mit den Boten
und Hausknechten gethan; jede Maschine ist mit den Arbeitskräften der Men¬
schen ebenso verfahren. Und doch, wer möchte das eine oder andre wieder
vernichten oder doch missen?

In wirtschaftlichen Streitfragen urteilt man immer am besten, wenn man
sich auf den Sessel eines Ministers denkt — nicht wünscht! —, sich dann die
zu entscheidende Frage vorlegt und aus dem Gefühl der vollen Verantwort¬
lichkeit heraus die Antwort sucht. Ein Brotininister, der die Aufgabe hätte,
den fünfzig Millionen Deutschen das beste und billigste Brot zu liefern, würde
in der Wahl seiner Mittel wohl nicht lange schwanken. Er brauchte nicht
Stadt für Stadt zu bereisen, um die heutigen Fehler der Versorgungsweise
kennen zu lernen. Jede einzelne, mag sie im Norden oder im Süden liegen,
hat soviel schadhafte Stellen, daß er schon am ersten Tage in früher Morgen¬
stunde Material genug hätte für eine Brotrevolution.

Soll diese Brotrevolution zunächst „ohne Blutvergießen" ablaufen, dann
giebt es noch ein andres, allerdings nicht ganz so wirksames Mittel: ein Ver¬
trag zwischen der landwirtschaftlichen Genossenschaft und den bestehenden größern,
luftig, reinlich und mit den notwendigsten Hilfsmitteln eingerichteten Bäcke¬
reien. Es liegt mir ganz fern, den Bäckern Brotwucher vorzuwerfen. Wo un¬
verhältnismäßig hohe Brot- und Semmelpreise gefordert werden, da sind we¬
niger die Bäcker schuld als die Brotverteiler, die Vrotausträger, kurz der
Zwischenhandel. Würde dieser aufgehoben, und würde die Brotverteilung, be¬
sonders in den größern Städten, nach fester Ordnung Haus für Haus vorge¬
nommen, so würde allein dadurch schon bedeutend gespart werden. Die Bäcker
unter sich aber würden, da sie einen einzigen Abnehmer hätten, angespornt
werden, die Umwandlung des Mehles in Brot so gut und so preiswert aus¬
zuführen, als es der beste unter ihnen kann. Auch bei einer solchen Ordnung
würde jeder seine Kräfte entwickeln können, und wo die Genossenschaft sähe,
daß ein Bueler die Fähigkeit und den guten Willen hätte, das beste zu liefern,
würde sie ihm, wenn ihm Barmittel fehlen, mit Kredit zum Anlauf von Hilfs¬
maschinen an die Hand gehen können. Die Bäcker in den Großstädten und
in den mittlern Städten würden in den meisten Fällen mit Vergnügen bereit
sein, ihre ganze Vackware an einer Stelle zu lassen; wären sie doch dann von
den Drängeleien ihrer Brotleute nach immer höhern Nabattsätzen befreit.

Habe ich noch nötig, Beweise dafür zu liefern, daß das Sinken der Ge¬
treidepreise in den meisten Fällen nur einen sehr geringen Einfluß auf den Preis
des Brotes und überhaupt der Backware habe? Ich will nur auf eine Tabelle
gemeindeamtlicher Erhebungen aus Österreich verweisen, die die Getreide- und


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[0555] Ums liebe Brot Eisenbahnen und Straßenbahnen, wozu errichten wir Telegraphen und Tele¬ phone? Doch nicht aus Sportgelüsten. Wir wollen uns die Arbeit abkürzen und erleichtern. Die Eisenbahnen haben Tausende von Rollfuhrfrachtleuteu mit ihren Gäulen überflüssig gemacht; die Telephone haben dasselbe mit den Boten und Hausknechten gethan; jede Maschine ist mit den Arbeitskräften der Men¬ schen ebenso verfahren. Und doch, wer möchte das eine oder andre wieder vernichten oder doch missen? In wirtschaftlichen Streitfragen urteilt man immer am besten, wenn man sich auf den Sessel eines Ministers denkt — nicht wünscht! —, sich dann die zu entscheidende Frage vorlegt und aus dem Gefühl der vollen Verantwort¬ lichkeit heraus die Antwort sucht. Ein Brotininister, der die Aufgabe hätte, den fünfzig Millionen Deutschen das beste und billigste Brot zu liefern, würde in der Wahl seiner Mittel wohl nicht lange schwanken. Er brauchte nicht Stadt für Stadt zu bereisen, um die heutigen Fehler der Versorgungsweise kennen zu lernen. Jede einzelne, mag sie im Norden oder im Süden liegen, hat soviel schadhafte Stellen, daß er schon am ersten Tage in früher Morgen¬ stunde Material genug hätte für eine Brotrevolution. Soll diese Brotrevolution zunächst „ohne Blutvergießen" ablaufen, dann giebt es noch ein andres, allerdings nicht ganz so wirksames Mittel: ein Ver¬ trag zwischen der landwirtschaftlichen Genossenschaft und den bestehenden größern, luftig, reinlich und mit den notwendigsten Hilfsmitteln eingerichteten Bäcke¬ reien. Es liegt mir ganz fern, den Bäckern Brotwucher vorzuwerfen. Wo un¬ verhältnismäßig hohe Brot- und Semmelpreise gefordert werden, da sind we¬ niger die Bäcker schuld als die Brotverteiler, die Vrotausträger, kurz der Zwischenhandel. Würde dieser aufgehoben, und würde die Brotverteilung, be¬ sonders in den größern Städten, nach fester Ordnung Haus für Haus vorge¬ nommen, so würde allein dadurch schon bedeutend gespart werden. Die Bäcker unter sich aber würden, da sie einen einzigen Abnehmer hätten, angespornt werden, die Umwandlung des Mehles in Brot so gut und so preiswert aus¬ zuführen, als es der beste unter ihnen kann. Auch bei einer solchen Ordnung würde jeder seine Kräfte entwickeln können, und wo die Genossenschaft sähe, daß ein Bueler die Fähigkeit und den guten Willen hätte, das beste zu liefern, würde sie ihm, wenn ihm Barmittel fehlen, mit Kredit zum Anlauf von Hilfs¬ maschinen an die Hand gehen können. Die Bäcker in den Großstädten und in den mittlern Städten würden in den meisten Fällen mit Vergnügen bereit sein, ihre ganze Vackware an einer Stelle zu lassen; wären sie doch dann von den Drängeleien ihrer Brotleute nach immer höhern Nabattsätzen befreit. Habe ich noch nötig, Beweise dafür zu liefern, daß das Sinken der Ge¬ treidepreise in den meisten Fällen nur einen sehr geringen Einfluß auf den Preis des Brotes und überhaupt der Backware habe? Ich will nur auf eine Tabelle gemeindeamtlicher Erhebungen aus Österreich verweisen, die die Getreide- und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/555>, abgerufen am 22.12.2024.