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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Ums liebe Brot

als bisher, und davon wird wieder die natürliche Folge sein, daß eine
große Zahl Arbeiter arbeitslos wird. Was durch die Wegverkürznng jetzt
20 Dampfer befördern, dazu waren bei dem weiten und gefahrvollen Wege
um Skagen -- daher langsames Fahren -- 25 Dampfer nötig; es werden
also mindestens 20 Prozent aller heutigen Dampfer auf diesem Verkehrswege
außer Thätigkeit treten.

Denn an der Ostseeküste giebt es keine Hinterländer, die nun auf einmal
konsumkräftiger gemacht werden könnten dadurch, daß die Güter um den
Bruchteil eines Pfennigs billiger zu ihnen kommen, und wenn auch die vom
Westen nach dem Osten führenden Bahnen nun an die Schifffahrt einen größern
Teil ihrer Güter werden abgeben müssen, so wird das doch daran nichts ändern
können, daß Arbeitskräfte überflüssig werden. Vielleicht werden sich Bahn und
Schisffcchrt in die Arbeiterentlassungen teilen, aber überflüssig werden viele,
das hat man gewußt, und das hat man gewollt. Man giebt nicht 156 Mil¬
lionen Mark aus, wenn man nicht weiß, daß man sie hinterher durch ver¬
größerte Leistungsfähigkeit des Betriebs wieder hereinholen kann. (In der
kürzlich veröffentlichten Denkschrift über den Kanal heißt es ausdrücklich, "daß
ihn das Reich großenteils zu dem Zwecke gebaut hat, der Schifffahrt Er¬
leichterungen zu gewähren." Thatsächlich stellt man auch an Baukosten nur
51 Millionen für militärische, den Rest, also 105 Millionen, für wirtschaftliche
Zwecke ein.)

Aber es wird und kann sich mit gutem Gewissen keiner erheben und sagen,
es wäre besser gewesen, der Kanal wäre nicht gebaut worden, weil nun das
Heer der Arbeitslosen wieder verstärkt werde. Jeder wird sich der Vollendung
freuen, jeder wird den Bau als ein Kulturwerk feiern, und so wird in das
Festländer kaum das leiseste Grollen hineinklingen. Es ist nun einmal so
in der Welt, daß Rücksichten auf den Einzelnen große Thaten nicht stören
dürfen.

Als in diesen Blättern vor einigen Wochen (in Heft 16) in einem Auf¬
sätze, der "Sparsamkeit und Selbsthilfe" überschrieben war, kurz und bündig
und an der Hand von Zahlen nachgewiesen wurde, daß es die Landwirte
ganz in ihrer Hand hätten, sich einen höhern Getreidepreis zu sichern, wenn
sie genossenschaftlich und im Großbetriebe das Brot- und Semmelbacken über¬
nahmen, da hat man von einigen Seiten vor der Vermehrung der Arbeits¬
losigkeit gewarnt. Man hat dem Verfasser nicht bestreiten können, daß dieses
Mittel der Selbsthilfe wirksam sein würde, aber man hat Angst um alle die
Menschen, die in den heutigen Splitterbetrieben für bares Geld Scheinarbeit
thun, und man weiß nicht, was mit diesen werden soll.

Hierzu möchte ich noch ein paar Worte sagen. Wie man es beim Nord-
vstscekanal in den Kauf nehmen muß, daß dort Arbeiter frei werden, weil
andre leistungsfähiger werden, so wird man es auch in den Kauf nehmen


Ums liebe Brot

als bisher, und davon wird wieder die natürliche Folge sein, daß eine
große Zahl Arbeiter arbeitslos wird. Was durch die Wegverkürznng jetzt
20 Dampfer befördern, dazu waren bei dem weiten und gefahrvollen Wege
um Skagen — daher langsames Fahren — 25 Dampfer nötig; es werden
also mindestens 20 Prozent aller heutigen Dampfer auf diesem Verkehrswege
außer Thätigkeit treten.

Denn an der Ostseeküste giebt es keine Hinterländer, die nun auf einmal
konsumkräftiger gemacht werden könnten dadurch, daß die Güter um den
Bruchteil eines Pfennigs billiger zu ihnen kommen, und wenn auch die vom
Westen nach dem Osten führenden Bahnen nun an die Schifffahrt einen größern
Teil ihrer Güter werden abgeben müssen, so wird das doch daran nichts ändern
können, daß Arbeitskräfte überflüssig werden. Vielleicht werden sich Bahn und
Schisffcchrt in die Arbeiterentlassungen teilen, aber überflüssig werden viele,
das hat man gewußt, und das hat man gewollt. Man giebt nicht 156 Mil¬
lionen Mark aus, wenn man nicht weiß, daß man sie hinterher durch ver¬
größerte Leistungsfähigkeit des Betriebs wieder hereinholen kann. (In der
kürzlich veröffentlichten Denkschrift über den Kanal heißt es ausdrücklich, „daß
ihn das Reich großenteils zu dem Zwecke gebaut hat, der Schifffahrt Er¬
leichterungen zu gewähren." Thatsächlich stellt man auch an Baukosten nur
51 Millionen für militärische, den Rest, also 105 Millionen, für wirtschaftliche
Zwecke ein.)

Aber es wird und kann sich mit gutem Gewissen keiner erheben und sagen,
es wäre besser gewesen, der Kanal wäre nicht gebaut worden, weil nun das
Heer der Arbeitslosen wieder verstärkt werde. Jeder wird sich der Vollendung
freuen, jeder wird den Bau als ein Kulturwerk feiern, und so wird in das
Festländer kaum das leiseste Grollen hineinklingen. Es ist nun einmal so
in der Welt, daß Rücksichten auf den Einzelnen große Thaten nicht stören
dürfen.

Als in diesen Blättern vor einigen Wochen (in Heft 16) in einem Auf¬
sätze, der „Sparsamkeit und Selbsthilfe" überschrieben war, kurz und bündig
und an der Hand von Zahlen nachgewiesen wurde, daß es die Landwirte
ganz in ihrer Hand hätten, sich einen höhern Getreidepreis zu sichern, wenn
sie genossenschaftlich und im Großbetriebe das Brot- und Semmelbacken über¬
nahmen, da hat man von einigen Seiten vor der Vermehrung der Arbeits¬
losigkeit gewarnt. Man hat dem Verfasser nicht bestreiten können, daß dieses
Mittel der Selbsthilfe wirksam sein würde, aber man hat Angst um alle die
Menschen, die in den heutigen Splitterbetrieben für bares Geld Scheinarbeit
thun, und man weiß nicht, was mit diesen werden soll.

Hierzu möchte ich noch ein paar Worte sagen. Wie man es beim Nord-
vstscekanal in den Kauf nehmen muß, daß dort Arbeiter frei werden, weil
andre leistungsfähiger werden, so wird man es auch in den Kauf nehmen


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[0552] Ums liebe Brot als bisher, und davon wird wieder die natürliche Folge sein, daß eine große Zahl Arbeiter arbeitslos wird. Was durch die Wegverkürznng jetzt 20 Dampfer befördern, dazu waren bei dem weiten und gefahrvollen Wege um Skagen — daher langsames Fahren — 25 Dampfer nötig; es werden also mindestens 20 Prozent aller heutigen Dampfer auf diesem Verkehrswege außer Thätigkeit treten. Denn an der Ostseeküste giebt es keine Hinterländer, die nun auf einmal konsumkräftiger gemacht werden könnten dadurch, daß die Güter um den Bruchteil eines Pfennigs billiger zu ihnen kommen, und wenn auch die vom Westen nach dem Osten führenden Bahnen nun an die Schifffahrt einen größern Teil ihrer Güter werden abgeben müssen, so wird das doch daran nichts ändern können, daß Arbeitskräfte überflüssig werden. Vielleicht werden sich Bahn und Schisffcchrt in die Arbeiterentlassungen teilen, aber überflüssig werden viele, das hat man gewußt, und das hat man gewollt. Man giebt nicht 156 Mil¬ lionen Mark aus, wenn man nicht weiß, daß man sie hinterher durch ver¬ größerte Leistungsfähigkeit des Betriebs wieder hereinholen kann. (In der kürzlich veröffentlichten Denkschrift über den Kanal heißt es ausdrücklich, „daß ihn das Reich großenteils zu dem Zwecke gebaut hat, der Schifffahrt Er¬ leichterungen zu gewähren." Thatsächlich stellt man auch an Baukosten nur 51 Millionen für militärische, den Rest, also 105 Millionen, für wirtschaftliche Zwecke ein.) Aber es wird und kann sich mit gutem Gewissen keiner erheben und sagen, es wäre besser gewesen, der Kanal wäre nicht gebaut worden, weil nun das Heer der Arbeitslosen wieder verstärkt werde. Jeder wird sich der Vollendung freuen, jeder wird den Bau als ein Kulturwerk feiern, und so wird in das Festländer kaum das leiseste Grollen hineinklingen. Es ist nun einmal so in der Welt, daß Rücksichten auf den Einzelnen große Thaten nicht stören dürfen. Als in diesen Blättern vor einigen Wochen (in Heft 16) in einem Auf¬ sätze, der „Sparsamkeit und Selbsthilfe" überschrieben war, kurz und bündig und an der Hand von Zahlen nachgewiesen wurde, daß es die Landwirte ganz in ihrer Hand hätten, sich einen höhern Getreidepreis zu sichern, wenn sie genossenschaftlich und im Großbetriebe das Brot- und Semmelbacken über¬ nahmen, da hat man von einigen Seiten vor der Vermehrung der Arbeits¬ losigkeit gewarnt. Man hat dem Verfasser nicht bestreiten können, daß dieses Mittel der Selbsthilfe wirksam sein würde, aber man hat Angst um alle die Menschen, die in den heutigen Splitterbetrieben für bares Geld Scheinarbeit thun, und man weiß nicht, was mit diesen werden soll. Hierzu möchte ich noch ein paar Worte sagen. Wie man es beim Nord- vstscekanal in den Kauf nehmen muß, daß dort Arbeiter frei werden, weil andre leistungsfähiger werden, so wird man es auch in den Kauf nehmen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/552>, abgerufen am 25.08.2024.