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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

Vögel und Näsoimeure mit Majestäts- und Veamtenbeleidigungsprozessen zu
verfolgen, waren sie stets dankbar für eine Würze ihres eingezoguen und darum
ein wenig einförmigen Lebens.

Kuoblich behauptete, ich müßte ebenfalls fort, namentlich meiner Mutter
wegen, die ich ja von diesem entlegnen Loche aus nicht einmal besuchen könnte,
und wenn ich nicht sofort um Versetzung einkäme, so würde er mir ein
Bein stellen. Es war ihm alles zuzutrauen, und um einem Unheil vorzu¬
beugen, that ich ihm den Willen, der ja auch einigermaßen in der Richtung
des meinigen lag, sah. bot mir eine Gehaltserhöhung aus seiner eignen
Tasche an, wenn ich bliebe, aber die Sache ließ sich nicht mehr ändern. Ich
war ihm allerdings weiter entgegengekommen als irgend einer der Kapläne;
ich hatte sogar die Glockenfahrt mitgemacht. Auf einem der erwähnten rein
protestantischen Dörfer stand als einziger Nest der katholischen Pfarrei noch
ein Kirchturm mit einer Glocke, die von der evangelischen Gemeinde benutzt
wurde, da ihr hölzernes Bethaus weder einen Turm noch eine Glocke hatte.
sah. wollte diese Glocke anderswo verwenden, jene Gemeinde aber behauptete,
ein Recht daran zu haben, und wollte sie nicht hergeben. Eines Tages sagte
er uns: Die Entscheidung ist da; ich habe den Auftrag, die Glocke zu holen.
An dem Tage, wo er hinfahren wollte, bat er uns der Reihe nach, daß einer
mitfahren möge; die andern beiden sagten sofort: nein! Ich erklärte mich bereit.
Aber, sagte er mir, Sie müssen Ihre Reverende (den Talar) mitnehmen. --
Wozu denn das? -- Ja, die Leute sind dort sehr aufgebracht. Wir werden
also wahrscheinlich Schlage bekommen. Da müssen wir uns, Wenns losgeht,
geschwind die Reverende anziehen, damit wir dann wegen erlittner Mißhand¬
lung im Amte und Verletzung unsrer priesterlichen Würde klagen können. --
Na, meinte ich, das ist ja ganz nett, aber werden denn auch die Leute mit
dem Prügeln warten, bis wir unsre Buckel geistlich eingekleidet haben? Vor
der Thür sah ich mich vergebens nach dem Wagen um. Hier, sagte sah. --
Wo denn? -- Hier, wir fahren natürlich auf dem Leiterwagen; in der Chaise
hätte doch die Glocke nicht Platz. Auch das noch! So fuhren wir denn durch
die Stadt und durch die Dörfer zum Erstaunen der Leute, die denken mochten,
das sei eine neue Andachtsübung oder eine neue Abtötung; waren sie doch seit
K.s Zeiten an derlei Überraschungen gewöhnt worden. Der Rittergutsbesitzer
des Ortes nahm uns sehr freundlich auf und setzte uns eine gute Tasse Kaffee
und ein gutes Glas Wein vor. Bei so liebenswürdigem Empfang konnte sah.
unmöglich mit der Thür ins Haus fallen, endlich aber erhob er sich nach
mehrmaligem Räuspern und Hin- und Herrücken vom Platz, zog das amtliche
Schreiben aus der Brusttasche und begann seinen Vortrag. Zeigen Sie mal,
sagte der Gutsbesitzer. Ach, das ist ja ein Schreiben vom Generalvikariatamt,
was geht mich denn das an? Ich dachte, es wäre eine gerichtliche Entscheidung.
Brecheisen hatten wir nicht mitgenommen, und da wir beide nur mit sehr


Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

Vögel und Näsoimeure mit Majestäts- und Veamtenbeleidigungsprozessen zu
verfolgen, waren sie stets dankbar für eine Würze ihres eingezoguen und darum
ein wenig einförmigen Lebens.

Kuoblich behauptete, ich müßte ebenfalls fort, namentlich meiner Mutter
wegen, die ich ja von diesem entlegnen Loche aus nicht einmal besuchen könnte,
und wenn ich nicht sofort um Versetzung einkäme, so würde er mir ein
Bein stellen. Es war ihm alles zuzutrauen, und um einem Unheil vorzu¬
beugen, that ich ihm den Willen, der ja auch einigermaßen in der Richtung
des meinigen lag, sah. bot mir eine Gehaltserhöhung aus seiner eignen
Tasche an, wenn ich bliebe, aber die Sache ließ sich nicht mehr ändern. Ich
war ihm allerdings weiter entgegengekommen als irgend einer der Kapläne;
ich hatte sogar die Glockenfahrt mitgemacht. Auf einem der erwähnten rein
protestantischen Dörfer stand als einziger Nest der katholischen Pfarrei noch
ein Kirchturm mit einer Glocke, die von der evangelischen Gemeinde benutzt
wurde, da ihr hölzernes Bethaus weder einen Turm noch eine Glocke hatte.
sah. wollte diese Glocke anderswo verwenden, jene Gemeinde aber behauptete,
ein Recht daran zu haben, und wollte sie nicht hergeben. Eines Tages sagte
er uns: Die Entscheidung ist da; ich habe den Auftrag, die Glocke zu holen.
An dem Tage, wo er hinfahren wollte, bat er uns der Reihe nach, daß einer
mitfahren möge; die andern beiden sagten sofort: nein! Ich erklärte mich bereit.
Aber, sagte er mir, Sie müssen Ihre Reverende (den Talar) mitnehmen. —
Wozu denn das? — Ja, die Leute sind dort sehr aufgebracht. Wir werden
also wahrscheinlich Schlage bekommen. Da müssen wir uns, Wenns losgeht,
geschwind die Reverende anziehen, damit wir dann wegen erlittner Mißhand¬
lung im Amte und Verletzung unsrer priesterlichen Würde klagen können. —
Na, meinte ich, das ist ja ganz nett, aber werden denn auch die Leute mit
dem Prügeln warten, bis wir unsre Buckel geistlich eingekleidet haben? Vor
der Thür sah ich mich vergebens nach dem Wagen um. Hier, sagte sah. —
Wo denn? — Hier, wir fahren natürlich auf dem Leiterwagen; in der Chaise
hätte doch die Glocke nicht Platz. Auch das noch! So fuhren wir denn durch
die Stadt und durch die Dörfer zum Erstaunen der Leute, die denken mochten,
das sei eine neue Andachtsübung oder eine neue Abtötung; waren sie doch seit
K.s Zeiten an derlei Überraschungen gewöhnt worden. Der Rittergutsbesitzer
des Ortes nahm uns sehr freundlich auf und setzte uns eine gute Tasse Kaffee
und ein gutes Glas Wein vor. Bei so liebenswürdigem Empfang konnte sah.
unmöglich mit der Thür ins Haus fallen, endlich aber erhob er sich nach
mehrmaligem Räuspern und Hin- und Herrücken vom Platz, zog das amtliche
Schreiben aus der Brusttasche und begann seinen Vortrag. Zeigen Sie mal,
sagte der Gutsbesitzer. Ach, das ist ja ein Schreiben vom Generalvikariatamt,
was geht mich denn das an? Ich dachte, es wäre eine gerichtliche Entscheidung.
Brecheisen hatten wir nicht mitgenommen, und da wir beide nur mit sehr


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[0535] Wandlungen des Ich im Zeitenstrome Vögel und Näsoimeure mit Majestäts- und Veamtenbeleidigungsprozessen zu verfolgen, waren sie stets dankbar für eine Würze ihres eingezoguen und darum ein wenig einförmigen Lebens. Kuoblich behauptete, ich müßte ebenfalls fort, namentlich meiner Mutter wegen, die ich ja von diesem entlegnen Loche aus nicht einmal besuchen könnte, und wenn ich nicht sofort um Versetzung einkäme, so würde er mir ein Bein stellen. Es war ihm alles zuzutrauen, und um einem Unheil vorzu¬ beugen, that ich ihm den Willen, der ja auch einigermaßen in der Richtung des meinigen lag, sah. bot mir eine Gehaltserhöhung aus seiner eignen Tasche an, wenn ich bliebe, aber die Sache ließ sich nicht mehr ändern. Ich war ihm allerdings weiter entgegengekommen als irgend einer der Kapläne; ich hatte sogar die Glockenfahrt mitgemacht. Auf einem der erwähnten rein protestantischen Dörfer stand als einziger Nest der katholischen Pfarrei noch ein Kirchturm mit einer Glocke, die von der evangelischen Gemeinde benutzt wurde, da ihr hölzernes Bethaus weder einen Turm noch eine Glocke hatte. sah. wollte diese Glocke anderswo verwenden, jene Gemeinde aber behauptete, ein Recht daran zu haben, und wollte sie nicht hergeben. Eines Tages sagte er uns: Die Entscheidung ist da; ich habe den Auftrag, die Glocke zu holen. An dem Tage, wo er hinfahren wollte, bat er uns der Reihe nach, daß einer mitfahren möge; die andern beiden sagten sofort: nein! Ich erklärte mich bereit. Aber, sagte er mir, Sie müssen Ihre Reverende (den Talar) mitnehmen. — Wozu denn das? — Ja, die Leute sind dort sehr aufgebracht. Wir werden also wahrscheinlich Schlage bekommen. Da müssen wir uns, Wenns losgeht, geschwind die Reverende anziehen, damit wir dann wegen erlittner Mißhand¬ lung im Amte und Verletzung unsrer priesterlichen Würde klagen können. — Na, meinte ich, das ist ja ganz nett, aber werden denn auch die Leute mit dem Prügeln warten, bis wir unsre Buckel geistlich eingekleidet haben? Vor der Thür sah ich mich vergebens nach dem Wagen um. Hier, sagte sah. — Wo denn? — Hier, wir fahren natürlich auf dem Leiterwagen; in der Chaise hätte doch die Glocke nicht Platz. Auch das noch! So fuhren wir denn durch die Stadt und durch die Dörfer zum Erstaunen der Leute, die denken mochten, das sei eine neue Andachtsübung oder eine neue Abtötung; waren sie doch seit K.s Zeiten an derlei Überraschungen gewöhnt worden. Der Rittergutsbesitzer des Ortes nahm uns sehr freundlich auf und setzte uns eine gute Tasse Kaffee und ein gutes Glas Wein vor. Bei so liebenswürdigem Empfang konnte sah. unmöglich mit der Thür ins Haus fallen, endlich aber erhob er sich nach mehrmaligem Räuspern und Hin- und Herrücken vom Platz, zog das amtliche Schreiben aus der Brusttasche und begann seinen Vortrag. Zeigen Sie mal, sagte der Gutsbesitzer. Ach, das ist ja ein Schreiben vom Generalvikariatamt, was geht mich denn das an? Ich dachte, es wäre eine gerichtliche Entscheidung. Brecheisen hatten wir nicht mitgenommen, und da wir beide nur mit sehr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/535>, abgerufen am 26.08.2024.