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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Was ist denn hier für ein Leben? fragte ich ihn bei der ersten Begrüßung.
O, das will ich dir gleich sagen! Vormittags um zehn gehen die Patrizier
im Schlafrock mit der Quarkschnitte in der Hand über den Ring zum Früh¬
schoppen. Er arbeitete damals an seinem Leben der heiligen Hedwig, das 1860
erschienen ist, und klagte, sein Gehalt (40 Thaler) reiche nicht ganz zum Porto
für die Bücher, die er dazu brauchte. Wissenschaftlich lebte er in einer Welt,
die mir damals neu war und noch längere Zeit unverständlich geblieben ist.
Er beschäftigte sich ausschließlich mit schlesischer Geschichte, was ich schlechter¬
dings nicht begreifen konnte; sollte denn hier im nordöstlichen Deutschland,
dachte ich, irgend einmal etwas passirt sein, wovon Kenntnis zu nehmen die
Mühe lohnt? Es kam das von der klassisch-ästhetischen Richtung, die ich in
der Ghmnasialzeit eingeschlagen hatte. Wer die Dinge ästhetisch anzusehen ge¬
wöhnt ist, der wird zunächst zeitlebens der alten Geschichte das lebhafteste
Interesse bewahren, in zweiter Linie werden ihn die italienischen Städte des
Mittelalters, in dritter die mittelalterlichen Ritter-, Kaiser- und Papstgeschichtcn
anziehen, aus dein doppelten Grunde, weil uns diese Dinge in klassisch ge-
schriebnen Geschichts- und Dichterwerken lebendig vor Augen treten, und weil
sie an sich schon plastisch sind, namentlich die alte Städtegeschichte, wo auf
einem kleinen wohlabgegrenzten Raume eine verhältnismüßig kleine Anzahl
von Personen in nicht sehr verwickelten leicht zu durchschauenden Verhältnissen
auftritt. Je weiter man sich in der Geschichte der neuern Zeit nähert und je
weiter man sich von jenen Schauplätzen entfernt, desto mehr verliert man sich
in ein ungemütliches Wirrsal, aus dem nur wenig klar erkennbare Gestalten
auftauchen. Um auch da interessante Einzelheiten herauszufinden, muß man
Spezialist werden, was ich niemals gewesen bin und damals am allerwenigsten
war. Seitdem haben ja die Geschichtschreiber viel gethan, um dem größern
Publikum jenen unförmlichen Stoff faßlicher und genießbarer zu machen.

Zugleich war Knoblich auch Antiquar und Kunstkenner und hat später
als eifriges Mitglied des Vereins für Schlesische Altertumskunde und für Be¬
wahrung der Kunstdenkmäler eine gemeinnützige Thätigkeit entfaltet. Auch
dieses Gebiet war mir fremd. Ich fchwürmte pflichtschuldigst für Gotik und
ergriff eifrig jede Gelegenheit, mich aus Büchern und Abbildungen darüber zu
unterrichten, aber an den gotischen Bauten Breslaus war ich blind vorüber-
gelaufen, ohne eine Ahnung davon, daß es in Breslau, in Schlesien, über¬
haupt im Nordosten, irgend etwas Sehenswertes an Bauwerken gebe. Ich
dachte, um Gotik zu sehen, müßte mau mindestens bis an den Rhein gehen.
Freilich war an dieser Unwissenheit einigermaßen meine Kurzsichtigkeit schuld.
Gerade in sah. kaufte ich mir eine sehr scharfe Brille, was ich bis dahin aus
der begründeten Furcht vor rascherer Augenverderbnis nicht gewagt hatte, und
fing unter Knoblichs Leitung um, die Steinmetzarbeit an Gurten, Knäufen und
Schlußsteinen zu sehen. Allerdings will es mir auch heute noch so vorkommen,


Was ist denn hier für ein Leben? fragte ich ihn bei der ersten Begrüßung.
O, das will ich dir gleich sagen! Vormittags um zehn gehen die Patrizier
im Schlafrock mit der Quarkschnitte in der Hand über den Ring zum Früh¬
schoppen. Er arbeitete damals an seinem Leben der heiligen Hedwig, das 1860
erschienen ist, und klagte, sein Gehalt (40 Thaler) reiche nicht ganz zum Porto
für die Bücher, die er dazu brauchte. Wissenschaftlich lebte er in einer Welt,
die mir damals neu war und noch längere Zeit unverständlich geblieben ist.
Er beschäftigte sich ausschließlich mit schlesischer Geschichte, was ich schlechter¬
dings nicht begreifen konnte; sollte denn hier im nordöstlichen Deutschland,
dachte ich, irgend einmal etwas passirt sein, wovon Kenntnis zu nehmen die
Mühe lohnt? Es kam das von der klassisch-ästhetischen Richtung, die ich in
der Ghmnasialzeit eingeschlagen hatte. Wer die Dinge ästhetisch anzusehen ge¬
wöhnt ist, der wird zunächst zeitlebens der alten Geschichte das lebhafteste
Interesse bewahren, in zweiter Linie werden ihn die italienischen Städte des
Mittelalters, in dritter die mittelalterlichen Ritter-, Kaiser- und Papstgeschichtcn
anziehen, aus dein doppelten Grunde, weil uns diese Dinge in klassisch ge-
schriebnen Geschichts- und Dichterwerken lebendig vor Augen treten, und weil
sie an sich schon plastisch sind, namentlich die alte Städtegeschichte, wo auf
einem kleinen wohlabgegrenzten Raume eine verhältnismüßig kleine Anzahl
von Personen in nicht sehr verwickelten leicht zu durchschauenden Verhältnissen
auftritt. Je weiter man sich in der Geschichte der neuern Zeit nähert und je
weiter man sich von jenen Schauplätzen entfernt, desto mehr verliert man sich
in ein ungemütliches Wirrsal, aus dem nur wenig klar erkennbare Gestalten
auftauchen. Um auch da interessante Einzelheiten herauszufinden, muß man
Spezialist werden, was ich niemals gewesen bin und damals am allerwenigsten
war. Seitdem haben ja die Geschichtschreiber viel gethan, um dem größern
Publikum jenen unförmlichen Stoff faßlicher und genießbarer zu machen.

Zugleich war Knoblich auch Antiquar und Kunstkenner und hat später
als eifriges Mitglied des Vereins für Schlesische Altertumskunde und für Be¬
wahrung der Kunstdenkmäler eine gemeinnützige Thätigkeit entfaltet. Auch
dieses Gebiet war mir fremd. Ich fchwürmte pflichtschuldigst für Gotik und
ergriff eifrig jede Gelegenheit, mich aus Büchern und Abbildungen darüber zu
unterrichten, aber an den gotischen Bauten Breslaus war ich blind vorüber-
gelaufen, ohne eine Ahnung davon, daß es in Breslau, in Schlesien, über¬
haupt im Nordosten, irgend etwas Sehenswertes an Bauwerken gebe. Ich
dachte, um Gotik zu sehen, müßte mau mindestens bis an den Rhein gehen.
Freilich war an dieser Unwissenheit einigermaßen meine Kurzsichtigkeit schuld.
Gerade in sah. kaufte ich mir eine sehr scharfe Brille, was ich bis dahin aus
der begründeten Furcht vor rascherer Augenverderbnis nicht gewagt hatte, und
fing unter Knoblichs Leitung um, die Steinmetzarbeit an Gurten, Knäufen und
Schlußsteinen zu sehen. Allerdings will es mir auch heute noch so vorkommen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/533>, abgerufen am 26.08.2024.