Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.Wandlungen des Ich im Zeitenstrome sah . . er Kirchenrechnungen die ordnungsmäßige Instanz des Erzpricsters um¬ Ich thue ihm nicht Unrecht, dem guten Propst sah., wenn ich ihn un¬ Am meisten verbitterte ihm Knvblich das Leben, den ich wohl nennen Wandlungen des Ich im Zeitenstrome sah . . er Kirchenrechnungen die ordnungsmäßige Instanz des Erzpricsters um¬ Ich thue ihm nicht Unrecht, dem guten Propst sah., wenn ich ihn un¬ Am meisten verbitterte ihm Knvblich das Leben, den ich wohl nennen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0532" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/220208"/> <fw type="header" place="top"> Wandlungen des Ich im Zeitenstrome</fw><lb/> <p xml:id="ID_2074" prev="#ID_2073"> sah . . er Kirchenrechnungen die ordnungsmäßige Instanz des Erzpricsters um¬<lb/> gangen wurde, und so die Verwirrung und Verheerung verborgen und un-<lb/> gerügt blieb, die K. — nicht zu seinem persönlichen Vorteil, sondern zu den<lb/> vorerwähnten Bauten — in allen Kassen angerichtet hatte. Zur Wieder¬<lb/> herstellung der Ordnung waren aber viele Jahre nötig, daher mußte das<lb/> Spiel nach K.s Abgange sortgesetzt werden. Teils zu diesem Zweck, teils<lb/> — wie wenigstens böse Zungen sagten ^- um seinen Nachruhm auf einer<lb/> recht dunkeln Folie erglänzen zu lassen, bestellte er sich einen unfähigen Mann<lb/> zum Nachfolger, der ein gefügiges Werkzeug von Neffe und Onkel blieb.</p><lb/> <p xml:id="ID_2075"> Ich thue ihm nicht Unrecht, dem guten Propst sah., wenn ich ihn un¬<lb/> fähig nenne, dem? er nannte sich selbst so und sagte es jedermann. Gleich<lb/> als ich mich ihm vorstellte, klagte er mit einer Leichenbittermiene, er sei nicht<lb/> geeignet für die Stelle, und bat, ich möchte es ihm nnr nicht zu schwer<lb/> machen. Er war nicht dumm, aber beschränkt und kleinlich, ein Frömmler<lb/> gewöhnlicher Art, während K.s Frömmigkeit durch ihre poetische Erscheinungs¬<lb/> form und einen Anflug von Genialität imponirt hatte, und trug das de¬<lb/> mütige Bekenntnis seiner Unfähigkeit zur Schau, nahm es aber natürlich sehr<lb/> übel, wenn ihm jemand zu verstehen gab, daß er ganz derselben Ansicht sei.<lb/> So konnte er denn natürlich die gesellschaftliche Stellung, die K. dem katho¬<lb/> lischen Pfarrer verschafft hatte, nicht behaupten, und zunächst verlor er die<lb/> Herrschaft im eignen Hause. K. hatte das Breviergebet täglich mit seinen<lb/> drei Kapläneu gemeinsam in der Kirche verrichtet, auch im Winter, und zwar<lb/> auf dem bloßen Marmvrpflaster knieend. Von sah., der das fortsetzen wollte,<lb/> ließen sie sichs nicht gefallen, und da sich im Laufe der Zeit immer mehr<lb/> Anlässe zur Opposition fanden, lebte man bald in latentem Kriegszustande.</p><lb/> <p xml:id="ID_2076"> Am meisten verbitterte ihm Knvblich das Leben, den ich wohl nennen<lb/> darf, weil er in der Diözese in gutem Andenken steht. Nicht daß er boshaft<lb/> gewesen wäre, aber er war ein krausköpfiger Jüngling voll überschäumender<lb/> Lebenslust, von einem an Genie grenzenden Humor und derbster Rücksichtslosig¬<lb/> keit, sodaß er nicht den Mund aufthun konnte, ohne die sauertöpfische männ¬<lb/> liche Betschwester entweder zu erschrecken oder zu ärgern. Kuoblich hatte schou<lb/> als Student höchst klerikal ausgesehen, und als Geistlicher bemühte er sich<lb/> noch mehr, sein Gesicht in andächtige Falten zu legen, was mit dem Schalk,<lb/> der aus den krausen Linien der Mundgegend hervorlugte, und seinen drolligen<lb/> Reden zusammen eine sehr drollige Wirkung ergab. Von Heuchelei war er weit<lb/> entfernt, aber daß sein Übermut und der lebendige Kladderadatsch, der beständig<lb/> aus ihm heraus wollte, nicht zu dem heiligen Amte passe, dem er sich gläu¬<lb/> bigen Sinnes gewidmet hatte, konnte ihm doch nicht verborgen bleiben, und<lb/> so waren denn die Gesichter, die er schnitt, eine Wirkung seines vergeblichen<lb/> Bemühens, die unvereinbarer Elemente seines Wesens zur harmonischen Ein¬<lb/> heit zu verschmelzen.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0532]
Wandlungen des Ich im Zeitenstrome
sah . . er Kirchenrechnungen die ordnungsmäßige Instanz des Erzpricsters um¬
gangen wurde, und so die Verwirrung und Verheerung verborgen und un-
gerügt blieb, die K. — nicht zu seinem persönlichen Vorteil, sondern zu den
vorerwähnten Bauten — in allen Kassen angerichtet hatte. Zur Wieder¬
herstellung der Ordnung waren aber viele Jahre nötig, daher mußte das
Spiel nach K.s Abgange sortgesetzt werden. Teils zu diesem Zweck, teils
— wie wenigstens böse Zungen sagten ^- um seinen Nachruhm auf einer
recht dunkeln Folie erglänzen zu lassen, bestellte er sich einen unfähigen Mann
zum Nachfolger, der ein gefügiges Werkzeug von Neffe und Onkel blieb.
Ich thue ihm nicht Unrecht, dem guten Propst sah., wenn ich ihn un¬
fähig nenne, dem? er nannte sich selbst so und sagte es jedermann. Gleich
als ich mich ihm vorstellte, klagte er mit einer Leichenbittermiene, er sei nicht
geeignet für die Stelle, und bat, ich möchte es ihm nnr nicht zu schwer
machen. Er war nicht dumm, aber beschränkt und kleinlich, ein Frömmler
gewöhnlicher Art, während K.s Frömmigkeit durch ihre poetische Erscheinungs¬
form und einen Anflug von Genialität imponirt hatte, und trug das de¬
mütige Bekenntnis seiner Unfähigkeit zur Schau, nahm es aber natürlich sehr
übel, wenn ihm jemand zu verstehen gab, daß er ganz derselben Ansicht sei.
So konnte er denn natürlich die gesellschaftliche Stellung, die K. dem katho¬
lischen Pfarrer verschafft hatte, nicht behaupten, und zunächst verlor er die
Herrschaft im eignen Hause. K. hatte das Breviergebet täglich mit seinen
drei Kapläneu gemeinsam in der Kirche verrichtet, auch im Winter, und zwar
auf dem bloßen Marmvrpflaster knieend. Von sah., der das fortsetzen wollte,
ließen sie sichs nicht gefallen, und da sich im Laufe der Zeit immer mehr
Anlässe zur Opposition fanden, lebte man bald in latentem Kriegszustande.
Am meisten verbitterte ihm Knvblich das Leben, den ich wohl nennen
darf, weil er in der Diözese in gutem Andenken steht. Nicht daß er boshaft
gewesen wäre, aber er war ein krausköpfiger Jüngling voll überschäumender
Lebenslust, von einem an Genie grenzenden Humor und derbster Rücksichtslosig¬
keit, sodaß er nicht den Mund aufthun konnte, ohne die sauertöpfische männ¬
liche Betschwester entweder zu erschrecken oder zu ärgern. Kuoblich hatte schou
als Student höchst klerikal ausgesehen, und als Geistlicher bemühte er sich
noch mehr, sein Gesicht in andächtige Falten zu legen, was mit dem Schalk,
der aus den krausen Linien der Mundgegend hervorlugte, und seinen drolligen
Reden zusammen eine sehr drollige Wirkung ergab. Von Heuchelei war er weit
entfernt, aber daß sein Übermut und der lebendige Kladderadatsch, der beständig
aus ihm heraus wollte, nicht zu dem heiligen Amte passe, dem er sich gläu¬
bigen Sinnes gewidmet hatte, konnte ihm doch nicht verborgen bleiben, und
so waren denn die Gesichter, die er schnitt, eine Wirkung seines vergeblichen
Bemühens, die unvereinbarer Elemente seines Wesens zur harmonischen Ein¬
heit zu verschmelzen.
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