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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

nordwestlichen Grenze des Bistums in ganz protestantischer Gegend. Die
Erhaltung katholischer Reste war dem Umstände zuzuschreiben, daß das Stift
Trebnitz dort eine Anzahl von Dörfern hatte, die katholisch und nach der
Säkularisation als selbständige Pfarreien bestehen blieben. Auf andern Dör¬
fern verloren sich die Katholiken und blieben nur die Kirchen und Widmuten
übrig, die mit zur Stadtpfarrei geschlagen wurden. In der Mitte der fünf¬
ziger Jahre war Dr. K. dort Pfarrer, der in unglaublich kurzer Zeit nicht
allein die Pfarrkirche aufs herrlichste wieder herstellte, sondern auch auf den
Filialen statt der verfallenen alten schmucke neue Kirchen baute, die katholische
Schule reorgauisirte, sich selbst durch bezaubernde Liebenswürdigkeit und seine
Klugheit zum geistigen Mittelpunkte des ganzen Kreises machte und das An¬
sehen des Katholizismus in der Gegend gewaltig hob. K. gehört zu den
Persönlichkeiten, denen gegenüber einem sofort klar wird, daß das Gebot
Christi: Richtet nicht! ein einfaches Gebot der Vernunft ist. Über Handlungen
kann und muß man urteilen, aber Personen richten ist Unsinn, wäre selbst
dann, wenn wir, was nicht der Fall ist, einen unbedingt zuverlässigen Ma߬
stab hätten, noch Unsinn, weil uns das Innere des Menschen ein Geheimnis
bleibt. K. pflegte nicht allein die Frömmigkeit im allgemeinen -- und nie¬
mand, der sein Wirken beobachtet hat, kann daran zweifeln, daß er aufrichtig
fromm war --, sondern auch die modernen, romanisch-jesuitischen Formen der
Frömmigkeit und war dabei in der Politik liberal. Er war vollendeter Welt¬
mann, der Liebling vornehmer Damen, Rittergutsbesitzer, Offiziere, eroberte
aber gleichzeitig auch das Herz des gemeinen Mannes und der Kinder. Im
Jahre 1870 wurde er Gegenstand heftiger Angriffe beider Parteien, indem
er zwischen Vatikanern und Antivatikcmern diplomatisch lavirte und sich die
Schlesische Zeitung zum Sprachrohr wählte. Es war ihm als Pfarrer von
sah. gelungen, für die Gottesdienste, die in den neuen Dorfkirchen gehalten
wurden, ein kleines protestantisches Publikum zu gewinnen, nur die eine blieb
vollständig leer. Was fange ich nur an, äußerte er einst in einem Gespräch
mit einem Amtsbruder, daß ich Leute hineinbringe! Ich möchte die Kirche zu
einem Wallfahrtsort machen. -- Da müßte doch aber ein Wunder geschehen,
meinte der andre. -- O, das wird sich schon finden! -- In der That, und
darin liegt wohl die Erklärung seiner Erfolge, er war überzeugt, daß er alles
vermöge, was er wolle; er hatte den Glauben, der Wunder wirkt: den Glauben
an sich selbst. Als das Bedenklichste um seinem Wirken erscheint mir die
Art und Weise, wie er die sah . . er Angelegenheiten ordnete, als er nach
dreijähriger stürmischer Restaurationsthätigkeit seine Breslauer Kurie bezog,
die ihm der Onkel P. verabredetermaßen offen gehalten hatte. (Kanonikus P.
war Försters Beichtvater; P. hats halt dem Bischof zur Buße aufgegeben,
hieß es, wenn wieder einer aus der Familie befördert wurde.) Onkel P., der
für diese Dinge Dezerneut war, richtete es so ein, daß bei der Revision der


Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

nordwestlichen Grenze des Bistums in ganz protestantischer Gegend. Die
Erhaltung katholischer Reste war dem Umstände zuzuschreiben, daß das Stift
Trebnitz dort eine Anzahl von Dörfern hatte, die katholisch und nach der
Säkularisation als selbständige Pfarreien bestehen blieben. Auf andern Dör¬
fern verloren sich die Katholiken und blieben nur die Kirchen und Widmuten
übrig, die mit zur Stadtpfarrei geschlagen wurden. In der Mitte der fünf¬
ziger Jahre war Dr. K. dort Pfarrer, der in unglaublich kurzer Zeit nicht
allein die Pfarrkirche aufs herrlichste wieder herstellte, sondern auch auf den
Filialen statt der verfallenen alten schmucke neue Kirchen baute, die katholische
Schule reorgauisirte, sich selbst durch bezaubernde Liebenswürdigkeit und seine
Klugheit zum geistigen Mittelpunkte des ganzen Kreises machte und das An¬
sehen des Katholizismus in der Gegend gewaltig hob. K. gehört zu den
Persönlichkeiten, denen gegenüber einem sofort klar wird, daß das Gebot
Christi: Richtet nicht! ein einfaches Gebot der Vernunft ist. Über Handlungen
kann und muß man urteilen, aber Personen richten ist Unsinn, wäre selbst
dann, wenn wir, was nicht der Fall ist, einen unbedingt zuverlässigen Ma߬
stab hätten, noch Unsinn, weil uns das Innere des Menschen ein Geheimnis
bleibt. K. pflegte nicht allein die Frömmigkeit im allgemeinen — und nie¬
mand, der sein Wirken beobachtet hat, kann daran zweifeln, daß er aufrichtig
fromm war —, sondern auch die modernen, romanisch-jesuitischen Formen der
Frömmigkeit und war dabei in der Politik liberal. Er war vollendeter Welt¬
mann, der Liebling vornehmer Damen, Rittergutsbesitzer, Offiziere, eroberte
aber gleichzeitig auch das Herz des gemeinen Mannes und der Kinder. Im
Jahre 1870 wurde er Gegenstand heftiger Angriffe beider Parteien, indem
er zwischen Vatikanern und Antivatikcmern diplomatisch lavirte und sich die
Schlesische Zeitung zum Sprachrohr wählte. Es war ihm als Pfarrer von
sah. gelungen, für die Gottesdienste, die in den neuen Dorfkirchen gehalten
wurden, ein kleines protestantisches Publikum zu gewinnen, nur die eine blieb
vollständig leer. Was fange ich nur an, äußerte er einst in einem Gespräch
mit einem Amtsbruder, daß ich Leute hineinbringe! Ich möchte die Kirche zu
einem Wallfahrtsort machen. — Da müßte doch aber ein Wunder geschehen,
meinte der andre. — O, das wird sich schon finden! — In der That, und
darin liegt wohl die Erklärung seiner Erfolge, er war überzeugt, daß er alles
vermöge, was er wolle; er hatte den Glauben, der Wunder wirkt: den Glauben
an sich selbst. Als das Bedenklichste um seinem Wirken erscheint mir die
Art und Weise, wie er die sah . . er Angelegenheiten ordnete, als er nach
dreijähriger stürmischer Restaurationsthätigkeit seine Breslauer Kurie bezog,
die ihm der Onkel P. verabredetermaßen offen gehalten hatte. (Kanonikus P.
war Försters Beichtvater; P. hats halt dem Bischof zur Buße aufgegeben,
hieß es, wenn wieder einer aus der Familie befördert wurde.) Onkel P., der
für diese Dinge Dezerneut war, richtete es so ein, daß bei der Revision der


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[0531] Wandlungen des Ich im Zeitenstrome nordwestlichen Grenze des Bistums in ganz protestantischer Gegend. Die Erhaltung katholischer Reste war dem Umstände zuzuschreiben, daß das Stift Trebnitz dort eine Anzahl von Dörfern hatte, die katholisch und nach der Säkularisation als selbständige Pfarreien bestehen blieben. Auf andern Dör¬ fern verloren sich die Katholiken und blieben nur die Kirchen und Widmuten übrig, die mit zur Stadtpfarrei geschlagen wurden. In der Mitte der fünf¬ ziger Jahre war Dr. K. dort Pfarrer, der in unglaublich kurzer Zeit nicht allein die Pfarrkirche aufs herrlichste wieder herstellte, sondern auch auf den Filialen statt der verfallenen alten schmucke neue Kirchen baute, die katholische Schule reorgauisirte, sich selbst durch bezaubernde Liebenswürdigkeit und seine Klugheit zum geistigen Mittelpunkte des ganzen Kreises machte und das An¬ sehen des Katholizismus in der Gegend gewaltig hob. K. gehört zu den Persönlichkeiten, denen gegenüber einem sofort klar wird, daß das Gebot Christi: Richtet nicht! ein einfaches Gebot der Vernunft ist. Über Handlungen kann und muß man urteilen, aber Personen richten ist Unsinn, wäre selbst dann, wenn wir, was nicht der Fall ist, einen unbedingt zuverlässigen Ma߬ stab hätten, noch Unsinn, weil uns das Innere des Menschen ein Geheimnis bleibt. K. pflegte nicht allein die Frömmigkeit im allgemeinen — und nie¬ mand, der sein Wirken beobachtet hat, kann daran zweifeln, daß er aufrichtig fromm war —, sondern auch die modernen, romanisch-jesuitischen Formen der Frömmigkeit und war dabei in der Politik liberal. Er war vollendeter Welt¬ mann, der Liebling vornehmer Damen, Rittergutsbesitzer, Offiziere, eroberte aber gleichzeitig auch das Herz des gemeinen Mannes und der Kinder. Im Jahre 1870 wurde er Gegenstand heftiger Angriffe beider Parteien, indem er zwischen Vatikanern und Antivatikcmern diplomatisch lavirte und sich die Schlesische Zeitung zum Sprachrohr wählte. Es war ihm als Pfarrer von sah. gelungen, für die Gottesdienste, die in den neuen Dorfkirchen gehalten wurden, ein kleines protestantisches Publikum zu gewinnen, nur die eine blieb vollständig leer. Was fange ich nur an, äußerte er einst in einem Gespräch mit einem Amtsbruder, daß ich Leute hineinbringe! Ich möchte die Kirche zu einem Wallfahrtsort machen. — Da müßte doch aber ein Wunder geschehen, meinte der andre. — O, das wird sich schon finden! — In der That, und darin liegt wohl die Erklärung seiner Erfolge, er war überzeugt, daß er alles vermöge, was er wolle; er hatte den Glauben, der Wunder wirkt: den Glauben an sich selbst. Als das Bedenklichste um seinem Wirken erscheint mir die Art und Weise, wie er die sah . . er Angelegenheiten ordnete, als er nach dreijähriger stürmischer Restaurationsthätigkeit seine Breslauer Kurie bezog, die ihm der Onkel P. verabredetermaßen offen gehalten hatte. (Kanonikus P. war Försters Beichtvater; P. hats halt dem Bischof zur Buße aufgegeben, hieß es, wenn wieder einer aus der Familie befördert wurde.) Onkel P., der für diese Dinge Dezerneut war, richtete es so ein, daß bei der Revision der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/531>, abgerufen am 22.12.2024.