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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Italienische Gindrücke

wo oft die Militürmusik spielt; dort lassen sie halten, empfangen am Schlage
Besuche und schauen in den goldnen Abendhimmel, von dessen Hintergrunde
sich die graublaue Peterskuppel und der Monte Mario mit seinen dunkeln
Chpresfen malerisch abheben; dann lenken sie zwischen den schattigen, gewundnen
Laubgüngen wieder hinunter nach der Piazza del Popolo, ein Bild, das man
nie wieder vergißt. Nicht selten erscheint auch die Königin Margherita, die
die Italiener noch immer la grWio8g. nennen, schon von weitem angekündigt
von der Scharlachlivree der Diener, und jeden Gruß mit anmutiger Kopf¬
neigung huldvoll erwidernd. Dasselbe Bild, nur in ganz verschiednen Rahmen,
bieten Florenz und Neapel. In der Arnostadt bewegt sich der Corso draußen
in den hohen Alleen und um die weiten Rasenflächen der Caseinen, in Neapel
unten am Meere längs der statuengeschmückten Parkanlagen der Villa nazionale
am deutschen Aquarium hin; aus der einen Seite ziehen sich im weiten Bogen
die grünen Hänge des Posilippo mit ihren zahllosen weißen Villen und den
Prachtstraszen an ihrem Fuße, während hoch oben über den terrassenförmig
ansteigenden Häuserreihen der Stadt das finstere Castell San Elmo thront,
auf der andern schimmern im rötlichen Abendschein über die blaue Flüche des
Golfs herüber die Halbinsel von Sorreuto und das dreigipflige Capri, leise wo-
gend schlüge das Meer an die Ufermauern, und über dem ganzen Bilde steht als
Herrscher der mächtige blaugraue Kegel des Vesuv mit seiner ununterbrochen em¬
porquellenden dichten, Weißen Rauchwolke, in der, wenn die Nacht hereingebrochen
ist, eine dunkelrote Flamme zuckt oder eine Feuergarbe emporsprüht. In kleinern
Orten ist der Sonntag Nachmittag die belebteste Zeit; dann strömt das Land¬
volk aus der Umgebung zu Wagen, zu Esel, zu Fuß herein, alles steht in
dichten Gruppen auf den Straßen und der Piazza, schwatzend und lachend.
In größern Städten ist für den Abend dein Italiener das Theater oder das
Kaffeehaus unentbehrlich.

Erst wenn man dieses Leben gesehen hat, wird die italienische Oper ver¬
ständlich, die uns Deutschen leicht als etwas Unnatürliches erscheint. Daß
sich alles auf der Straße abspielt und daß sich dort bei jeder privaten An¬
gelegenheit Scharen von Menschen sammeln, das findet man dann ganz selbst¬
verständlich, und selber daß die Leute singen, was man gewöhnlich sagt, be¬
fremdet nicht mehr so sehr, denn jeder Verkäufer preist seinen Kram halb
singend an, nur zur Verstärkung des Eindrucks. Auch die Gemälde der Re¬
naissance aus der heiligen Geschichte mit ihren figurenreichen Gruppen bei
ganz intimen Scenen auf offener Straße sind ganz dem italienischen Leben
entnommen.

Das eigentümliche Geschick der Italiener, ohne Unordnung und Konflikte
in Massen aufzutreten, kommt niemals mehr zur Geltung als bei volkstüm¬
lichen Festen. Ich hatte Gelegenheit, in Sorrent am 1. Mai noch einen letzten
Nachhall der Tassofeier zu erleben. Noch war die Piazza und die lange


Italienische Gindrücke

wo oft die Militürmusik spielt; dort lassen sie halten, empfangen am Schlage
Besuche und schauen in den goldnen Abendhimmel, von dessen Hintergrunde
sich die graublaue Peterskuppel und der Monte Mario mit seinen dunkeln
Chpresfen malerisch abheben; dann lenken sie zwischen den schattigen, gewundnen
Laubgüngen wieder hinunter nach der Piazza del Popolo, ein Bild, das man
nie wieder vergißt. Nicht selten erscheint auch die Königin Margherita, die
die Italiener noch immer la grWio8g. nennen, schon von weitem angekündigt
von der Scharlachlivree der Diener, und jeden Gruß mit anmutiger Kopf¬
neigung huldvoll erwidernd. Dasselbe Bild, nur in ganz verschiednen Rahmen,
bieten Florenz und Neapel. In der Arnostadt bewegt sich der Corso draußen
in den hohen Alleen und um die weiten Rasenflächen der Caseinen, in Neapel
unten am Meere längs der statuengeschmückten Parkanlagen der Villa nazionale
am deutschen Aquarium hin; aus der einen Seite ziehen sich im weiten Bogen
die grünen Hänge des Posilippo mit ihren zahllosen weißen Villen und den
Prachtstraszen an ihrem Fuße, während hoch oben über den terrassenförmig
ansteigenden Häuserreihen der Stadt das finstere Castell San Elmo thront,
auf der andern schimmern im rötlichen Abendschein über die blaue Flüche des
Golfs herüber die Halbinsel von Sorreuto und das dreigipflige Capri, leise wo-
gend schlüge das Meer an die Ufermauern, und über dem ganzen Bilde steht als
Herrscher der mächtige blaugraue Kegel des Vesuv mit seiner ununterbrochen em¬
porquellenden dichten, Weißen Rauchwolke, in der, wenn die Nacht hereingebrochen
ist, eine dunkelrote Flamme zuckt oder eine Feuergarbe emporsprüht. In kleinern
Orten ist der Sonntag Nachmittag die belebteste Zeit; dann strömt das Land¬
volk aus der Umgebung zu Wagen, zu Esel, zu Fuß herein, alles steht in
dichten Gruppen auf den Straßen und der Piazza, schwatzend und lachend.
In größern Städten ist für den Abend dein Italiener das Theater oder das
Kaffeehaus unentbehrlich.

Erst wenn man dieses Leben gesehen hat, wird die italienische Oper ver¬
ständlich, die uns Deutschen leicht als etwas Unnatürliches erscheint. Daß
sich alles auf der Straße abspielt und daß sich dort bei jeder privaten An¬
gelegenheit Scharen von Menschen sammeln, das findet man dann ganz selbst¬
verständlich, und selber daß die Leute singen, was man gewöhnlich sagt, be¬
fremdet nicht mehr so sehr, denn jeder Verkäufer preist seinen Kram halb
singend an, nur zur Verstärkung des Eindrucks. Auch die Gemälde der Re¬
naissance aus der heiligen Geschichte mit ihren figurenreichen Gruppen bei
ganz intimen Scenen auf offener Straße sind ganz dem italienischen Leben
entnommen.

Das eigentümliche Geschick der Italiener, ohne Unordnung und Konflikte
in Massen aufzutreten, kommt niemals mehr zur Geltung als bei volkstüm¬
lichen Festen. Ich hatte Gelegenheit, in Sorrent am 1. Mai noch einen letzten
Nachhall der Tassofeier zu erleben. Noch war die Piazza und die lange


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[0525] Italienische Gindrücke wo oft die Militürmusik spielt; dort lassen sie halten, empfangen am Schlage Besuche und schauen in den goldnen Abendhimmel, von dessen Hintergrunde sich die graublaue Peterskuppel und der Monte Mario mit seinen dunkeln Chpresfen malerisch abheben; dann lenken sie zwischen den schattigen, gewundnen Laubgüngen wieder hinunter nach der Piazza del Popolo, ein Bild, das man nie wieder vergißt. Nicht selten erscheint auch die Königin Margherita, die die Italiener noch immer la grWio8g. nennen, schon von weitem angekündigt von der Scharlachlivree der Diener, und jeden Gruß mit anmutiger Kopf¬ neigung huldvoll erwidernd. Dasselbe Bild, nur in ganz verschiednen Rahmen, bieten Florenz und Neapel. In der Arnostadt bewegt sich der Corso draußen in den hohen Alleen und um die weiten Rasenflächen der Caseinen, in Neapel unten am Meere längs der statuengeschmückten Parkanlagen der Villa nazionale am deutschen Aquarium hin; aus der einen Seite ziehen sich im weiten Bogen die grünen Hänge des Posilippo mit ihren zahllosen weißen Villen und den Prachtstraszen an ihrem Fuße, während hoch oben über den terrassenförmig ansteigenden Häuserreihen der Stadt das finstere Castell San Elmo thront, auf der andern schimmern im rötlichen Abendschein über die blaue Flüche des Golfs herüber die Halbinsel von Sorreuto und das dreigipflige Capri, leise wo- gend schlüge das Meer an die Ufermauern, und über dem ganzen Bilde steht als Herrscher der mächtige blaugraue Kegel des Vesuv mit seiner ununterbrochen em¬ porquellenden dichten, Weißen Rauchwolke, in der, wenn die Nacht hereingebrochen ist, eine dunkelrote Flamme zuckt oder eine Feuergarbe emporsprüht. In kleinern Orten ist der Sonntag Nachmittag die belebteste Zeit; dann strömt das Land¬ volk aus der Umgebung zu Wagen, zu Esel, zu Fuß herein, alles steht in dichten Gruppen auf den Straßen und der Piazza, schwatzend und lachend. In größern Städten ist für den Abend dein Italiener das Theater oder das Kaffeehaus unentbehrlich. Erst wenn man dieses Leben gesehen hat, wird die italienische Oper ver¬ ständlich, die uns Deutschen leicht als etwas Unnatürliches erscheint. Daß sich alles auf der Straße abspielt und daß sich dort bei jeder privaten An¬ gelegenheit Scharen von Menschen sammeln, das findet man dann ganz selbst¬ verständlich, und selber daß die Leute singen, was man gewöhnlich sagt, be¬ fremdet nicht mehr so sehr, denn jeder Verkäufer preist seinen Kram halb singend an, nur zur Verstärkung des Eindrucks. Auch die Gemälde der Re¬ naissance aus der heiligen Geschichte mit ihren figurenreichen Gruppen bei ganz intimen Scenen auf offener Straße sind ganz dem italienischen Leben entnommen. Das eigentümliche Geschick der Italiener, ohne Unordnung und Konflikte in Massen aufzutreten, kommt niemals mehr zur Geltung als bei volkstüm¬ lichen Festen. Ich hatte Gelegenheit, in Sorrent am 1. Mai noch einen letzten Nachhall der Tassofeier zu erleben. Noch war die Piazza und die lange

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/525>, abgerufen am 27.08.2024.